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Und jährlich grüßt das Murmeltier

Lars Schwebel drückt in seiner Fußball-Utopie den Reset-Knopf. Am Ende jeder Bundesligasaison werden alle Spieler vereinslos. Danach finden 25 Wahl-Runden statt, in denen sich die Vereine nacheinander Spieler aussuchen. Das schlechteste Team der vergangenen Saison darf beginnen, während das beste Team zum Schluss wählen darf.

Mit der Fußball-Utopie "Und jährlich grüßt das Murmeltier" bewirbt sich Lars Schwebel um den mit bis zu 5.000 Euro dotierten easyCredit-Fanpreis 2020. Bewerbungen waren bis zum 31. August 2020 möglich. Alle Informationen zur Teilnahme am Wettbewerb "Fußball-Utopie des Jahres"

Und jährlich grüßt das Murmeltier (von Lars Schwebel)

Was eint Hannover 96, den FC Southampton, Sassuolo Calcio und den FC Getafe? Sie alle schafften es einmal in den letzten 10 Jahren in ihren jeweiligen Ligen in der Endplatzierung unter die besten 6 Mannschaften. Einmal und nie wieder. Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb diese vier Vereine nicht häufiger auf den vorderen Plätzen vertreten waren. ( Fehler im Management, finanzielle Schieflage, notgedrungene Spielerverkäufe, missglückte Transferentscheidungen, Verletzungspech, teaminterne Unstimmigkeiten, personelle Fehlbesetzungen an wichtigen Schaltstellen - eine Myriade an Faktoren tragen dazu bei, dass der Großteil der Vereine fernab der heißbegehrten Plätze landet. Doch Geld bleibt Grund Nr.1. Um den Anschluss zu den Geldtöpfen nicht zu verlieren bzw. aufzuholen, vollführen manche der erfolglosen Vereine waghalsige finanzielle "Kunststücke" oder überlassen ihr Schicksal finanzstarken Investoren. ) Traurigerweise gibt es leider noch mehr Vereine als Gründe, die seit geraumer Zeit vergebens auf eine Platzierung unter den besten 6 Mannschaften warten.

Hauptgrund für die seltenen Wachablösungen ist die lähmende Dominanz an der Spitze in den vier großen Ligen. (In fast jeder Profiliga Europas ist ein ähnliches Phänomen zu beobachten: Ein Serienmeister bzw. ein elitäres Zwei- bis Dreigestirn, welches den nationalen Titel unter sich ausspielt.) Der Zugang zu den prall gefüllten Geldtöpfen der internationalen Wettbewerbe unterliegt der monopolen Verwaltung einer Riege Übermächtiger. Erfolglose Vereine verkommen zu Sparringspartnern und Erfüllungsgehilfen, die der Notwendigkeit halber mitspielen dürfen. Underdog-Märchen wie Leicesters Meisterstück 2016 erfreuen nur kurzzeitig die nach Fußballromantik darbenden Herzen. Ein Jahr später waren die Plätze 1 bis 6 wieder fest in der Hand der Big Six. Das gelegentlich erfolgreiche Auftreten eines Underdogs bestätigt fatalerweise den irrtümlichen Glauben an ein System, welches Wettbewerb bewirbt, jedoch kontinuierlich Ungleichheit hervorbringt. Es erzählt seinen Liebhabern und seinen Fans die Mär von einer Welt des Möglichen - die Realität in Europas Topligen schreibt jedoch nüchterne Geschichten.

In Spanien teilten sich Atletico Madrid, der FC Barcelona und Real Madrid in den letzten 8 Saisons die Plätze 1 bis 3 untereinander auf. Dahinter tummeln sich in regelmäßigen Abständen noch der FC Valencia, der FC Sevilla und Villareal. Die ersten 6 Plätze der englischen Premier League beanspruchten die üblichen Verdächtigen für sich. Nur 4 Mannschaften gelang es in den letzten 10 Jahren diese geschlossene Gesellschaft zu infiltrieren. (Leicester 2020 (5. Platz) und 2016 (1.), 2016 (6.) der FC Southampton, der FC Everton 2014 (5.) und 2013 (6.) sowie Newcastle in der Saison 2011/2012 (5.)) Und jährlich grüßt die alte Dame von der Spitze der Serie A. Zum 9. Mal ! hintereinander errang Juventus Turin den Scudetto, während Uli Hoeneß genüsslich die 8. deutsche Meisterschaft in Folge durch sein Tabellenfernglas betrachtete. Eine sich international erstreckende Wettbewerbsflaute.

