NominiertFußballbuch 2022

Der Fluch der Megaclubs

Wie die reichsten Vereine der Welt den Fußball zerstören (2021/2022)
Nominiert zum  Fußballbuch des Jahres 2022 
Rowohlt
Verlagsinfo www.rowohlt.de
13,00 Euro
978-3-499-00670-8

Rezension: Der Fluch der Megaclubs

Thomas Grethlein
von Dr. Thomas Grethlein

Jeder Wettbewerb erfolgt nach Regeln – sonst herrscht das "Recht" des Stärkeren. Begeht ein Spieler auf dem Platz ein grobes Foul, pfeift der Schiedsrichter und toben die Fans. Verletzt ein Verein die Lizenzierungsregeln, wird er von der DFL für den Ligabetrieb nicht zugelassen. Doch wie steht es um die Regeln, die für fairen Wettbewerb sorgen sollen? Dieser Frage widmet sich Christian Spiller in seinem Buch über den Fluch der Megaclubs.

Von Hartmut Böhme stammt das wunderbare Diktum: Das "Unberechenbare ist die große Parallele, die der Fußball mit dem Leben hat und der Grund, weshalb Fußball Leben ist." Die Unberechenbarkeit ist dem Fußball immanent – und doch gehen die Megaclubs, die großen Vereine Europas, gegen sie an, versuchen sie zu minimieren, vielleicht gar zu eliminieren. Weil Unvorhersehbarkeit schlecht fürs Geschäft ist. Doch die Unberechenbarkeit ist, darauf verweist Spiller immer wieder, wichtig und elementar für diesen faszinierenden Sport.

Wie erfolgreich die Megaclubs dabei sind, die Unberechenbarkeit zu eliminieren, zeigt Spiller anhand zahlreicher Beispiele und Fakten auf. Diese Clubs dominieren ihre jeweiligen nationalen Ligen und sie dominieren die europäischen Wettbewerbe, machen sie zunehmend zu geschlossenen Veranstaltungen.

Gab es in den letzten zehn Jahren nur einen Deutschen Meister, den FC Bayern München, so konnten in den ersten zehn Jahren der Bundeliga noch sieben verschiedene Vereine den Titel gewinnen. Selbst Franz Beckenbauer und Gerd Müller gewannen nie mehr als drei Meisterschaften nacheinander. "Besonders eindrucksvoll lässt sich die Überlegenheit der modernen Fußballmeister an den Tordifferenzen ablesen […]. In den zehn Jahren von 1992 bis 2001 hatten die Deutschen Meister eine durchschnittliche Tordifferenz von 34,2 Treffern […], ehe der Wert in den vergangenen zehn Jahren auf 64,1 Tore anwuchs." Ernüchternde Zahlen. Und kein Wunder, dass zahlreiche Fans die 2. Bundesliga inzwischen nicht nur für die spannendere, sondern sogar auch für die attraktivere Liga halten.

Ein ähnliches Bild ergibt der Blick auf andere europäische Ligen: Dinamo Zagreb errang 15 der letzten 16 Meistertitel in Kroatien. In Polen gewann Legia Warschau sieben der letzten neun Meisterschaften, ebenso wie Paris St. Germain in Frankreich. Eintönigkeit, Tristesse und Langeweile all überall. Während die Krimis im Fernsehen einen immer größeren Anteil an den Sendungen haben, verschwindet der Thrill aus dem Fußball. Alle Statistiken, zeigen einen Trend zu großer Ungleichheit in den europäischen Ligen.

Warum das so ist? Die Transformation des ehemaligen Europapokals der Landesmeister zur sogenannten Champions League übervorteilt deren Teilnehmer in den jeweiligen nationalen Ligen. Die Champions League ist, wie Spiller sagt, "ein großer Etikettenschwindel" und "zum größten Treiber der Ungleichheit im europäischen Fußball geworden." Dürfen doch aus den "großen" Ligen in England, Spanien, Italien und Deutschland mittlerweile jeweils vier Mannschaften mitspielen und besetzen damit die Hälfte aller 32 Startplätze. Und auch dort stellt ein kleiner Kreis die regelmäßigen Sieger: "Innerhalb der Fußballelite hat sich eine Superelite gebildet."

Spiller zeigt in der Folge auf, welchen Einfluss die Superreichen Oligarchen und die Investitionen der Ölstaaten auf den Fußball haben. Investoren machen die Megaclubs – oftmals unter Umgehung der euphemistisch so genannten Regeln des Financial Fairplay – mit ihren Mitteln noch größer und verzerren mit ihrem Finanzdoping den Wettbewerb nochmals mehr als alles andere.

Im Streit um die Verteilung der TV-Gelder erkennt Spiller "die Grundsatzfrage, wie sehr der Liga Gerechtigkeit und Chancengleichheit am Herzen liegt." Kaum jemand wird sich noch daran erinnern, dass bis zur Saison 1999/2000 alle Vereine den gleichen Anteil an den Fernsehgeldern bekam. Als mit dem Pay-TV sehr viel mehr Geld in die Liga kam, wollten die großen Vereine einen größeren Anteil davon. Und sie bekamen ihn auch.

Auch die Fans und die Veränderung der Soziologie der Zuschauer finden in Spillers Buch Berücksichtigung. Nicht nur die organisierten Fans, die sich mit großem Engagement in die Arbeitsgruppe zur Integrität des Wettbewerbs der DFL einbrachten, waren am Ende enttäuscht, wie wenig sich von ihren Ideen und Konzepten im Abschlussbericht wiederfand. Erstaunlich ist außerdem, dass der unorganisierte Fan noch immer ein weitgehend unbekanntes und unerforschtes Wesen ist. Die Vereine bekommen bereits die Auswirkungen des veränderten Konsumverhaltens der "neuen Fans" zu spüren. Auch dadurch wird die Kluft zwischen Arm und Reich im Fußball vergrößert.

Gegen Ende seines Buches widmet sich Spiller den Alternativen, die sich für die Entwicklung des Fußballs bieten. Auch wenn man diesen im Einzelnen nicht zustimmen mag, so wird hier doch ein Diskussionsraum eröffnet, in den sich all jene einbringen sollten, denen die Zukunft des Fußballs am Herzen liegt.

Wird den aktuellen Tendenzen nicht Einhalt geboten, bekommt der Fußball nicht nur ein anderes Gesicht, er verliert auch seinen Charakter. Der Fußball ist dann nicht mehr das Leben. Er ist zur bloßen Show degeneriert.

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