Wir werden ewig leben
Mein unglaubliches Jahr mit dem 1. FC Union Berlin (2020/2021)
Rezension: Wir werden ewig leben
Karin PlötzDer kleinere der Berliner Bundesligaclubs, der 1. FC Union Berlin, genannt die "Eisernen", hat es in der letzten Saison auf Platz 7 der Bundesliga geschafft und nimmt an der erstmalig in 2021/22 stattfindenden Europa Conference League teil. Der große Hauptstadtclub Hertha BSC landete auf Platz 14 weit hinter den "Eisernen". Das sah vor zwei Jahren anfangs ganz anders aus. Nach dem überraschenden und grandios gefeierten Aufstieg in die 1. Bundesliga durch den Relegationssieg gegen Stuttgart hieß das Ziel für die "Eisernen" erstmal Klassenerhalt.
Wie dieser Klassenerhalt beim ehemaligen DDR-Club mit winzigem Etat, aber einem absolut treuen und begeisterungsfähigen Publikum gemeistert wurde, erlebte der Journalist und Autor vieler Fußballbücher Christoph Biermann hautnah. Er durfte, erstmalig für einem Journalisten, die gesamte erste Bundesliga-Saison des 1. FC Union die Mannschaft begleiten und wurde fast ein Teil des Teams.
Im Stadion an der Alten Försterei vereinbarten Dirk Zingler, Präsident des Clubs, und Christoph Biermann den ungewöhnlichen Deal: Der Autor darf den 1. FC Union Berlin eine Saison begleiten und darüber ein Buch schreiben. Einige Clubs hatten bereits Filme über ihre Teams drehen lassen, aber ein Buch als Dokumentation des Aufsteigerjahres war neu. Biermann musste auch das sportliche Team überzeugen, vor allem in Person des Cheftrainers Urs Fischer und des Geschäftsführers Profifußball Oliver Ruhnert. Auch das klappte und mit dem abschließenden OK der Mannschaft erhielt Christoph Biermann nicht nur den offiziellen Zugang zur Mannschaft, sondern auch noch den Chip, um in die Kabine zu kommen.
Was er in dieser Saison mit dem bodenständigen und außergewöhnlichen Club alles erlebte, beschreibt Christoph Biermann lebendig und unterhaltsam und gibt dabei einen Einblick, wie mit einem besonderen Teamspirit trotz geringem Etat und unerfahrenen Spielern und der folgenden Corona-Krise die Sensation des Klassenerhalts gelang.
Biermann gelingt es, die Strukturen des Clubs und die Strategien des Trainerteams darzustellen und gleichzeitig die persönlichen Aspekte nicht zu vergessen.
Als eine der wichtigsten Personen stellte sich Susi heraus, Teammanagerin, Zeugwärtin und „Seele“ der Mannschaft, von einem Spieler auch als „Susi, meine Sonne“ bezeichnet. Da der Kapitän Christopher Trimmel in der Nähe des Autors wohnte, fuhren beide auch oft gemeinsam zum Training. Dabei erfuhr Biermann, dass Trimmel ein sehr guter und erfahrener Tätowierer ist und damit sogar seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Allerdings wird das der österreichische Nationalspieler und Unioner derzeit nicht nötig haben.
Die übliche Rollenverteilung Journalist und Profispieler verschwand im Laufe der einjährigen "Saison-Begleitung". Biermann fuhr nicht nur mit zu den Auswärtsspielen, sondern musste auch seinen Einstand in der Kabine mit dem Singen vor der Mannschaft leisten. Und er erlebte, was rund um das Profiteam alles wichtig ist: welche Geschichten hinter Susi, dem Busfahrer und „Ritter Keule“ stecken, warum und wie die Fans das Stadion gebaut hatten, dass das Trainerzimmer der Maschinenraum der Kabinenwelt ist, dass der Trainer Urs Fischer auch ein guter Profifußballer und schon ein sehr erfolgreicher Trainer in der Schweiz war, dass eine Fußballmannschaft ein nervöses System mit Kräften, die schnell auseinanderstreben können, ist, wie es bei Mannschaftsbesprechungen zugeht, wer der Leader in der Mannschaft ist und wer welche Spitznamen hat.
Eindrucksvoll beschreibt Biermann die Verwandlung der Spieler kurz vor dem Spiel von "normalen" Menschen, die er gut kennt, zu Profis, die jetzt nur noch absolute Konzentration auf das Spiel haben, programmiert auf reinen Spielmodus.
Biermann gelingt es, die am Saisonerfolg beteiligten Personen in vielen Facetten darzustellen und zu zeigen wie Niederlagen und Siege auf die Mannschaft wirken. Es ist ein eindrucksvolles Buch entstanden, das nicht nur diesen außergewöhnlichen Verein zeigt, sondern gleichzeitig auch einen Einblick in die nicht immer einfache Welt der Profis gibt. Das Buch ist absolut zu empfehlen, es führt zum Lächeln aber auch zum Nachdenken. Aber vor allem macht es Spaß zu lesen und es macht neugierig auf den weiteren Weg der "Eisernen".