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Die Zukunft des Stadions: neben Kampfbahn auch Erinnerungsort und Parlament

Klaus Hansen träumt davon, dass Menschen nicht nur zum Fußball ins Stadion strömen. Vielmehr solle dort auch Vergangenes erinnert und Zukunft demokratisch gestaltet werden.

 

Mit der Fußball-Utopie "Die Zukunft des Stadions: neben Kampfbahn auch Erinnerungsort und Parlament " bewirbt sich Klaus Hansen um den mit bis zu 5.000 Euro dotierten easyCredit-Fanpreis 2020. Bewerbungen waren bis zum 31. August 2020 möglich. Alle Informationen zur Teilnahme am Wettbewerb "Fußball-Utopie des Jahres"

Das Stadion als
 - Spielort
verdient keine weitere Thematisierung. Es sei denn, man möchte die erweiterten Nutzungsmöglichkeiten als Anzeichen der Ent-Auratisierung des einstmals exklusiv dem Sport vorbehaltenen Ortes problematisieren. Mit den Worten von Rudi Assauer: "Mittwochs Biathlon auf Schnee, freitags Fußball auf Rasen, samstags Oper auf Parkett und sonntags Der Papst in Gelsenkirchen", so Assauer 2003 über das Veranstaltungsspektrum in der neuen Gelsenkirchener Veltins-Arena.
 
Das Stadion als
- Erregungsort
An Spieltagen ist das Fußballstadion immer auch eine öffentliche Bedürfnisanstalt für erregte Seelen. Hier ist es möglich, straffrei "die Sau rauszulassen", um danach entschlackt und geläutert ins zivile Leben zurückzukehren. Ein unverzichtbarer Ort der Psychohygiene! – So jedenfalls erhoffen es die Katharsis-Jünger.
 
Das Stadion als
- Tatort
also als Schauplatz von Gewalt, Ausländerfeindlichkeit und vielen anderen Formen destruktiven Sozialverhaltens im Zusammenhang mit Fußballspielen; das ist seit dem Jahr 2000 Gegenstand der sozialpädagogischen Arbeit mit Fußball-Fans in den "Fan-Projekten". Hier geht es vor allem um die Dokumenation und Analyse von Vorfällen.
 
Das Stadion als
- Lernort
ist eine Unternehmung eben dieser Fan-Projekte seit dem Jahr 2009. Die Fußballbegeisterung Heranwachsender wird genutzt, um sie zu Seminaren der politischen und kulturellen Bildung in den magischen Ort Stadion einzuladen. Themen wie Umgang mit Vorurteilen, Rechtsextremismus und gewaltlose Konfliktregelung stehen auf dem Lehrplan.

Meine erste konkrete Utopie, anknüpfend an die vorstehende Abfolge und diese fortsetzend, möchte das Stadion als
- Erinnerungsort
in den Mittelpunkt rücken und zum Gegenstand eines intergenerationellen Dialogs machen.
 
Der Begriff "Erinnerungsort" ist erklärungsbedürftig. Das Konzept der "lieux de memoire" (Erinnerungsorte) ist in den 1990er Jahren in Frankreich entwickelt worden. Dem deutschen Historiker Hagen Schulze zufolge sind Erinnerungsorte "langlebige, Generationen überdauernde Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung". Gemeinsam ist den Erinnerungsorten, dass viele Menschen Unvergessliches mit ihnen verbinden. Jeder Besuch dieser Orte belebt die Erinnerung stets aufs Neue.  Erinnerungsorte haben eine identitätsstiftende Funktion für Einzelne und Kollektive.
 
Taugt das Fußballstadion als ein so verstandener Erinnerungsort?  Wenn wir an das Wankdorf-Stadion in Bern denken, sind die Zuschreibungen eindeutig: In diesem Stadion sei am 4. Juli 1954 ein neues deutsches Selbstbewusstsein ("Wir sind wieder wer") begründet worden. Der Gewinn der Weltmeisterschaft im Leitsport Fußball sei Balsam für die gebeutelte Seele der besiegten Kriegsnation gewesen. Fortan war das Wankdorfstadion bis zu seinem Abriss 2001 eine Pilgerstätte für viele Deutsche. (Der Autor dieser Zeilen hegt Mauerreste des Wankdorf-Stadions als Devotionalie.) Und in der Ahnengalerie der "Gründerväter" der Bundesrepublik erhielt Fritz Walter, der Spielführer der WM-Mannschaft von 1954, seinen Platz neben Konrad Adenauer und Ludwig Erhardt. Andere Staaten posieren mit weitaus übleren Dreigestirnen!
 