Die ursprüngliche Idee des sportlichen Wettkampfs folgt nicht mehr seiner simplen Logik, dass der Bessere gewinnt. Im Zuge einer umfassenden Professionalisierung und Kommerzialisierung des Profifußballs hat die Gewinnformel an Umfang und Komplexität zugenommen und dabei ihre sportlichen Grundprinzipien vergessen. Entscheidender, signifikanter Faktor in der Gleichung mittlerweile: Geld. Viel Geld. 

Die Formel folgt nun vereinfacht dargestellt einer rekursiven Logik: Wer mehr Geld hat, verpflichtet bessere Spieler, gewinnt mehr, hat wiederum mehr Geld, holt sich bessere Spieler, gewinnt mehr und so weiter. Der Bessere gewinnt - wenn er es sich denn leisten kann. Eine teuflische Spirale hat sich in Gang gesetzt, deren Triebfeder aus Dauererfolg und finanziellen Quantensprüngen einigen wenigen ihrer hegemoniale Stellung sichert und im Gegenzug jegliche Spannung in den nationalen Wettbewerben erstickt. (Und international mittlerweile auch. Seit Einführung der Champions League Anfang der 90er gewannen ganze 3 Mannschaften den Henkelpott, die nicht aus einer der 4 großen Ligen kamen.)

Die Umkehr der Spirale

Wie lange soll dieses Spiel noch so gespielt werden? Wie ließe sich diese Ungleichheit hervorbringende Spirale stoppen und gar umdrehen? Vordergründig müsste die selbstzerstörerische Abhängigkeit zu den Geldtöpfen gekappt, die Rahmenbedingungen neu abgesteckt und die Gewinnformel komplett umgeschrieben werden. Geld sollte kein sportlicher Anreiz sein - weder für Vereine noch für Spieler. Das Spiel an sich und der Drang zu gewinnen und seine sportlichen Qualitäten zu beweisen, sollte sich selbst genügen. Eine Rückkehr zu den elementaren Werten des sportlichen Wettbewerbs. Konsequenterweise würde der erste Schritt lauten: Das Geld aus der Gleichung entfernen. Doch wie? Der Gleichung fehlt eine dynamische Komponente, die einen vollständigen Neustart ermöglichen, die Relevanz des Geldes für den sportlichen Erfolg nichtigen und keine Altlasten mit sich schleppen würde. Doch Rettung naht: In Form einer Lotterie könnte die dringend benötigte Dynamik in die Gleichung eingespeist werden.

Das große Ziehen

Ausgangslage Deutsche Bundesliga. Einstiegspunkt wäre ein drastischer Druck auf den Reset-Button. Folge: Alle Spieler, die bei den 18 Bundesligisten gegenwärtig unter Vertrag stehen, würden an einem Stichtag X vereinslos werden. Im Anschluss findet eine rundenbasierte Urziehung statt. Jeder der 18 Vereine wählt pro Runde einmal 1 Spieler aus dem Pool der freigestellten Spieler aus. Die Verteilung der Spieler erstreckt sich über 25 Runden, so dass jeder Verein zum Ende der Ziehung über einen Kader von 25 Spielern verfügen sollte. Mit diesen 25 Spielern würden sie die kommende Spielzeit bestreiten. Spieler, die nicht ausgewählt werden würden, werden registriert und können während der Saison nachträglich verpflichtet werden.

Die Position an der ein Verein in jeder Runde zieht, könnte für die erstmalige Ziehung durch einen Algorithmus festgelegt werden, der auf Chancengleichheit abzielt. Optimalerweise würde sich dadurch in jeder Runde die Positionierung der Ziehenden so verändern, dass kein Verein überdurchschnittlich häufig früh bzw. spät in einer Runde ziehen würde. Im Gegensatz zur Urziehung orientieren sich die anschließenden Ziehungen nach Ablauf einer Spielzeit an den Platzierungen der zurückliegenden Saison. (Offensichtlicherweise lehnt sich dieser Modus an die Abläufe des NFL Drafts an.) Das schlechteste Team dürfte folglich Runde für Runde als erstes wählen, während das beste Team zum Ende einer Runde seinen Spieler wählt.

