Auf Abruf
NovelleEs gibt viele Irrtümer in der Literatur und noch mehr im Fußball, aber einen der größten Denkfehler teilen sich beide Felder. Dass der Fußball in der Literatur nicht für mehr taugt, als Geschichtslexika, Taktikschinken oder Kulturanalysen, ist Quatsch. Aber weit verbreiteter Quatsch. Dabei hat dieser Sport, mit all seinen Emotionen, seiner Historie, den Mythen, die sich um ihn ranken, auch massig Stoff für berührende Fiktion zu bieten. Ein Beweisstück: "Auf Abruf" von Bernd Cailloux.
Bernd Caillouxs Stärke liegt darin, den Geist einer Umgebung einzufangen, wie bereits im "Der gelernte Berliner". Auf ähnliche Weise berührt auch "Auf Abruf", eine Novelle, die fast nonchalant von Vergänglichkeit und Tod erzählt. Befähigt zu diesem lässigen Umgang wird das Buch von seiner Ausgangsszenerie, einem Kick im Tiergarten-Park: Caillouxs Held ist 73 Jahre alt, erzielt ein spektakuläres Tor – und verletzt sich hinterher, beim stolzen Nachahmen des Treffers, so sehr, dass er tagelang nicht aus der Badewanne kommt. Zwischen Wanne, Wasser und Selbstmitleid muss er sich mit dem eigenen Alter und körperlichem Verfall auseinandersetzen – und damit, dass auch das Bücherschreiben, sein Beruf und Leidenschaft, sich mittlerweile ähnlich krampfig anfühlt wie der letzte Sprint kurz vor dem Schlusspfiff. Eine rührend ironische Erzählung vom Älterwerden und darüber, wie es sich anfühlt, wenn man den Freizeitbolzplatz – und die Welt – irgendwann einer jüngeren Generation überlassen muss. Der Fußball ist zwar nicht das Hauptobjekt von Caillouxs Novelle, kommt sogar bis auf den Tiergartenkick kaum vor, funktioniert aber – wie in seinen besten Momenten auch in der Realität – als hervorragende Vignette und Metapher. Mit seinen wilden Bezügen, introspektiven Monologen und der idealen Prise Sarkasmus schafft "Auf Abruf" deshalb etwas, was andere Fußballbücher nur selten schaffen, sie überzeugen nicht bloß als Fußballbuch, sondern als Werk an sich.