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Platz 2 Fußballbuch 2018

Fieberwahn

Wie der Fußball seine Basis verkauft (2017/2018)
Platz 2  Fußballbuch des Jahres 2018 

Rezension: Fieberwahn - Wie der Fußball seine Basis verkauft

Marco Puschner / Nürnberger Zeitung

Einstmals charismatische Klubs werden zu Fußball-Großkonzernen, die Ansetzung der Spieltermine folgt nur noch den Interessen der Fernsehzuschauer, irrwitzige Ablösesummen sorgen für allgemeine Verstörung: Der Fußball verkauft seine Basis, er befindet sich im "Fieberwahn". So lautet jedenfalls die Diagnose von Christoph Ruf  - und auch der Titel seines aktuellen Buchs.  

Ruf beschreibt eindringlich, wie die Belange von Stadionbesuchern, Amateurvereinen oder Vereinsmitgliedern mehr und mehr unter die Räder geraten. Schon auf den ersten Seiten ist die Analyse  bestechend – etwa, wenn er die Trainingslager von Bayern München, Borussia Dortmund oder Schalke 04 in Fernost im Jahr 2017 kritisiert. Eigentlich müsste den Trainern die Vorbereitung auf die neue Saison heilig sein, Reiserouten um die 20 000 Kilometer erscheinen wenig förderlich – aber es geht eben weniger um Fußball als um das Erschließen neuer Märkte. Das Spiel ist nur noch eine Ware, es regiert der pure Kapitalismus. Und dessen "wichtigste Regel“, meint Ruf, „gilt im Fußball wie im echten Leben: Immer schön nach unten treten."

Kluft zwischen Profi- und Amateurfußball wächst

Der Autor beklagt das wachsende Gefälle in der Bundesliga, wo es Vereinen wie Freiburg oder Mainz immer schwerer fällt, den Anschluss zu wahren. Vor allem aber kritisiert er die tiefe Kluft zwischen Profi- und Amateurfußball, die sich an der Regionalliga, der höchsten Klasse des Amateurfußballs, am anschaulichsten aufzeigen lässt. Die Profiklubs behandeln diese Klasse wie einen "aussätzigen Verwandten", schreibt Ruf, verlangen aber zugleich, dass ihre unattraktiven Zweitvertretungen dort mitspielen und den Zuschauerschnitt senken dürfen.

Und der absurde Aufstiegsmodus erlaubt nur drei (künftig vier) von rund 90 Teams den Sprung nach oben, während aus zweiter und dritter Liga immerhin zwei oder drei von 18 Klubs aufsteigen dürfen. Die Play-off-Spiele der Regionalliga-Meister um den Aufstieg erstrecken "sich wie ein mit Krokodilen besetzter Burggraben zwischen der vierten und dritten Spielklasse", schreibt Ruf – und demonstriert anhand solcher Vergleiche, dass er sprachlich-stilistisch in der ersten Liga spielt.

Verein als Gemeinschaftsort? Ab in die fünfte Liga

Mit der 2008 wieder eingeführten Relegation zur Bundesliga kann der Autor sich ebenfalls nicht anfreunden. Der Drittletzte der Bundesliga habe keinen weiteren Fallschirm verdient – aber weil es eben Fernsehgelder bringt, hetzen die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) "in zu Alles-oder-nichts-Partien hochgejazzten Duellen" die Spieler noch einmal aufeinander.

Doch das Buch des freien Journalisten lebt nicht nur von solchen Analysen, sondern auch von den Begegnungen mit Fans, Funktionären oder Trainern. Eines der stärksten Kapitel etwa handelt von Bernd Stadler, Geschäftsführer des baden-württembergischen Fünftligisten SV Spielberg. Der hält die Werte des Amateurfußballs hoch, sieht den Verein als Gemeinschaftsort – und empört sich, dass die Bayern fast 100 Millionen Euro an Fernsehgeldern bekämen, während der kleine C-Klassen-Verein für seine 20 Zuschauer 50 Cent Gebühren an den DFB abdrücken müsse.

Drei Vereine, die Mut machen

Um noch mehr Millionen zu generieren, suchen die großen Klubs nach finanzkräftigen Investoren; Ruf zeigt am Beispiel von 1860 München, dass dies gründlich schiefgehen kann. Der jordanische Geschäftsmann Hasan Ismaik pumpt viel Geld in den Verein, der dann aber trotzdem in der Viertklassigkeit landet – weil ein Fußballklub eben doch nicht so funktioniert wie eine Autofirma. Ruf zeigt aber auch Gegenbeispiele auf. Union Berlin, St. Pauli oder Dynamo Dresden haben sich nicht in die Hände mächtiger Geldgeber begeben, sondern ihren Mitgliedern viel Mitbestimmungsrecht eingeräumt - und sind trotzdem keineswegs dem Untergang geweiht.

Zugegeben, bei diesen drei Vereinen handelt es sich auch "nur" um Zweitligisten und nicht um die ganz Großen der Branche – aber Rufs Herz schlägt ohnehin immer eher für die Außenseiter. Der Autor beschreibt die Sorgen kleinerer Klubs so eindringlich, dass man sich zu Weihnachten ein Trikot des FK Pirmasens wünschen möchte. Schon in „Ist doch ein geiler Verein“ hat er sich mit den Underdogs beschäftigt – die Akademie für Fußball-Kultur kürte das Werk  2008 zum besten Fußball-Buch des Jahres. Zehn Jahre später wird es Zeit für den zweiten Titel.

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