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Nominiert Fußballbuch 2022

Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen

Fussball nach Pier Paolo Pasolini (2021/2022)
Nominiert zum  Fußballbuch des Jahres 2022 

Aus dem Italienischen von Judith Krieg. Mit einem Vorwort von Moritz Rinke.

Rezension Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen. Fußball nach Pier Paolo Pasolini

Iwona Lompart
Iwona Lompart

"Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen. Fußball nach Pier Paolo Pasolini" von Valerio Curcio verspricht schon mit dem Titel einen Inhalt, der sich mit einem Gebiet weit über dem des Sports beschäftigt. Was sofort ins Auge fällt, auf dem Buchumschlag, aber auch beim Durchblättern im Text, sind die Fotos, die anfangen eine Geschichte zu erzählen, bevor die Worte fließen.

Das Vorwort von Moritz Rinke sagt an, was sich bei der Lektüre voll bestätigt: wir dürfen weit über den Tellerrand des Fußballs schauen und sind hier mit zahlreichen Anspielungen zu Kunst und Leben von Pier Paolo Pasolini bereichert.                          

Kultur beschäftigt sich mit Fußball, emotional und intensiv, ob Fußball gleichermaßen mit Kulturfragen – daran kann man zweifeln. Pier Paolo Pasolini wird deutlich im Text als eine Ausnahme präsentiert, die diese beiden Milieus vereinigt. Es begeistert, dass wir auf den knapp 200 Seiten, auch eine Suche nach Poesie erfahren, nach ihrer Quelle, die wahrscheinlich auch die gleiche für Pasolini ist, wie die Quelle des Fußball-Faszinosums.

Was geht, was bleibt übrig, vom Verhältnis zum Fußball fast ein halbes Jahrhundert nach dem Tod von Pasolini? Valerio Curcio zeigt uns ein Kaleidoskop vielfältiger Verbindungen, die mit dem Fußballspiel in Pasolinis ganzen Leben verflochten waren. Fußball steckt seit der Kindheit in den Gedanken des Künstlers und in der Entwicklung seines Geistes. Die Lesenden werden in die minuziöse Topografie des Fußballfeldes mitgenommen. Es ist eine Fläche, die überwältigend wie eine Lebenswelt des großen Poeten und Filmemachers bleibt, die weit das Ausmaß einer verdorrten Spielwiese oder auch eines Sportplatzes überschreitet. Gefolgt von Protagonisten Pasolinis früheren Werkes "ragazzi di vita" treffen wir im Text ebenso die Persönlichkeiten, die für die Kulturlandschaft der Nachkriegszeit in Italien prägend waren, und auch heute in ihren Werken voll präsent bleiben.

Valerio Curcio bringt im Text nicht zuletzt die Kraft der Anekdote zur Geltung. Zum Dank wurden zahlreiche Momente in Erinnerung gerufen, die nicht in die ersten Seiten der Sportmagazine gelangen. Es wurden ausgesuchte, zeitlose Äußerungen Pasolinis zu Fußball und Kunst im politischen, aber auch im erotischen Hinblick festgehalten. Die Höhepunkte während des Spiels auf Wiesen in den Peripherien der Großstädte sind mit Erlebnissen an großen Stadien gleichgestellt. Wir sehen Pier Paolo Pasolini beim spontan entschiedenen Einkauf von Trikot in einem Adidas-Geschäft in Frankfurt. Ihn, denjenigen, der gegen Konsumismus und Kaufrausch seine stärksten intellektuellen und künstlerischen Mittel eingesetzt hat… Oder Pier Paolo Pasolini stellt sich dem Bernardo Bertolucci, einen Filmkünstler dem anderen Filmkünstler, dadurch soll sich eigentlich das gerade verfilmte Werk "120 Tage Sodoma" dem "Novecento" ("1900") stellen. Wir sind dabei, als die beiden sich auf dem Fußballfeld stellen, um ihre Rivalität im Kunstbereich zu entschärfen. Kann das wirklich gelingen?

Valerio Curcio ist im Werk von Pier Paolo Pasolini genauso bewandert, wie auch in Materialien, die über ihn entworfen wurden. Es ist ein Zeugnis seiner Passion und ebenso einer mehr als soliden Recherche.

Wenn wir uns zum 100. Geburtstag des bekannten italienischen Künstlers eine frische Sicht auf seine Gestalt wünschen, finden wir sie ganz sicher im Text von Valerio Curcio – dem Buch über Fußball, den Pasolini als Ritus erkannte, praktizierte und ausbreitete. Er wollte oft genug zu diesem Thema als Experte befragt werden. Ob es, wie auch viele andere seiner intellektuellen und menschlichen Wünsche und Träume, in Erfüllung ging?

Bei der spannend wiedergegebenen Forschung über das letzte Spiel von Pasolini, sein letztes Interview, oder letzten Artikel zum Thema Fußball kriegen wir im kurzen Textabschnitt dargestellt große Fragen, etwa solche, die die Sprache des Sports und der Kultur gegeneinanderstellen.

Ein Intellektueller schreibt hier gekonnt und begeistert über einen anderen Intellektuellen. Es liest sich aber auch auf dem Unterhaltungsniveau hervorragend und lädt dazu ein immer wieder an die beschriebenen Geschichten und Namen zurückzukehren.

Ich glaube, dass Valerio Curcios Buch "Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen" bewirkte, dass ich Pasolini in der Sache des Fußballs ebenso wie in Sachen Kunst und Kultur vertrauensvoll begegne, nicht ohne die Wirkung der mitreißenden Sprache der Übersetzung von Judith Krieg. Ich kann mich hier auf die vertrauensvollen Ciceronianer verlassen.

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