Ich pfeife!
Aus dem Leben eines Amateurschiedsrichters (2014/2015)Christoph Schröder steht als Amateurschiedsrichter Wochenende für Wochenende auf zugigen Dorfsportplätzen und lässt sich beschimpfen. Er wird als Wichtigtuer abgekanzelt, als Blinder und Versager. Dabei ist er doch im eigentlichen Leben Literaturkritiker. Was ist das für eine Freizeitbeschäftigung, deren höchstes Ziel darin besteht, nicht aufzufallen? Was muss man für ein Mensch sein, um sich das Hobby des Fußballschiedsrichters auszusuchen und dann auch noch, über Jahre und Jahrzehnte hinweg, dabeizubleiben? Christoph Schröder erzählt skurrile, faszinierende und rührende Geschichten von merkwürdigen Ritualen, absurden Regeln, Sportplätzen mit Schieflage und von der Schönheit des wahren Fußballspiels.
Rezension: Ich pfeife!
Michael WulzingerBesserwisser. Rechthaber. Wichtigtuer. Das sind die milden Assoziationen, die der Schiedsrichter beim gemeinen Fußballfan wachruft. Es gibt jede Menge derbere, die hier nicht aufgeführt werden müssen – sie schwingen bei jedem, der regelmäßiger Gast auf Deutschlands Amateurfußballplätzen ist, automatisch im Hinterkopf mit. Ein Problemhobby, die Pfeiferei, Konflikttendenz steigend, Bewerberzahl fallend.
Warum also wird einer Schiedsrichter?
Warum fährt er Wochenende für Wochenende Hunderte von Kilometern durch die deutsche Provinz, zieht sich in schimmeligen Kabinen um, legt sich auf dem Spielfeld mit Schauspielern und Knochenbrechern an, lässt sich von Angetrunkenen, die einen Meter hinter der Außenlinie stehen, als „Schwarzkittel“, „schwarze Sau“ oder als „katholischer Kinderficker“ beschimpfen, muss unflätige Trainer disziplinieren, nach Schlusspfiff Regenschirmattacken erzürnter Rentner abwehren und sich dann, wenn er 90 tumultöse Minuten hinter sich gebracht hat, auch noch von einem Schiedsrichterbeobachter anhören, wie schlecht er heute war? Und das für 20 Euro pro Einsatz in der Kreisklasse und 40 in der Verbandsliga, Kilometergeld – immerhin – exklusive?
Der freie Autor und Literaturkritiker Christoph Schröder, der Spiele leitet, seit er im Alter von 14 Jahren die Schiedsrichterprüfung machte, gibt auf all diese Fragen Antworten. „ICH PFEIFE!“, heißt sein Buch, und die zweideutige Botschaft des Titels, die aus der Beleidigung ein Bekenntnis macht, transportiert bereits viel von der feinen Ironie, mit der Schröder sein Leben als Schiedsrichter schildert.
Es ist eine Hymne auf den Amateurfußball. Sie erzählt von Sportplätzen, die nahtlos in eine Viehweide übergehen und deren eines Tor höher ist als das andere; die in den Fels gesprengt sind und niemals die Sonne sehen; die staubig sind, matschig, lehmig oder sandig und fast quadratisch, und deren Linien so krumm sind, wie der Platzwart sie eben gezogen hat. Szenen aus dem realen Fußballleben, nicht aus dem virtuellen, in das der Profifußball sich verflüchtigt hat.
Und immer kommen in Schröders Erzählungen Originale vor, Typen, schräge Figuren, manche verschlagen, andere verschmitzt, die die Atmosphäre in der deutschen Fußballweite, in seinem Fall der hessischen, ausmachen. Und Schröder ist der Mann, der die Regeln bestimmt, Polizist, Staatsanwalt und Richter in einer Person, seit mehr als 20 Jahren. Was den Schiedsrichter antreibe, schreibt er an einer Stelle, sei „weniger die Freude am Herrschen als der Drang nach Gerechtigkeit“. Anfangs seiner Schiedsrichterlaufbahn habe er ein Spiel verwaltet. Heute, mit all der Erfahrung, leite er es.
Und trotzdem bleibt da eine tief sitzende Angst. Seit Jahren schon verfolge ihn ein Traum, schreibt Schröder, „in immer der gleichen quälenden Langsamkeit“. Er sitzt in der Kabine, will sich bereit machen zum Spiel, er wird nicht fertig, draußen vor dem Fenster beginnen Zuschauer und Spieler wütend zu werden, das Spiel sollte längst losgehen. Doch Schröder weiß nicht mehr, wie die Schleife seines Schuhs zu binden ist. Dann wache er auf. „Ein klassischer Schiedsrichteralptraum“, schreibt Schröder.
Kontrollverlust – das Unangenehmste, was einem Schiedsrichter passieren kann.
„ICH PFEIFE!“ ist unterhaltsam und süffisant geschrieben, pointenreich erzählt, selbstkritisch und reflektiert, ein Werk mit Haltung, in vielen Momenten geradezu rührend. Eines, das unbedingt zum Fußballbuch des Jahres taugt.