Der Fußball gehört den Proles
Mit der Fußball-Utopie "Der Fußball gehört den Proles" bewirbt sich Andreas Steinhauer um den mit bis zu 5.000 Euro dotierten easyCredit-Fanpreis 2020. Bewerbungen waren bis zum 31. August 2020 möglich. Alle Informationen zur Teilnahme am Wettbewerb "Fußball-Utopie des Jahres"
Der Fußball gehört den Proles (von Andreas Steinhauer)
Mittwoch, 11. Juli 2018: Der Autor dieses Utopieabrisses schaut das letzte Mal ein Fußballspiel im Fernsehen (WM-Halbfinale CRO-ENG 2-1 n.V.). Seine Liebe zum Fußball verpflichtet ihn zu diesem radikalen Schritt. Seit 1994 verfolgt er jedes WM-Finale – am Sonntag dem 15. Juli 2018 erstmals nicht. Sonntag, 17. Juli 1994: Der Autor dieses Utopieabrisses ist zehn Jahre, sechs Monate und 8 Tage jung. Er starrt mit rund 60 weiteren Kindern, fast alle im Schneidersitz, unablässig auf ein klobiges Röhrenfernsehgerät. Er sieht das erste Mal in seinem Leben ein Profifußballspiel im Fernsehen. Auf diesem Jungscharlager in Niederösterreich verliert er zwar an diesem Abend alle seine Schokobananen, weil er im WM-Finale auf Italien setzt und Roberto Baggio vom Elferpunkt die Wuchtel in den Nachthimmel von Pasadena pfeffert. Dafür hat er was viel Wichtigeres gewonnen: Die Liebe zum Fußball(schauen). Und den Roberto liebt er weiterhin bedingungslos und das Joga Bonito Brasiliens lernt er in den nächsten Jahren schätzen.
Heute ist der 31.8.2020. Zwischen dem 11.7.2018 und heute liegen 781 Tage. Seit 781 Tage schaut der Autor dieses Utopieabrisses kein Fußballspiel im Internet oder im Fernsehen. Ausschließlich vor Ort, im Stadion bzw. auf dem Sportplatz. Warum? Weil er kindisch ist und tagträumt, dass der Profifußball sich gesundmacht, wenn alle das Fernsehgerät oder das Internet abgedreht lassen. Ohne Zuschauer keine Einschaltquoten und keine Einnahmen aus den TV-Rechten für Vereine, nationale und kontinentale Verbände und vor allem für die FIFA. Das bringt Umdenken! Schwachsinn? Egal, denn dieser Tagtraum vom kollektiven Nicht-Fußballschauen im TV und im Internet ist nur eine Randnotiz in diesem Utopieschreiben, das ein gesamtheitliches Umdenken fordert.
Wenn der Autor dieses Utopieabrisses in das Jahr 2030 tagträumt, dann hat sich der Fußball in drei Bereichen radikal zu heute verbessert: a) im sportlichen, b) im wirtschaftspolitischen und c) im sozialen Bereich.
ad a) Stellvertretend für das sportliche Ungleichgewicht einiger Bewerbe sollen hier die zwei prestigeträchtigsten stehen: die UEFA Champions League und die FIFA Weltmeisterschaft:
Aktuell ist die UEFA Champions League das Non plus ultra – sie liefert State-of-the-Art-Fußball. Keine WM, keine EM und keine Copa Libertadores können aus sportlicher Sicht mithalten. Aber die UEFA Champions League zahlt für den besten Fußball einen hohen Preis: Sie ist eine Mogelpackung, denn sie lässt nicht alle Meister ihrer Landesverbände im Hauptwettbewerb mitspielen. Die UEFA hat aktuell 55 Landesverbände, aber nur 32 Startplätze für den Hauptwettbewerb der UEFA Champions League. Die Hälfte der 32 Startplätze sind für die Top-Vier-Nationen (je vier Plätze für ESP, ENG, GER, ITA) garantiert. Die übrigen 16 Startplätze bleiben für die restlichen 51 Landesverbände übrig. Das ist ungerecht!