Nach Ablauf einer Saison würden erneut alle Teams ihre Spieler zum Stichtag X verlieren. Ausgenommen wären lediglich bis zu 5 Spieler aus den eigenen Reihen, die jeder Verein vor dem Stichtag nominieren und öffentlich mitteilen würde. Diese 5 Spieler, nennen wir sie Rollenspieler, würden ihren Verein nicht verlassen und auch in der kommenden Saison für den gleichen Verein spielen. Somit könnte eine gewisses Maß an Planbarkeit und Entwicklungspotenzial dem Wettbewerb injiziert werden und auf Fanseite die Identifikation mit einem Verein begünstigen. Folglich würde ein Verein nur 20 neue Spieler auswählen dürfen, wenn er sich entschließt, alle 5 Rollenspieler zu behalten. Im Gegenzug müsste besagter Verein aber in den ersten 5 Runden der Ziehung aussetzen. Die freigewordene Zugposition kann nicht von anderen Mannschaften beansprucht werden, sondern für die ersten 5 Runden reduziert sich schlicht die Anzahl der ziehenden Teams. Ab Runde 6 nimmt dann wieder das vollständige Teilnehmerfeld an der Ziehung teil.

Nach der Ziehung darf jeder Verein mit 5 Spielern aus der eigenen Jugendakademie seinen Kader aufstocken. Netter Nebeneffekt: Die Qualität der Jugendförderung und Integration junger Spieler in den Profibereich würde noch mal an Relevanz gewinnen.

Ein Mannschaftskader würde damit insgesamt 30 Spieler umfassen, womit gleichzeitig die Höchstgrenze erreicht wäre. Weitere Verpflichtungen bzw. Ergänzungen (z.B. aus dem Pool nicht verpflichteter Spieler) könnten nur unter Berücksichtigung der Höchstgrenze stattfinden und ggf. das Freimachen eines Kaderplatzes erfordern - infolgedessen freigestellte Spieler würden wiederum im Pool der nicht verpflichteten Spieler landen und stünden zur Verpflichtung durch andere Vereine bereit. Alternativ dürften Vereine miteinander Spieler tauschen, vorausgesetzt alle Beteiligten - Spieler inbegriffen - stimmen dem Tausch zu. Eine ligaweit geltende Gehaltsstaffelung samt Obergrenze würde das Wechseln aus finanziellen Beweggründen eliminieren oder zumindest minimieren.

Klärungsbedarf

Eine ganze Reihe an Fragen und Rahmenbedingungen wären noch zu klären, welche die Grenzen dieser Skizze übertreten. Dennoch möchte ich einige drängenden Fragen zumindest unkommentiert erwähnen:

Wie ließe sich das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl gesetzeskonform regeln?
Welche Rechte stehen Vereinen bzw. Spielern (auch freigestellten Spielern) im Detail zu?
In welcher Form wären internationale Transfers zu bewerkstelligen und die Diversität unter den Spielern sicherzustellen?
Wie viele Spielertäusche bzw. Transfers wären während einer Saison angemessen?
Wie könnten Vereine auf (langwierige) Verletzungen reagieren, ohne den verletzten Spieler freistellen zu müssen und höchstwahrscheinlich zu verlieren?
Wie ließen sich Auf- und Abstiege regeln, ohne Wettbewerbsverzerrungen zu verursachen?
Wie ließe sich dieses Format international - bspw. auf die Mitgliedsverbände und -ligen der UEFA übertragen?

Zugegeben: Der Gedanke einen Robert Lewandowski im Dress der Arminia auflaufen zu sehen, mutet zunächst skurril an. Doch es ist definitiv aufregender als zum 9. Mal in Folge die gleiche Mannschaft die Meisterschale in die Luft stemmen zu sehen.

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