125 Jahre. Vom VfB zum 1. FC Lokomotive Leipzig
Die Geschichte des Ersten Deutschen Meisters (2018/2019)38,00 Euro
Rezension: 125 Jahre, Vom VfB zum 1. FC Lokomotive Leipzig
Anne HahnDer über 500 Seiten starke Text/Bildband zu 125 Jahren Vereinsgeschichte des ersten Deutschen Meisters ist eine Augenweide. Die außergewöhnlich gelungene Gestaltung beginnt mit dem ersten Handgriff, wer sich das Schwergewicht auf den einen Unterarm legt, kann mit der anderen Hand die Umrisse der vier Spieler ertasten, welche auf dem Titelfoto über den gewonnenen FDGB-Pokal von 1987 jubeln. Während die blau-gelben im Jahr 2019 in der Regionalliga Nordost verortet sind, wirft bereits das Aufschlagen des Buchdeckels ein Licht in die schillernde Vergangenheit des Clubs. Im Vor- und Nachsatz sind Dutzende Original-Eintrittskarten abgebildet, Tottenham Hotspur, FC Barcelona, Girondins Bordeaux, Hannover 96, AC Turin, Neapel, Austria Wien, Düsseldorf – die Welt zu Gast beim F.C. Lokomotive und umgekehrt – ein grandioser Einstieg!
Im gesamten Buch kommt keine Seite ohne Bild aus, der Grafiker und die drei Autoren haben getüftelt und passend zur Vereinsgeschichte, die mehrere Namens- und Farbenwechsel hinter sich hat, durch Mehrfarbdruck blaue oder goldfarbene Hintergründe in die schwarz-weiß Fotografien gezaubert, Aufmerksamkeit durch überraschende Collagen erzeugt. Das randlose Einfügen von Zeitungsartikeln und die räumliche Wiedergabe der Pokale neben farbig abgesetzten Texten gestalten die Lektüre kurzweilig. Allein über die tausenden Fotos von Spielern und Spielszenen erschließt sich eine Kontinuität, oder aber beim Betrachten der Souvenirs, Geschenke und gewidmeten Auszeichnungen.
Die Herausgeber und Autoren Thomas Franke, Marko Hofmann und Matthias Löffler bewiesen in den vergangenen Jahren mit mehreren Publikationen zum 1. FC-Lokomotive ihr Talent, neues Material in Leipzig (und auf dem ganzen Globus) ausfindig zu machen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, versammeln sie in ihrer Fan-Chronik die Biografien und Details, die ihnen wichtig und liebenswert erscheinen. Dass manche Dekaden zu kurz kommen, bedauern die Autoren bereits im Vorwort und rufen Zeitzeugen auf, ihnen Materialien (bevorzugt zu Ereignissen vor 1963) zukommen zu lassen.
Die Text-Linien erzählen Anekdotisches, von fehlenden Bällen bei Spielbeginn über eine Ruhr-Erkrankung des gesamten Teams bis zur langwierigen Schaffung der Lok-Wandgemälde in der Nähe des Stadions. Von den Höhen und Tiefen, den Kriegen und Systemwechseln. Die Geschichte dieses Leipziger Traditionsclubs ähnelt anderen Vereinen und ist doch unverwechselbar: vom ersten Deutschen Meistertitel 1903 (ebenso 1906 und 1913) bis zum Eintrag ins Guinness-Buch mit dem Rekord für den höchsten Fanbesuch in der niedrigsten Spielklasse weltweit (2004 kamen 12.421 zum Fan-neugegründeten Lok Leipzig) enthält der Bildband auch die Schwierigkeiten der Nachkriegsphase, die Neugründungen, Umbenennungen und Einflussnahmen, denen Fußballvereine in der DDR unterworfen waren. Es wird ein Stück der DDR-Oberligageschichte erzählt und ein Beispiel für den Niedergang ostdeutscher Clubs nach der Wiedervereinigung, der für viele steht. Auch die Herausforderung, mit rechtsradikalen Fans umzugehen, wird nicht verschwiegen.
Bei ihrer anderthalbjährigen Recherche stießen die Autoren auf unveröffentlichte Fotos (wie das Farbfoto des Siegtreffers von Schlussmann René Müller im Europapokal-Halbfinale gegen Girondins Bordeaux 1987), zahlreiche Dokumente und Objekte sowie zeitgenössische Fußball-Gemälde im Leipziger Sportmuseum. Sie sammelten Dauerkarten und Ordner-Binden, Goldnadeln und Silberteller, Trikots und Wimpel - und investierten erhebliches Eigenkapital in Erstellung, Gestaltung und Druck dieses bezaubernd detailreichen Club-Universums, sogar einen eigenen Verlag gründeten die drei, um den Preis des Buches günstig halten zu können.
Es bleibt den Leipzigern zu wünschen, dass die aktuell angestrebte Vereinigung des alten VfB mit dem Fan-gegründeten FC Lokomotive gelingt, und ihr ursprüngliches Gründungsdatum (11. November 1893) nebst aller bisherigen Spielerfolge anerkannt werden! Mit dieser Chronik ihres Clubs haben die Leipziger definitiv Fußballbuch-Geschichte geschrieben.