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Fans Fanpreis

"Der Traum vom schönen Spiel"

Klaus Hansens Fußball-Utopie besteht darin, dem Schreiben über Fußball mittels experimenteller Poesie eine dem Spiel angemessene Ästhetik zu verleihen.

Mit der Fußball-Utopie "Der Traum vom schönen Spiel" bewirbt sich Klaus Hansen um den mit bis zu 5.000 Euro dotierten easyCredit-Fanpreis 2020. Bewerbungen sind noch bis zum 31. August 2020 möglich. Alle Informationen zur Teilnahme am Wettbewerb "Fußball-Utopie des Jahres"

Der Traum vom schönen Spiel
Überlegungen zu einer neuen Symbolik des Fußballspiels
(von Klaus Hansen)

Fußball ist auch das, was man über ihn schreibt. Und wie man über ihn schreibt. Es sind nur 90 Minuten, die Woche für Woche in der Bundesliga gespielt werden. Aber es sind sieben Tage, an denen darüber geredet und geschrieben wird.
Das "schöne Spiel" ist auch ein Produkt der Sprache.

Ich möchte dem Schreiben über Fußball eine neue Dimension hinzufügen.
Mit den Stilmitteln der experimentellen Literatur, vor allem der visuellen, konkreten und typografischen Poesie, möchte ich die Sinnlichkeit des Spiels und die Leidenschaft am Spiel nicht einfach linear aufschreiben, sondern mit Buchstabenbildern visualisieren, wobei das schöne Schriftbild oft im Gegensatz zur kritischen Aussage steht. Leserinnen und Leser werden animiert, die optischen Chiffren auf ihre Weise zu entschlüsseln. Buchstaben mutieren zu Suchstaben und aus Lesern werden Detektive. Das Lesen selbst wird zum Spiel.

Das Schreiben über Fußball ist in ästhetischer Hinsicht wenig erfinderisch. Das Werk "Fever Pitch" von Nick Hornby zum Beispiel, anerkannt große Fußballliteratur, ist ein bieder und konventionell geschriebenes Buch. (Auch als Objekt ist das Buch gewöhnlich rechteckig; warum ist es nicht rund, dem Thema angemessen, oder gar kugelrund?) In der deutschsprachigen Literatur finden sich allenfalls bei Ror Wolf, Karl Riha, Ludwig Harig und Albert Ostermaier Ansätze des experimentellen Schreibens über Fußball. Ich möchte in dieser Richtung weitermachen und die "experimentelle Fußballpoesie" entwickeln und als Gattung etablieren.

Lohnt es denn überhaupt, den Fußball kunstvoll zu besingen, wo er doch in Gestalt des Profi(t)fußballs immer mehr zu einem banalen Wirtschaftszweig der Unterhaltungsindustrie wird? Ist die Ästhetisierung des Fußballs heute nicht eine antiaufklärrische Ablenkung sowohl von seiner ökonomischen Instrumentalisierung als auch von seiner Funktion als Massenbetäubungsmittel?

Ich meine: Es lohnt sich nicht nur, es gebietet sich sogar, den Fußball zu besingen, weil das Fußballspiel mit den Regeln, nach denen es gespielt wird, eine zivilisatorische Errungenschaft des Homo ludens mit hoher Symbolkraft darstellt. Darum ist es jede Würdigung wert. Schon 1966 erkannte der Schriftsteller Manfred Hausmann im Fußballspiel eine "ins Spielhafte übertragene Lebenswirklichkeit", eine "Lebenswirklichkeit im Brennspiegel". Der Philosoph Gunter Gebauer spitzt diese Behauptung zu, wenn er 50 Jahre später, 2016, schreibt: "Ein Fußballspiel ist das ganze Leben in 90 Minuten."

