Football Leaks
Die schmutzigen Geschäfte im Profifussball (2016/2017)Rezension: Football Leaks - Die schmutzigen Geschäfte im Profifußball
Nicole Selmer"Nennt mich John", sagt der Mann hinter den Football Leaks. So ähnlich beginnt auch Hermann Melvilles "Moby Dick", doch der Portugiese John nimmt die Spiegel-Redakteure Rafael Buschmann und Michael Wulzinger nicht mit auf die Jagd nach einem weißen Wal. Ihr Leviathan sind die Geldgeschäfte des Fußballs, die sie mithilfe der Informationen, die John ihnen liefert, über die ganze Welt verfolgen. Es sind legale, halblegale und vermutlich auch illegale Deals, der größte Teil davon war bis zu den Enthüllungen nicht bekannt.
Die Versuchung ist groß, sich bei der Lektüre des Buches auf die Zahlen zu konzentrieren – auf die Datenmengen, die von der Internetplattform geleakt bzw. den Redakteuren zur Verfügung gestellt werden, und auf die Geldsummen, die hin- und hergeschoben werden zwischen Vereinen, Vermarktungsfirmen, Sponsoren und Steueroasen.
Interessanter als Zahlen und Namen sind jedoch die Verstrickungen, die in "Football Leaks" deutlich werden – die Netze, in denen alle Akteure gefangen sind. Das Verblüffende ist nämlich, dass die schmutzigen Geschäfte im Profifußball nicht immer eindeutige Profiteure haben. Wir lesen von Verträgen, die den Spielern Millionen bringen, ihnen ihr Verhalten jedoch auch bis ins Kleinste und Absurdeste vorschreiben und ihnen den Mund verbieten. Wir lesen von Transfers, die geschehen, nicht weil sie sportlich sinnvoll sind, sondern weil die Investoren ihren return of investment erwarten. Vereine zahlen Unsummen an Spielerberater; Verbände versuchen zum Teil, Gegenmaßnahmen zu ergreifen wie etwa die Regulierung des third party ownership, lassen dabei jedoch – bewusst oder nicht – Schlupflöcher, durch die immer wieder neues Geld in den ohnehin vollgepumpten Kreislauf gelangt.
Die Enthüllungen der "Football Leaks" reihen sich ein in die Berichte über korrupte und korrumpierende Fußballinstitutionen und Akteure. Längst hat ein Gewöhnungseffekt eingesetzt, und diese Nachrichten werden allzu schnell mit einem Achselzucken hingenommen. Die Autoren fordern auch deswegen, dass der Fußball nicht sich selbst und seinen Regeln überlassen bleiben darf, sondern zum Gegenstand weltlicher Gerichtsbarkeit gemacht werden muss. Das passiert – gerade in Spanien haben die Ermittlungsbehörden die Arbeit verstärkt aufgenommen und damit schon für einige Unruhe gesorgt.
Was "Football Leaks" jedoch jenseits der Detailinformationen über den großen schmutzigen Fußball, jenseits möglicher Hinweise für Anklageerhebungen und jenseits aller Empörung über die "Scheißmilliardäre" und ihre Freunde zu einem wichtigen Buch macht, das ist der, den sie John nennen. Er liefert fortlaufend Dokumente – deren Herkunft unklar ist, deren Echtheit aber bislang unbezweifelt scheint –, er verdient sein Geld vermutlich mit verschiedenen Geschäften im Internet und fürchtet verständlicherweise um seine persönliche Sicherheit. Wir erfahren seinen wirklichen Namen ebenso wenig wie seinen Wohnort. Doch wir lernen, dass der Mann, der, gemeinsam mit einigen anderen, das System Fußball verändern, ja vielleicht zu Fall bringen will, selbst Fußballfan ist. Die Tore von Ronaldo, der Champions-League-Sieg von Real Madrid und der EM-Titel für Portugal – das sind Momente großer Freude für John, obwohl er besser als viele andere weiß, um welchen Preis sie zustande gekommen sind. Es ist ein Widerspruch, der Johns Handeln und Sprechen durchzieht, und es ist einer, der auch die Leserinnen und Leser des Buchs trifft, die selbst Fans sind. "Football Leaks" stellt uns vor eine Frage, die John in einer der ersten E-Mails an die Spiegel-Redakteure schickt: "Was ist dein Problem mit Fußball?"