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"Wir stehen für alles, was im modernen Fußball oft vergessen wird"

Auf der Verleihung der Deutschen Fußball-Kulturpreise nehmen sie am Freitag den MAX für die "Fußballkneipe des Jahres" entgegen. Vorab berichten die Fanpreis-Sieger im Interview von den Highlights aus dreizehn Jahren "Stadion an der Schleißheimer Straße" - und gehen auch auf Rückschläge und ihre persönliche Haltung zum Fußballgeschäft ein.

Michael "Michel" Jachan und Holger "Holle" Britzius in ihrem Stadion an der Schleißheimer Straße.
© SADSS

Am Freitag, 25. Oktober 2019, nehmen Holger "Holle" Britzius und Michael "Michel" Jachan in Nürnberg den easyCredit-Fanpreis für die "Fußballkneipe des Jahres" entgegen. Ihr Lokal, das Stadion an der Schleißheimer Straße, hatte sich in der Jurydiskussion durchgesetzt. Die von Katrin Müller-Hohenstein moderierte Verleihung der Deutschen Fußball-Kulturpreise in fünf Kategorien wird im Live-Stream auf fussball-kultur.org und kicker.de übertragen. Vorab blicken "Holle" und "Michel" im Gespräch auf ihr Schaffen zurück und lassen erkennen, was ihr "Stadion" so besonders macht.

 

Herzlichen Glückwunsch zum easyCredit-Fanpreis 2019 und 5.000 Euro Preisgeld! Das Stadion an der Schleißheimer Straße ist nun offiziell die "Fußballkneipe des Jahres". Ein Favoritensieg, oder?

Holger "Holle" Britzius: Zunächst einmal: vielen Dank! Für uns ist das ein echter Hammer und es bedeutet uns eine ganze Menge, diesen Preis zu gewinnen. Wenn man viele Jahre etwas mit Herzblut aufbaut und betreibt, das dann auf solch eine Art honoriert wird, ist das einfach schön. Aber Favoritensieg? Echt nicht. Zum einen kennen wir die Maßstäbe der Akademie-Jury nicht und zum anderen gibt es in der ganzen Republik genügend tolle Fußballkneipen – wie den "11er" in Augsburg oder "Gottes grüne Wiese" in Köln. Vielleicht haben sich manche überhaupt nicht beworben. Es war jedenfalls für uns keine "gmahde Wiesn", aber Geld in die Schweiz mussten wir auch nicht überweisen.

Neben unzähligen Live-Übertragungen der verschiedensten Fußballwettbewerbe stellt ihr jährlich ein beeindruckendes fußball-kulturelles Begleitprogramm auf die Beine. Wie groß muss ein Team sein, um das alles zu stemmen?

Michael "Michel" Jachan: Unser aktiver Kader besteht derzeit aus circa 25 Mädels und Jungs, die uns mit viel Leidenschaft in der Küche, im Service und am Zapfhahn unterstützen. Ohne das Engagement des Teams würde der Laden sicherlich niemals so gut funktionieren – auch wenn die Dynamik natürlich groß ist, da wir viele junge Leute und Studenten angestellt haben, die nach ein paar Jahren ins Berufsleben starten.

Holle: Und dann gibt es gerade bei den Veranstaltungen noch Stammgäste wie unseren Jan, ohne den wir niemals ein Mikro geschweige denn einen anständigen Ton hätten. Und wenn wir gerade die Gelegenheit dazu haben: Danke all jenen!

Was genau macht den Besuch bei euch denn so einzigartig?

Michel: Am besten fragt ihr das unsere Gäste. Aber wenn ihr unsere Meinung hören wollt: Liebe zum Fußball, Liebe zum Fan und Liebe zur Gastlichkeit. Als Chefs stehen wir so gut wie jeden Tag im Laden und versuchen für jeden, der vor unserer Tür steht, noch irgendwie einen entsprechenden Platz zu organisieren und ihn schnellstmöglich mit allem zu versorgen, was ihn glücklich macht.