Im Jahr 2030 spielen ausschließlich die Meister der UEFA-Landesverbände in der UEFA Champions League; damit sind zweit-, dritt- oder viertplatzierte Vereine nicht an der UEFA Champions League teilnahmeberechtigt. Es gibt weiterhin eine Gruppenphase, um die besten 32 Teams für die Knockoutphase zu ermitteln. Sowohl in der Gruppen- als auch in der Knockoutphase kommt der Best-of-Modus zur Anwendung. Die Auswärtstorregel wird abgeschafft, sofern das IFAB (= International Football Association Board) nichts Anderes vorschlägt. In der Gruppenphase und im Sechzehntelfinale wird ein Best-of-ThreeModus gespielt, im Achtel- und Viertelfinale ein Best-of-Five-Modus und ab den Halbfinals ein Best-ofSeven. Das heißt für das UEFA-Champions-League-Finale 2030: es gibt mindestens vier und maximal sieben Matches!
Um beim Beispiel der aktuell 55 Landesmeistern zu bleiben: In der Gruppenphase gibt es acht Gruppen, davon sieben Gruppen zu je sieben Teams und eine Gruppe mit sechs Teams. Die ersten vier jeder Gruppe (insgesamt 32 Teams) schaffen es in die Knockoutphase, beginnend mit dem Sechzehntelfinale.
211 Länder gehören zur FIFA. Für die FIFA Weltmeisterschaft 2022 werden 32 Startplätze vergeben, wovon 13 für europäische Länder vorgesehen sind – das entspricht etwas mehr als 40 Prozent. Diese europazentrierte Ausrichtung muss überdacht werden. Außerdem soll aus Fairnessgründen für die Knockoutphase der FIFA Weltmeisterschaft, analog zum Vorschlag für die UEFA Champions League, ein Best-of-Modus eingeführt werden.
Hinzukommt, dass die FIFA Weltmeisterschaften der Frauen und Herren zusammengelegt und daraus eine Veranstaltung im gleichen Jahr, an den gleichen Tagen, im gleichen Land und den gleichen Stadien werden soll. Es gibt dann ab 2030 nicht mehr die FIFA Weltmeisterschaft der Frauen und die der Herren, sondern nur mehr die eine FIFA Weltmeisterschaft – bestehend aus den Bewerben "female", "male" und "mixed". Das ist entscheidend für das Verständnis und Selbstbild des Frauenfußballs, denn noch immer ist weitgehend in den Köpfen verankert, dass Fußball ein Männersport ist.
ad b) und c) Rui Pinto ist seit einiger Zeit aus der Untersuchungshaft, bald beginnt sein Gerichtsprozess. Er hat das Denken des Autors dieses Utopieabrisses über den Fußball in den letzten Jahren entscheidend mitgeprägt. Die Bücher der Spiegel-Redakteure Rafael Buschmann und Michael Wulzinger über Pinto und Football Leaks sind enthüllend und schockierend, doch geändert hat sich im Big Business Profifußball gefühlt kaum was. Es gibt viele Bücher, die der Autor dieses Utopieschreibens in diesem Zusammenhang gelesen hat – stellvertretend sind hier seine Top-Drei erwähnt: "Das wunde Leder: Wie Kommerz und Korruption den Fußball kaputt machen" (Klaus Zeyringer, Stefan Gmünder), "Ersatzspielfelder: Zum Verhältnis von Fußball und Macht" (Timm Beichelt) und "Ballverlust: Gegen den marktkonformen Fußball" (Christian Bartlau).
In der aktuellen Ausgabe des österreichischen Fußballmagazins "Ballesterer" schreibt Nicole Selmer am Ende ihres Kommentars: "Der einzige Weg, die FIFA zu verändern, besteht darin, ihr die Macht zu nehmen" (Ballesterer #153, Ausgabe August 2020, Seite 7). Daher im ersten Schritt: Schluss mit dem "One-Country-One-Vote-System" – es braucht keinen FIFA-Präsidenten. Der Fußball gehört den Proles – sie sollen über die Vergabe von kontinentalen und globalen Turnieren entscheiden, allen voran über die FIFA Weltmeisterschaft. Nicht nur Hobby- und Profifußballer/innen sollen stimmberechtigt sein, sondern alle Fußballliebhaber/innen – eine globale Volksabstimmung über das Internet. Für die UEFA ist denkbar, dass sie in die Europäischen Union als Department für "European Football Culture" eingegliedert wird. Die FIFA den Vereinten Nationen zu unterstellen, ist laut Christian Bartlau ("Ballverlust: Gegen den marktkonformen Fußball") sinngemäß schwierig. So ist beispielsweise der Kosovo FIFA-Mitglied, aber kein Mitgliedsstaat bei den Vereinten Nationen. Außerdem sollen die Vereinten Nationen ebenso Integritätsprobleme haben wie die FIFA. Dafür können über das IFAB (=International Football Association Board) wegweisende Verbesserungen schnell umgesetzt werden: Regel zwei (Ball) und Regel 4 (Ausrüstung der Spieler) müssen mit dem Unterpunkt Fairtrade adaptiert werden. Jeder Fußball, jeder Trikotsatz muss aus fairem Handel stammen, muss das Fairtrade-Siegel tragen.