Der Fußball repräsentiert wie kaum ein anderes Spiel die Winkelzüge des Schicksals, die unser Leben prägen. Darum ist es richtig, mit dem Kulturanthropologen Clifford Geertz von einem "deep play", einem "tiefsinnigen Spiel" zu sprechen. Klar, dass sich Leistung lohnen muss; aber ohne Glück und Zufall, Willkür und Schwindelei führt Leistung im Fußball wie im Leben selten zum Erfolg. Klar, dass Fairness oberstes Gebot ist; aber auf dem Platz gilt: Erlaubt ist alles, was keiner sieht. (Was auf dem Spielfeld wie im Leben dank der Omnipräsenz der Überwachungskameras immer schwieriger wird. – Aber ist ein Leben ohne Dunkelfeld wünschenswert?) Jedes Fußballspiel lehrt uns, mit den Unwägbarkeiten des Zufälligen und Plötzlichen umzugehen, ohne vollends aus der Fassung zu geraten. Jedes Fußballspiel lehrt uns, die seltenen Augenblicke des Gelingens und des Glücks zu genießen und nicht mit den viel häufigeren Momenten des Versagens und des Pechs zu hadern, sondern daraus eine gelassene Fehlerfreundlichkeit zu erlernen. Als Fußballzuschauer und Vereinsanhänger müssen wir prinzipiell davon ausgehen, dass daneben geht, was daneben gehen kann. Murphys Gesetz ist auch Fußballers Schicksal. Ein Idiot jedoch, wer sich davon verdrießen lässt und zum Pessimisten wird! Wir machen weiter, wie Sisyphos, der lebenslang bestrafte und gleichwohl heitere Steinewälzer. Der Ball ist rund, damit er nicht stillsteht. Und das Spiel ist nicht vorbei, ehe es vorbei ist. Und selbst dann nicht. Denn nach dem Spiel ist stets vor dem Spiel. Das ist die Haltung, die Moral des Homo ludens als Homo soccer. - Ein Fußballspiel, richtig verstanden, verleiht nicht nur eine schlitzohrige Lebenstüchtigkeit, sondern macht geradezu lebensklug.

Dem Fußball als agonales Wettkampfspiel wohnt eine quasi-natürliche Resilienz inne, die ihn davor schützt, für die Zuschauer uninteressant zu werden, aller kommerziellen Machenschaften zum Trotz. Wer in einem Gruppenwettkampf um einen hochelastischen Ball, der schneller läuft und höher springt als jeder Spieler, die Hände aus dem Spiel verbannt, der überlässt dem niederen Organ minderbegabter Füße die unmögliche Beherrschung des Geschehens. Das führt zu Missgeschicken und Überraschungen vielfältiger Art, die das Fußballspiel viel weniger vorhersehbar und viel kurioser machen als alle Spiele, bei denen die geübte Hand das Führorgan ist. Das Fangen und Werfen des Balles ist ungleich anspruchsloser und risikoärmer als das Stoppen und Treten mit dem Fuß. Fußball symbolisiert auf das Schönste die Lust des Menschen an seiner Selbstüberforderung.

Es ist wohl wahr, wie Herberger gesagt hat, dass die Leute zum Fußball gehen, weil sie nicht wissen können, wie es ausgeht. Aber das wissen sie auch beim Hand-, Basket- und Volleyball-Spiel nicht. Einzig das Fußballspiel bietet dank des Führorgans der Füße Überraschungen unvordenklicher Art, die es spannungspsychologisch einmalig machen und darum für den Zuschauer konkurrenzlos attraktiv. Nicht von ungefähr ist der Fußball als Zuschauer-Sport die Nummer Eins in der Welt.

Dieser anthropologische "Wesenskern" des Fußballspiels wird bleiben. Auch der kommerzialisierte Berufsfußball kann ihn nicht wegprofessionalisieren. Oder schadlos preisgeben. Und Füße sind, verglichen mit Händen, geborene Mängelwesen mit begrenzter Lernfähigkeit. Sie garantieren, dass der Fußball ein Spiel mit Fehlern bleibt.

Der Missmut, den der Profifußball derzeit überall stiftet, auch unter eingefleischten Fans, ist ein Thema, das auf einem anderen Blatt steht.

Auf meinem Blatt steht der Text über den Fußball. Das Spiel mit dem Ball auf dem Platz wird zum Spiel mit dem Wort auf dem Papier. Im Stadion noch der "12. Mann", wird der Zuschauer als Leser zu einem Mitspieler im Wortspiel, der sich zugleich an der typografischen Schönheit des Schriftbildes erfreut. – Fußball wird zum "schönen Spiel".

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