Wer je an einer Führung durch das Olympiastadion in Berlin teilgenommen hat, kann sich lebhaft vorstellen, dass an diesem Ort sich die Geschichte Deutschlands im 20.Jahrhundert wie in einem Brennglas bündelt und exemplarisch darstellen lässt. Hier gilt es, Erinnerungen von Gewährsleuten zu hören, Menschen, die "dabei gewesen" waren. Wo diese Verkörperungen des "kommunikativen Gedächtnisses" fehlen, gilt es das "kulturelle Gedächtnis" der Bücher, Filme und anderer Speicher zu konsultieren, um zum Beispiel die "Erzählungen" der Stein gewordenen Architektur auch "richtig" lesen und verstehen zu können. Diese Gedanken sind auf andere Orte zu übertragen. In Gelsenkirchen würde der Weg von der Glückauf-Kampfbahn über das Park-Stadion zur Veltins-Arena führen; in Dortmund von der Roten Erde über das Westfalen-Stadion zum Signal-Iduna-Park. Allein die Namensgebungen sprechen Bände! Allein an den drei Generationen der Stadien im Ruhrgebiet lässt sich der Strukturwandel von einer Kohle- und Stahlregion zu einer Dienstleistungs-Region beispielhaft veranschaulichen und erzählen. Dabei ist die Einbindung von "Zeitzeugen" unverzichtbar, weil es primär um erlebte Geschichte geht und erst sekundär um referierte Historie.
 
 
Meine zweite konkrete Utopie richtet sich auf die Nutzung des Stadions als politisches Forum; das Stadion als
- Parlament
Wir leben in einem politischen System der repräsentativen, also mittelbaren Demokratie; manche sprechen im abschätzigen Ton von "Stellvertreterdemokratie". Mit diesem Demokratie-Modell sind diverse Entfremdungserscheinungen zwischen Wahlvolk und gewählten Vertretern verbunden, die ihren Anteil an der oft beklagten "Politikverdrossenheit" haben. Darum schlage ich vor, die repräsentative Demokratie durch die direkte Demokratie zu ergänzen und dabei sowohl an die athenische Agora als auch an den Marktplatz im schweizerischen Appenzell zu denken. Nicht auf Bundes- und Landesebene, sondern auf überschaubarer lokaler Ebene sind Modelle direktdemokratischer Stadtpolitik durchaus denkbar. Hier kommt das Fußballstadion als Massenversammlungsort ins Spiel, das baulich nichts anderes als ein großes Amphitheater ist, modernen Plenarsälen nicht unähnlich.
 
Am Beispiel einer kleinen Großstadt könnte man diese Utopie einmal ausbuchstabieren und durchrechnen, wofür hier nicht der Platz ist. Nur so viel: Die Stadt Kaiserslautern hat knapp 100 TSD Einwohner und ein nach Fritz Walter, Sohn der Stadt und größter Ballkünstler der Wehrmachtsgeneration, benanntes Stadion, das man mit Innenraum-Bestuhlung auf ein Fassungsvermögen von 60 bis 70 TSD Plätze erweitern könnte. Hier hätten alle wahlberechtigten Bürger der Stadt Platz, um über die politischen Angelegenheiten der Kommune direkt und vor Ort dia- und multilogisch zu beraten und verbindlich zu entscheiden. Die digitalisierten Interaktionshilfen unserer Zeit würden es ermöglichen, aus der leibhaftigen Anwesenheit (die unverzichtbar ist) tendenziell aller Wahlbürger ein produktives Forum zu machen – mit allen Chancen für die viel zitierte, aber kaum je gesehene "Schwarmintelligenz". Lenin formulierte einst die Zauberformel: Elektrifizierung plus Sowjetmacht ergibt Kommunismus. Angelehnt daran könnte man heute postulieren, freilich nicht ohne ein Augenzwinkern: Fußballstadion plus Digitalisierung ermöglicht direkte Demokratie.

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