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Deniz Aytekin - Ein Top-Schiri im Sommer

Wenn der Ball ruht und der Transfermarkt tobt, deckt sich über die Schiedsrichterzunft in der Regel ein Mantel des Schweigens. Fragt sich: Was macht ein Referee eigentlich in der fußballlosen Zeit? Die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur sprach mit Deniz Aytekin, einem der jüngsten Vertreter seiner Zunft in der deutschen Eliteklasse. Motto: Was Sie schon immer über Schiedsrichter wissen wollten...

Wenn der Ball ruht und der Transfermarkt tobt, deckt sich über die Schiedsrichterzunft in der Regel ein Mantel des Schweigens. Fragt sich: Was macht ein Referee eigentlich in der fußballlosen Zeit? Die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur sprach mit Deniz Aytekin, einem der jüngsten Vertreter seiner Zunft in der deutschen Eliteklasse. Motto: Was Sie schon immer über Schiedsrichter wissen wollten ...

Türkische Wurzeln, deutsche Karriere

Deniz Aytekin ist Nürnberger - die türkischen Wurzeln verrät bereits sein Name. Seine Eltern ließen sich einst als klassische Arbeitsmigranten in der Noris nieder. In Nürnberg wurde er geboren, die Stadt an der Pegnitz begreift Aytekin als Heimat - hier fand er schließlich privates Glück, gründete mit seiner Frau eine derzeit vierköpfige Familie, und reüssierte auch beruflich. Nach dem Studium baute er erfolgreich ein Internet-Unternehmen auf, das derzeit über 90 Mitarbeiter beschäftigt. Das klingt traumhaft gradlinig. Der 31-Jährige musste sich jedoch früh an Umwege gewöhnen.

Seine Eltern schickten ihn für die Dauer der Grundschulzeit zurück in die Türkei - diese Erfahrung will er heute nicht mehr missen. Im Klassenzimmer dort herrschte eine hierzulande eher unübliche Strenge, die Distanz zu seinen Eltern, zwang früh zur Selbstständigkeit.

In Tuchfühlung mit den großen Schiris

Liegt hier bereits der Grundstein zu seiner Karriere als Schiedsrichter? Der tatsächliche Beginn mutet nüchterner an. Wie so viele Kinder begann er, mit seiner Rückkehr nach Deutschland, erst einmal eine Karriere als Feldspieler. Der ASV Zirndorf sollte das Sprungbrett auf dem Weg zu fußballerischem Ruhm bedeuten, die gesamte Jugend über blieb er dem Klub vor den Toren Nürnbergs treu, hier griff er auch erstmals zur Pfeife und fand anscheinend an dem Geräusch Gefallen. Dabei war er eigentlich nur mitgegangen.

Jemand hatte einen Freund gefragt, ob er Lust auf die Schiedsrichterrei hätte. Aytekin ging mit, blieb hängen und wechselte fortan immer häufiger die Seiten. besagter jemand, das war der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter Manfred Dölfel, der als Unparteiischer Zeuge eines heute noch bestehenden Bundesligarekords wurde. 1977 pfiff er die Partie, in der der Kölner Dieter Müller dem SV Werder Bremen gleich sechsmal einschenkte, Köln gewann damals mit 7:2. Dölfel nahm sich Aytekins an, stand an der Seitenlinie bei seinem ersten B-Jugendspiel und brachte seinen Schützling in Tuchfühlung mit den Großen seiner Branche. Hellmut Krug, Markus Merk und der jetzige Bundestagsabgeordnete Bernd Heynemann: Anlässlich einer Tagung der Spitzenschiris kam der junge Aytekin in Tuchfühlung mit den Stars an der Pfeife.

Die "No Name-Pfeife" auf dem Weg nach oben

Der Ehrgeiz war erwacht. Halbherzig habe er nicht sein wolllen, keine Träume habe er gehabt. Aytekin weist im Gespräch viele Sentimente von sich - und widerspricht sich dabei doch auch. Selbstverständlich hatte er Ziele und Träume: Einmal im Team pfeifen in der Bezirksliga, das sollte es dann schon sein.