Der globale Fußball wird aktuell von TV-Rechten bestimmt – es geht um Milliarden. 2030: Die Fußballer erhalten weiterhin überdurchschnittliche Gehälter – sie sind die Gladiatoren der Neuzeit. Ohne sie keine Spiele. Trotzdem muss jeder Spieler einen Solidaritätsbeitrag für soziale Projekte von 3% seiner Einnahmen abführen (außer er verdient gleichviel oder weniger als das landesübliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf). Alle Spielergehälter müssen öffentlich einsehbar seien. Spielerberater dürfen bei Verträgen nicht mitverdienen, sondern werden von Spielergewerkschaften gestellt und haben ausschließlich ein Fixum, keine Provision. Der Verkauf von TV-Rechten wird gedeckelt! Öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten dürfen bei TV-Rechten nur mitbieten, wenn das im Vorhinein durch eine Volksabstimmung gewünscht wurde. Verbände und Klubs müssen einen Solidaritätsbeitrag für soziale Projekte von 12% aus den Einnahmen aus den TV-Rechten abführen. Die FIFA muss die Einnahmen aus den TV-Rechten für die FIFA Weltmeisterschaft zu 100% sozialen Projekten zuführen. Verbände, Klubs und TV-Anstalten verpflichten sich, die Preise für Stadion-Eintrittskarten und für TV-Abonnements dem Einkommen der Käufer nach zu segmentieren: somit zahlt bspw. ein arbeitsloser Fan einen Euro für eine Stadion-Eintrittskarte, während ein Fan, der Geschäftsführer eines Großkonzernes ist, 500 Euro für den Live-Stream eines Spiels begleichen muss.
Nachwuchsspieler aus Schwellen- und Entwicklungsländern oder aus benachteiligten Sozialschichten, die aufgrund einer Sportinvalidität spielunfähig werden oder den Leistungsansprüchen im Profibereich nicht genügen, müssen vom Klub trotzdem für weitere drei Jahre mit dem monatlichen Mindestlohn laut Kollektivvertrag bezahlt werden und eine Berufsausbildung erhalten.
Zusammenfassung:
-In der UEFA Champions League spielen nur Landesmeister. Aus jedem Landesverband einer.
-13 der 32 Startplätze für die FIFA Weltmeisterschaft sind für Europa – das gehört geändert.
-Die FIFA Weltmeisterschaft der Frauen und Herren wird ein Event.
-Das "One-Country-One-Vote-System" der FIFA wird abgeschafft, genauso wie der FIFA-Präsident.
-Die Weltbevölkerung stimmt über die Vergabe der FIFA Weltmeisterschaft ab.
-Das IFAB adaptiert Regel zwei und vier – jeder Fußball, jeder Trikotsatz muss Fairtrade sein.
-Jeder Spieler muss 3% seiner Einnahmen an soziale Projekte abführen.
-Verbände und Klubs führen 12% der Einnahmen aus TV-Rechten an soziale Projekte ab.
-Die WM-TV-Rechte-Einnahmen werden von der FIFA zu 100% an soziale Projekte weitergegeben.
-Soziale Preissegmentierung: bspw. zahlt ein Arbeitsloser einen Euro für ein Stadionticket.
-Gescheiterte Nachwuchsspieler aus sozial-benachteiligten Schichten erhalten weiterhin Gehalt.
-Der Fußball gehört den Proles!