Holle: Wenn wir da mit unserer handgeschriebenen Liste mit Reservierungen stehen und es dann tatsächlich funktioniert, dass auch wirklich alle das Spiel sehen, das sie wollen, sind manche Besucher ob dieser Bemühungen schon überrascht. Vielleicht ist es aber auch nur einzigartig, im Sommer auf nicht mal 100 Quadratmetern mit 150 anderen Gästen bei gefühlten 50 Grad ein Schnitzel auf den Knien zu essen und Fußball zu schauen...

Ihr legt großen Wert auf eure Überparteilichkeit, dementsprechend hat das Stadion an der Schleißheimer Straße keinen festen Bezug zu einem einzelnen Verein. Wäre es in München nicht viel einfacher gewesen, eine FC Bayern-Kneipe oder besser: eine 1860-Kneipe zu eröffnen?

Holle: Eine 60er- oder Bayern-Kneipe in München kann ja jeder. Als ich damals die Idee für das Stadion hatte, hatte ich vor allem all die "Zuagroastn" – wie wir es ja auch sind – im Sinn, die hier in München leben, ihren Verein aus der Ferne unterstützen und jeden Samstag ihr ganz persönliches Topspiel oder eben die Konferenz schauen möchten. Aber natürlich zeigen wir auch alle Spiele des FC Bayern und von 1860 München.

Und zwischen den unterschiedlichen Fanlagern ist es nie hitzig hin und her gegangen?

Michel: Wirkliche Gewalt haben wir in all den Jahren zum Glück nie erleben müssen. Werte wie Respekt, Toleranz und Fairness sind für uns das A und O im Fußball – und das wissen auch die, die zu uns kommen. Sollte es ein Gast einmal vergessen, wird er von uns in die Schranken gewiesen, sodass alle anderen weiterhin einen entspannten Fußballtag oder -abend genießen können. Keine Frage: Man darf und soll bei uns seinen Verein unterstützen und das kann auch gern mal lauter ausfallen. Aber wir möchten nicht, dass der gegnerische Verein oder seine Anhänger diffamiert werden. Und nach dem Spiel – egal ob Revierderby mit Schalkern und Dortmundern an einem Tisch oder knallhartem Abstiegskampf – sollte man eh ein Bier miteinander trinken können.

Vor zwei Wochen feierte das Stadion an der Schleißheimer Straße seinen 13. Geburtstag – eine beeindruckende Zeitspanne. Welche Highlights habt ihr in dieser Zeit erlebt und gab es auch mal Rückschläge?

Michel: Da könnten wir jetzt stundenlang erzählen. Ich bin ja erst seit 6 Jahren dabei, aber unsere erste gemeinsame Veranstaltung werde ich nie vergessen: Als Stepi Stepanovic aus seinem Leben erzählt hat und wir den ganzen Abend lang vor Lachen unterm Tisch gelegen sind. Aber auch der Abend mit Mirco und seinem autistischen Sohn Jason, die bei uns von ihrer Suche nach einem passenden Fußballverein für den Jungen erzählt haben, war einmalig...

Holle: ...oder Uli Borowka oder der große Heinz Höher, der seine Medikamente nicht dabeihatte oder Ente Lippens, der seine Schlafanzughose bei mir vergessen hat. Absolut. Aber neben all diesen Veranstaltungen gehören natürlich auch ganz einfach wunderbare Fußballabende voller Ausgelassenheit und Momenten der Freundschaft zu unseren Highlights, wie beispielsweise die WM 2014 oder diverse Auf- und Abstiege unserer Vereine. Aber es gab auch diverse unsichere und traurige Zeiten, in denen alles den Bach hinunter zu gehen schien. Besonders in den Jahren bevor Michel kam.

Also stand das Stadion tatsächlich mal vor dem Aus und wurde erst gerettet, als ihr als "Dreamteam" zusammengefunden habt?

Holle: Das ist schön ausgedrückt und stimmt tatsächlich so. Nach sechs Jahren mit verschiedenen Partnern - da ich ja nur nebenbei Wirt war, ging das nicht alleine - war das Stadion eigentlich schwersten Herzens verkauft. Freundschaften zerbrachen, Vertrauen war missbraucht worden und es ging plötzlich doch ums Geld. Der Verkauf war sogar notariell beglaubigt, aber die Jungs, die Fußball mit Cocktails und so machen wollten, haben zum Stichtag nicht gezahlt...