 "Von Spiel zu Spiel denken - nie zufrieden sein und sich immer auch selber kritisch hinterfragen", das war und ist Aytekins "hausgemachte" Erfolgsformel. So schaffte es die "No Name-Pfeife" (Bild) schnell nicht nur in die Bezirksliga, sondern im Eiltempo nach ganz oben. Hertha gegen Energie Cottbus - für die meisten Fans nicht gerade ein Fußball-Leckerbissen - das war in der vergangenen Saison für Aytekin das erste von insgesamt zehn Spielen als Hauptverantwortlicher, als Dirigent, das absolute Highlight. Die Spielleitung an sich, die Herausforderung, 22 Spieler anzuleiten und binnen 90 Minuten zu lenken, ist seine Motivation geblieben und wird ihn wohl noch über die Bundesliga hinausführen. Als vierter Mann schnupperte der Nürnberger schon mal in Moskau europäische Luft. So viel zur Karriere.

Keine Sommerpause - und auch keine sportliche Betreuung vom DFB

Die Leichtigkeit, mit der man sich durch Aytekins Vita liest, täuscht über das harte Programm hinweg, dem sich der großgewachsene Schiedsrichter hinter den Kulissen unterwirft. Groß Urlaub machen, sich auf die faule Haut legen? Das ist so nicht zu machen - im Gegenteil, das Trainingsprogramm wird in der ereignislosen Zeit noch hochgefahren. Schließlich stehen noch vor Saisonbeginn die Leistungstests des DFB an. Für Schiedsrichter gibt es da keine Sommerpause, die seligen Zeiten eines Wolf-Dieter Ahlenfelder sind passé. Von Romantik keine Spur. Eher von Belastungsintensität. Auf Aytekins Agenda stehen vier bis fünf Übungseinheiten die Woche, Minimum. Schnellkraft, Sprint und lockeres Laufen, in der Firma steht für Mittagsläufe in Nürnbergs Burggraben mittlerweile eine Dusche, zu Hause, auf dem Ergotrainer im Keller, wird gleichzeitig Videoanalyse betrieben.

Die körperlichen Anforderungen an einen Bundesliga-Schiri sind enorm - in dem Maße, in dem das Spiel an Tempo gewinnt, muss auch der Referee zulegen. Der innere Schweinehund winkt, zumal die Anforderungen im Betrieb und die Verantwortung für die Familie nicht geringer werden. Die Tochter ist sieben, der Sohn gerade einmal zwei Jahre alt. Der Tanz auf den drei Hochzeiten fordert viel Verständnis, oft zu Hause ist Aytekin nun wirklich nicht. Auf 32 Spiele, quer durch alle Spielklassen, kam er im letzten Jahr. Die Belastung ist hoch. Mittlerweile hilft ihm ein privater, professioneller Coach, um physisch wie psychisch auf der Höhe zu bleiben. Sportliche Betreuung seitens des DFB gibt es nur für Nationalspieler - für die Spielleiter ist das nicht vorgesehen.

Weltschiedsrichter Schmidthuber als Mentor 

Schiedsrichter in der Bundesliga werden mittlerweile recht ansehnlich entlohnt. Die umfängliche Aufwandsentschädigung erhalten die Männer in Schwarz, die seit einigen Jahren auch recht bunt daherkommen können: angesichts der häufigen Beleidigungen durch Tausende von Zuschauern sicherlich nicht zu Unrecht. Schwerer noch wiegt aber wohl der Druck, der Woche für Woche auf ihnen lastet. Ein gravierender Fehler kann schon den Karriereknick bedeuten. Die Gefahr, sich zu verbrennen, zumal als Neuling, leugnet Aytekin nicht. Der Verband stellt dem Novizen daher einen erfahrenen Mentor zur Seite. Aron Schmidthuber, Weltschiedsrichter von 1992, dem durch Deutschlands Triumphzug unter des Kaisers Führung in Italien nur ein einziger WM-Einsatz vergönnt blieb, ist Aytekin zugeteilt. Schmidthuber agiert dabei ganz wie ein Schauspiellehrer - Sprache, Gestik, Mimik stehen auf dem Stundenplan der Spieltagsanalyse. Als alter Hase stellt er seinen Schützling auf die kommende Partie ein, weist auch auf die Kleinigkeiten am Rande einer Partie hin.

