Geschichte

Africa Cup of Nations 2010 - Das vergessene Turnier

Angola richtet im Schatten der Weltmeisterschaft in Südafrika die afrikanische Kontinentalmeisterschaft aus. Nach einem brutalen und langen Bürgerkrieg sucht das Land den Aufschwung und heißt Afrika willkommen, während der Rest der Welt den (Fußball-)Blick fast ausschließlich aufs Kap richtet.

Als am 4. Dezember 2009 in Kapstadt die Gruppen für die kommende Weltmeisterschaft in Südafrika ausgelost wurden – waren sie alle da, die Herren Blatter, Platini und Beckenbauer. Die ganze große Fußballwelt! Alle stimmten sie ein in das vorgegebene „Ke Nako“ – „Es ist Zeit“, den offiziellen Slogan zum großen Fußball-Fest am Kap. Die anstehende WM, so war einhellig zu vernehmen, das sei die Chance, nicht für Südafrika, nein, für den ganzen Kontinent, sich der Welt bunt, fröhlich und abseits der abgedroschenen Klischees zu präsentieren. Und Milliarden am TV schauten gespannt zu.

Dabei ist das Spektakel am Kap nicht das erste große Fußball-Ereignis Afrikas im Jahr 2010. Bereits vom 10. bis zum 31. Januar wird in Angola der Africa Cup ausgespielt. Knapp zwei Wochen bevor Südafrikas schönes Kinogesicht Charlize Theron durch die Zeremonie der guten Hoffnung führte, wurden in Angolas Hauptstadt Luanda die Gruppen eingeteilt. Diesmal aber ohne Prominenz. Außerhalb Afrikas sah kaum jemand zu. Man war unter sich.

Getrennte Wahrnehmung

Der Africa Cup fristet fast schon traditionell ein Schattendasein im Rest der Welt. Äußert sich einmal ein renommierter Fachmann vom alten Kontinent mit den großen Ligen, dann beklagt er eher die Überschneidung des Turniers mit dem Spielplan seiner Elf. Portsmouth-Coach Avram Grant aus der englischen Premier League etwa schlägt Alarm und die Hände übern Kopf wegen der Abstellung von gleich sechs afrikanischen Stammspielern. Die afrikanischen Topspieler in Europa jedoch reisen voller Enthusiasmus zu ihren Nationalteams. Oder sie hoffen bis zuletzt auf eine Berufung, wie das Kölner Talent Jean Pierre Vunguidica, der für die U23-Auswahl der Geißböcke in der Regionalliga West spielt. Bei der 0:1-Niederlage im März letzten Jahres gegen die Kapverden im portugiesischen Olhao, durfte Vunguidica das erste Mal für sein Heimatland Angola antreten und hatte fortan den Traum von der Turnierteilnahme im Hinterkopf. „Traum vom nationalen Ruhm“ titelte die Kölner Lokalpresse noch im Spätherbst.

 

Angola – Neubeginn nach 27 Jahren Krieg

Vor Ort in Angola ist die Stimmung euphorisch. Das Land, das erst vor sieben Jahren nach einem Jahrzehnte währendem Bürgerkrieg wieder zur Ruhe kam, freut sich auf das Fußballfest.

Angola ist ein junges Land, das im Grunde erst seit 2002 wirklich existiert. Vom Beginn der Unabhängigkeit 1975 an bekriegten sich vor allem die zwei großen Widerstandsgruppen MPLA und UNITA erbittert, es entstand einer der brutalsten Stellvertreterkonflikte des Kalten Krieges, der erst mit dem Tod des UNITA-Führers Jonas Sawimbi ein Ende fand. 2008 fanden die ersten freien Wahlen nach den blutigen Fehden statt, aus denen MPLA-Führer José Eduardo dos Santos als unangefochtener Sieger herausging. Ein altes, sattes Krokodil, das sei allemal besser als ein junges, hungriges. So erklären sich auf Luandas Straßen die fast 80 Prozent Zustimmung zu dos Santos Kandidatur.

