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Geschichte

"Reise zum 'Erzfeind'"

Deutschland und Frankreich trafen sich lange meist mit den Waffen - Walther Bensemann setzte sich dagegen für verbindende sportliche Wettkämpfe ein. Heute selbstverständlich, war es 1898 fast undenkbar. Der dritte Teil von Bernd-M. Beyers Reihe zu den ersten internationalen Fußballspielen.

Walther Bensemann, vermutlich im Jahr 1896.

Das deutsche Team in Paris. Walther Bensemann (mit weißer Hose) steht in der Mitte, rechts neben ihm Ivo Schricker.

"Nur ein Dummkopf, der keine Idee von der furchtbaren Tragweite eines Weltkrieges in der heutigen Kulturepoche hat, kann wünschen, dass Frankreich und Deutschland wieder zu den Waffen greifen. Unsere Fußballspieler wären wohl die letzten, sich dem Kampfe feige zu entziehen; aber vorläufig handelt es sich nicht um die ernste Eventualität, die auch der Mutigste bedauern müsste, sondern um das öde Geschwätz degenerierter Scribenten. Jeder Mann von Gefühl und Verstand sollte sich freuen, wenn Franzosen und Deutsche sich zum ersten Mal auf friedlichem Boden träfen und den alten Nationalhass vergessen würden."

Als Walther Bensemann im Dezember 1894 mit solch deutlichen Worten für ein grenzüberschreitendes Fußballspiel zwischen einer deutschen und einer französischen Mannschaft warb, war er ein 21-jähriger Student und in Süddeutschland als Fußballmissionar unterwegs. Für einige Zeit hatte er auch in Straßburg gelebt, das seit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 mal wieder zum Deutschen Reich zählte und dessen wechselvolle Geschichte ihm reichlich Anschauungsmaterial darüber lieferte, wie tief die Gräben zwischen den Erzfeinden gezogen waren. Hier entstand seine Idee, grenzüberschreitende Fußballspiele in den Dienst der Völkerversöhnung zu stellen. 

Er hoffe, formulierte Bensemann etwas später, dass "der Fußballsport zum Kulturfaktor, zu einer machtvollen Bewegung" heranwachsen werde, die "das gegenseitige Verständnis besser, die gegenseitige Achtung tiefer" werden lasse. Sein Vorbild wurde der Sportverkehr zwischen Frankreich und Großbritannien, der um die Jahrhundertwende der "Entente Cordiale" vorausgegangen war. In diesem britisch-französischen Einigungswerk sah er weniger ein Werk der Politiker "als vielmehr die Folge von vielen hundert internationalen Wettspielen, die Vorurteile beseitigt und achtungsvolles Einvernehmen begründet haben".

"Nicht mit dem Ball, sondern mit Kanonen"

Ein Fußballspiel zwischen deutschen und französischen Teams hatte es bis dahin noch nicht gegeben, und die Begeisterung für Bensemanns Idee hielt sich hüben wie drüben in Grenzen. Eine französische Sportzeitung schrieb über den Vorschlag eines Spiels in Straßburg sogar, man werde nicht mit dem Ball dorthin kommen, sondern mit Kanonen.

Es dauerte einige Jahre und einen längeren Aufenthalt in Paris, bis Bensemann seinen Plan umsetzen konnte – auf eigene Faust, auf eigene Kosten und ohne den Segen der bereits existierenden Regionalverbände. Lediglich der Berliner Fußball- und Cricketbund ließ sich überzeugen, und so fuhr im Dezember 1898 eine vornehmlich aus Berliner Spielern bestehende Auswahl nach Paris. Verstärkung erhielt sie durch einige Spieler der inzwischen aufgelösten Karlsruher Kickers sowie den Hamburger Torhüter Ludewig Friese, der als stärkster seines Fachs in Deutschland galt. 

In Paris traf man am 12. Dezember zunächst auf den mehrfachen Vizemeister White Rovers und einen Tag später auf eine rasch zusammengetrommelte Pariser Stadtauswahl. Die Deutschen gewannen 7:0 und 2:1. Der Völkerverständigung diente vor allem die Nacht dazwischen, als die Deutschen mit ihren Gastgebern das "gai Paris" erkundeten, dabei über Gott, die Welt und die aktuelle Dreyfus-Affäre diskutierten und am Ende zwei "Absinth-Leichen" zu beklagen hatten. 

Wie man weiß, verhinderte der aufkeimende Sportverkehr nicht, dass sich Frankreich und Deutschland im Ersten Weltkrieg wieder als Feinde gegenüberstanden und grausame Schlachten lieferten. So kam es, dass Bensemann nach 1918 sein altes Verständigungsprojekt umso energischer wiederbelebte und schrieb: "Ich erblicke in der Wiederaufnahme sportlicher Beziehungen zwischen dem Elsass und Deutschland das beste, ja, das einzige Mittel, eine Völkerversöhnung anzubahnen, die kommen muss, wenn sich nicht zwei Völker, die einen Segen für die Menschheit bilden könnten, aneinander aufreiben sollen."

von Bernd-M. Beyer

Kurz vor Ende das Jahrhunderts gelang es Walther Bensemann auch Spiele gegen Teams aus England, dem Mutterland des Fußballs, auf die Beine zu stellen. Die Geschichten und Ergebnisse dieser sogenannten "Urländerspiele" gibt es im vierten Teil der Reihe.

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