Mit der Fußball-Utopie "Der neue Fußball und sein Stadion als Ort der demokratischen Zusammenkunft – Fragmentarische Annäherung an eine konkrete Utopie" bewirbt sich Markus Zwecker um den mit bis zu 5.000 Euro dotierten easyCredit-Fanpreis 2020. Bewerbungen waren bis zum 31. August 2020 möglich. Alle Informationen zur Teilnahme am Wettbewerb "Fußball-Utopie des Jahres"
Der neue Fußball und sein Stadion als Ort der demokratischen Zusammenkunft – Fragmentarische Annäherung an eine konkrete Utopie (von Markus Zwecker)
"Es geht um den Umbau der Welt zur Heimat, ein Ort, der allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war."
Ernst Bloch
Die hier vorgestellte Vision des neuen Fußballs bezieht sich fundamental auf den Ort seiner Austragung: Das Stadion. Das Stadion des neuen Fußballs ist Dreh-und Angelpunkt einer Vision der demokratischen, zivilgesellschaftlichen Interaktion und bedient sich dabei dem antiken Bild der Arena, als vordemokratischer Ort bürgerlicher Zusammenkunft und Willensbildung innerhalb der Stadtgesellschaft. Wichtiger Unterschied ist natürlich, dass der Zugang nicht nur wenigen Privilegierten zusteht, sondern ein Ort freier Staatsbürger:innen mit unveräußerlichen Rechten ist und natürlich, dass das Spiel kein Spiel um Leben und Tod ist.
Fußball spielt in dem Stadion eine zentrale Rolle, weil es der gesellschaftlich notwendigen Zerstreuung Rechnung trägt, aber auch, weil es quasi als Sinnbild des Politischen lesbar ist: Dem Widerstreit beider Parteien als Ausdruck des dem Politischen inhärenten Antagonismus verschiedener Perspektiven und Positionen. Dieser Antagonismus wird jedoch nicht kriegerisch, sondern im Rahmen eines Regelwerkes so ausgetragen, dass er sich als Agonismus darstellt. Dieser Versinnbildlichung demokratischen Wettbewerbs und Wettstreits muss das Stadion des neuen Fußballs als Ort der Zusammenkunft auch neben dem Spiel Rechnung tragen, sodass alle Staatsbürger:innen, in den größten Arenen unserer Zeit einen Ort friedlicher aber durchaus konkurrierender Anschauungen und Präferenzen auf dem Boden demokratischer und wertschätzender Werte finden.
In Anlehnung an das alttestamentarische Konzept der Gastfreundschaft wird jede:r willkommen geheißen – selbstredend auch die Unterstützer:innen des gegnerischen Teams beim Fußball. Dieser Aspekt ist auch von zentraler Bedeutung für das neue Stadion als Ort friedlichen Zusammenkommens und kommunikativen Handelns – als Realutopie.
Der Fußball ist das Herz des neuen Stadions und muss daher im Rahmen sicherheitsrelevanter Aspekte zu diversen Zeiten und spezifischen auf die Bedürfnisse der Vielen angepassten Anlässen radikal zugänglich sein – genauso wie das Stadion allgemein, das sich quasi um ihn herum entfaltet. Wo der Zugang nicht weiter möglich ist, müssen öffentliche, digitale Angebote ergänzen, sodass alle Interessierten zumindest bedingt teilhaben können. Die Zugänglichkeit wird ergänzt durch ein Verpflegungs- und Serviceangebot, das Aspekte von Nachhaltigkeit und einer Kreislaufwirtschaft berücksichtigt. Gesundes Essen wird vor Ort angebaut und preisgünstig oder kostenfrei abgegeben; idealweise auf der Grundlage von freiwilligen Spenden. Die Anbauflächen im Stadion werden selbst zu Orten gemeinsamen Arbeitens und Unterrichtsraum für Jung und Alt und befinden sich im stetigen Veränderungsprozess: Nachhaltigkeit, Zugänglichkeit, Teilhabe, Bildung und Unterhaltung gehen so Hand in Hand. Der Raum des Stadions wird sich so gemeinschaftlich und im Gemeininteresse angeeignet.
Eine Deckelung der Gehälter von Spieler:innen und ein gehobener geschlechtsunabhängiger "Tarifvertrag" mit öffentlich einsichtigen Stufen und Prämien tragen zudem zu Fairness und Chancengleichheit beim großen Stadionereignis Fußball bei und unterstreichen den demokratischen Aspekts des neuen Fußballs im demokratischen Stadion. Für jedes Team gibt es zudem eine Gehaltobergrenze. Anders als in den amerikanischen Ligen bleibt jedoch die klassische Vereinsstruktur mit Jugendarbeit erhalten und es wird aus Aspekten des gesunden Wettbewerbs an Auf- und Abstiegen festgehalten. Geschlechtliche und andere Normierungen der Spieler:innen werden weitest möglich mit Rücksicht auf notwendige Schutzräume aufgehoben. Sollten sich aufgrund der Leistung gemischte Teams anbieten, wäre dies möglich. Sollten sich Spieler:innen nicht geschlechtlich festlegen wollen, wäre das, ähnlich wie im Freistil beim Schwimmen, auch nicht nötig. Normierende Regeln werden nur dort angewandt, wo es zum Schutz dient und von den betroffenen Gruppen auch aktiv eingefordert wird oder ggf. medizinische Gründe existieren, wie im Behinderten- oder Jugendsport.
Das Ereignis Fußball bildet so den Fixstern des demokratischen Stadions, indem mit dessen Strahlkraft Formen direkter Demokratie, Teilhabe, Austausch, Bildung auch jenseits der Spieltage gelebt werden kann. Das Fußballstadion wird so zur Schule, zum Stadtparlament, zum Treffpunkt, zum Marktplatz der Ideen, zum Labor und zum Ort des Spiels.
Durch die starke Bindung der Stadtgesellschaft an das Stadion entsteht auch eine noch stärkere Bindung an die Stadt, den Verein und die Spieler:innen, als zentraler Teil der Stadt- und Zivilgesellschaft. Vereinsstrukturen können vor Ort weiter demokratisiert werden und der Fußballverein wird so zum Mittelpunkt der gelebten Zivilgesellschaft und sein Stadion zum Ort "bürgerlicher" Zusammenkunft, in der Demokratie erfahrbar ist und gelebt werden kann.
Kinder und Jugendliche werden durch spezielle Angebote hier in die Zivilgesellschaft eingeführt, können sich beteiligen und können selbstbewusst Freiräume im Rahmen des demokratischen Stadions bespielen. Das Stadion und auch der Fußball selbst sind so auch immer wieder neuen, produktiven, generativen Aneignungsprozessen unterworfen.
Das Resultat ist weniger ein neuer Ist-Zustand sondern die Etablierung eines fortlaufenden Prozesses, in dem der Fußball (und sein Stadion) eine zentrale Rolle spielt, sich aber entsprechend der neuen kooperativen Partizipationsmöglichkeiten stetig verändern kann und wird: Kein neuer Garten Eden, sondern vielmehr eine Möglichkeit, durch die immer wieder gemeinsam Neues entstehen kann.