Michel: ...auf der Rückfahrt vom Pokalfinale aus Berlin hast Du mich angerufen! Da war die Niederlage mit dem VfB schnell vergessen...

Holle: ...und damit war eben wieder alles offen und Michel, der vorher schon im Stadion am Tresen gearbeitet hat, kam dazu und wir konnten die ehemaligen Teilhaber "überzeugen" und den Laden wieder übernehmen. Das Ganze zog sich über ein Jahr und hat mich – zudem als junger Vater – maximal belastet. Aber ist eben wie im Fußball: "Mund abputzen, weitermachen!"

Es ist auffällig, wie viel fußball-kulturelle Prominenz ihr bereits für eure Veranstaltungsformate gewinnen konntet. Seid ihr in Wirklichkeit ein elitärer Hochglanz-Laden, in dem sich Hipster der Maxvorstadt und Schwabinger Schickeria die Klinke in die Hand geben?

Michel: Wer einmal bei uns im Laden war, der weiß, dass wir alles andere als Hochglanz sind. Wir stehen für alles, was im modernen Fußball oft vergessen wird: Dass es auf den Sport und seine Geschichten ankommt und nicht um den Glamour, der vermarktet wird. Dieser Charme der alten Fußball-Schule gefällt – offenbar eben auch der Prominenz und den Veranstaltern oder auch TV-Sendern. Doch Schickeria – also außer der des FC Bayern – verkehrt bei uns schon allein deshalb nicht, weil wir keinen Schampus haben und auch durchaus mal ein Getränk auf die hippen Klamotten kippen kann! Spaß beiseite, bei uns geht es recht bodenständig zu, wem das gefällt, der kommt zu uns. Wir freuen uns, dass wir Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zu Gast haben – vom Vorstand bis zum Bodenleger!

In Podiumsdiskussionen und bei Lesungen beleuchtet ihr die Fußballwelt durchaus auch kritisch. Raubt es nicht die Motivation für die tägliche Arbeit, wenn man sich regelmäßig auch die Schattenseiten des Sports vor Augen führt?

Holle: Dieser Widerspruch macht doch gerade den Reiz aus. Wir sind doch auch auf gewisse Art ein Teil des modernen Fußballs und abhängig von Übertragungsrechten oder Spielansetzungen. Aber wir müssen auch nicht jedem Trend hinterherlaufen, die WM in Katar feiern oder astronomische Ablösesummen für gut befinden. Wir diskutieren nur zu gerne über die Schattenseiten, weil es dann jemand tut und sich vielleicht ein kleines bisschen etwas verändert, zumindest im Bewusstsein des ein oder anderen Gastes. Das ist Motivation genug.

Die geplante Verwendung der 5.000 Euro Preisgeld ist in diesem Jahr erstmals mit in das Jury-Urteil eingeflossen. Wie sehen eure Pläne aus?

Michel: Da mussten wir tatsächlich nicht lange überlegen und natürlich geht es dabei um die kritische Beleuchtung des sogenannten modernen Fußballs: Wir finden, dass das Thema Depressionen im Fußball bzw. im Sport fast zehn Jahre nach Robert Enkes Tod schon wieder viel zu sehr in Vergessenheit geraten ist. Wir wollen mit Hilfe des Preisgelds eine Veranstaltung zu diesem Thema auf die Beine stellen und hoffen mit diesem finanziellen Einsatz entsprechende Experten und Diskussions-Teilnehmer organisieren zu können. In dem Zusammenhang bedanken wir uns auch beim Stifter des Fanpreises und Akademie-Hauptsponsor, easyCredit!

 

Die von Katrin Müller-Hohenstein moderierte Verleihung der Deutschen Fußball-Kulturpreise in fünf Kategorien wird am 25. Oktober 2019 ab 20:00 Uhr im Live-Stream auf fussball-kultur.org und kicker.de übertragen.

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