Niemals Bayern München und kein Spießrutenlauf durch Nürnberg

Einem Unparteiischen steht eine psychologische Betreung zu, wenn Polemik und Emotionen wieder einmal den Allein-Schuldigen für eine Niederlage ausgemacht haben. Wie etwa im Falle des Dr. Drees, der einst im Platzregen zu Nürnberg eine 1:0-Führung der abstiegsbedrohten Hausherren annullierte und hernach von der "schwersten Entscheidung meines Lebens" sprach. Aytekin ist glücklich, diese Art von Betreuung nicht in Anspruch nehmen zu müssen, in der Trias "Familie, Kinder, Freunde" sieht er seinen Rückhalt, der ihn auch schwierige Momente überbrücken hilft. Hilfreich ist wohl zudem, dass er als bayerischer Referee keine Einsätze südlich des Weißwurstäquators zugeteilt bekommt. Ein hitzköpfiger Bayern-Manager in Fröttmaning und auch ein Spießrutenlaufen nach einer umstrittenen Entscheidung gegen den Nürnberger "Club" bleiben ihm so erspart.

Hitzköpfe, Rowdies, Witzbolde: Jeder Spieltag eine kleine Schule fürs Leben

Eine Jahreshauptversammlung der örtlichen Schiedsrichtergruppe gehört sicherlich nicht zu den erhebendsten und spannendsten Ereignissen unserer Zeit. Spätestens nach TOP 3 stellen sich da bei so manchem Teilnehmer im Sportheim Ermüdungserscheinungen ein. Doch die Schiedsrichter bilden auch eine homogene Gemeinschaft. Wer da als junger Mann hineingerät, der gewinnt Halt im Leben, meint Aytekin. Aus der Schiri-"Community" hat er einiges mitgenommen. Entscheidungsfreude, Meinungsbildung, Mennschenkenntnis. Es sind ganz bestimmte Dinge, die einem hier vorgelebt werden. "Sehen, wahrnehmen, entscheiden" -  das muss man auf dem Platz und sollte es auch im Leben. "Da ist dann auch einmal eine falsche Entscheidung dabei", so Aytekin, wichtig sei doch, dass man überhaupt eine treffe, sich nicht durchschlängle und mitlaufe.

Jungen Menschen empfiehlt er den Griff zur Pfeife uneingeschränkt, man profitiere in jeder Hinsicht. Die ganzen verschiedenen Charaktere, auf die ein Schiedsrichter an jedem neuen Wochenende trifft, sind ein Bühne des Lebens. Hitzköpfe, Rowdies, Witzbolde, stille Wasser - alle wollen angeleitet werden, alle bedürfen einer anderen Ansprache. Ohne sich dabei selber zu hinterfragen geht das gar nicht. Sich an Regeln halten, sich zu disziplinieren, strukturieren, das muss ein Referee eben auch können. Das ist die andere Seite der Medaille.

Sommerpause - zumindest für das Nervenkostüm

Trotz allem mutet es schon seltsam an: Die ganze Plackerei, die ganze Arbeit, um am Ende eines Spiels möglichst unauffällig davonzukommen. Je mehr über einen Schiedsrichter nach Spielende gesprochen wird, desto unappetitlicher wird es dabei meist. Zumindest in dieser Hinsicht bedeutet die Sommerpause dann schließlich doch noch etwas Urlaub - für das Nervenkostüm. War Aytekin bislang an der Pfeife, ging es im Anschluss oft manierlich zu. Kein schlechtes Omen, für einen der Jüngsten seiner Zunft.

Deniz Aytekin wurde am 21. Juli 1978 in Nürnberg geboren und ist seit seinem 17. Lebensjahr passionierter Fußballschiedsrichter. Nach jedem Schlusspfiff widmet sich der studierte Betriebsökonom vorwiegend seinen Internet-Unternehmungen und seiner Familie. Er lebt in Oberasbach bei Nürnberg und pfeift für den TSV Altenberg. Seit 2004 ist er DFB-Referee und seit 2008 leitet er Spiele in der Fußball-Bundesliga.

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