Es herrscht Aufbruchsstimmung in einem Land, das an natürlichen Ressourcen unfassbar reich ist. Angola ist OPEC-Mitglied, die Ölpruduktion lockt die Energie-Riesen ins Land und sichert Investitionen in höchstem Umfang. Dazu gesellen sich Gold-, Uran- und Diamantenabbau. Derart begünstigt, wächst Angolas Wirtschaftsleistung rapide. Zwar verteilt sich der Reichtum extrem ungleich, doch die Bevölkerung ist trotz oder gerade wegen der hochgradigen Traumatisierung beseelt vom Frieden, voll Sehnsucht nach Freude und Vergnügen.

Bizarre Verhältnisse in der Party-Stadt Luanda

An den Wochenenden wird es regelmäßig richtig laut in der 5 Millionen-Metropole Luanda. Die Hälfte aller Angolaner lebt im Ballungsraum der Großstadt. Arm wie reich feiert dort zur Zeit gleichermaßen nach Kräften. So beschreibt es der Leiter des im Juni 2009 neu gegründeten Goethe-Instituts in Angola, Stefan Hüsgen. Hüsgen ist fasziniert von der Einstellung und Energie der angolanischen Jugend. Sie hat die ewige Revolution und die Gewalt satt und sieht sich dabei vor der ungeheuren Aufgabe ein völlig zerstörtes Land komplett neu aufzubauen. Erstmals seit der Unabhängigkeit kann sich eine ganze Generation von Angolanern ausleben, sucht kulturellen Anschluss vor allem zu den ebenfalls lusophonen Ländern Brasilien und Portugal, ist dabei aber irrsinnigen Umständen ausgesetzt. Der Mangel an Infrastruktur im Land und das viele Geld der Multis sorgen nämlich vor allem in der Hauptstadt für irreguläre Lebensverhältnisse – 15.000 Dollar und mehr Mietzins für eine Wohnung sind keine Seltenheit. Luanda ist vor allen westlichen Metropolen dieser Welt die teuerste Stadt auf dem Globus.

Zum Fußball - zur Einheit - zur Zukunft

Inmitten dieser bizarren Gegebenheiten findet nun ein Großereignis statt, das eurozentrischen Maßstäben zufolge eigentlich gar nicht stattfinden dürfte. „Westliche Arroganz“, nennt das Hüsgen, der schon seit Jahren im südlichen Afrika lebt und arbeitet. Und er vermutet gerade in deutschen Gefilden „eine notorische Lust, eine Wonne am Scheitern“. Denn der Africa Cup wird stattfinden. Die Quartiere für die sechzehn Mannschaften stehen, die wichtigsten Verbindungsstraßen sind erneuert worden und an den vier Austragungsorten stehen vier neue Stadien, die auch so manchem Bundesligisten gut zu Gesicht stünden.

In den vier Städten Lubango, Benguela, Luanda und Cabinda hat Angola mit tatkräftiger chinesischer Hilfe Arenen errichtet, die modernsten Standards entsprechen. Und die Bevölkerung freut sich auf das Turnier. Riesige Elektronik-Tafeln an den großen Verkehrsadern zählen Tage, Stunden und Minuten bis zum Anstoß der Eröffnungspartie. Die angolanische Presse widmet dem Ereignis derzeit täglich mehrere Seiten. Fußball, im Volksmund Trumunu, eint das derzeit zerrissene und sich nach Gemeinschaften sehnende Volk.

Und der Africa Cup soll die Initialzündung für den weiteren Aufschwung Angolas sein. Dauerhafter Friede, dauerhafter wirtschaftlicher Aufschwung und der ungebremste Wiederaufbau des Landes – zu all dem kann das Turnier nach dem Willen des Staatsoberhaupts dos Santos beitragen, der auf der offiziellen Homepage des Kontinentalvergleichs die gesamte Bevölkerung zu einer gemeinsamen Anstrengung aufruft. Angola erwächst zu einer neuen Wirtschaftsmacht im Süden Afrikas,  gemeinsam mit Südafrika kann es sich in den nächsten Jahren zu einem Garanten für politische und ökonomische Stabilität in diesem Teil des Kontinents aufschwingen.

Szene aus der ersten belegten Fußball Partie in Angola

(Fußball-)Geschichte schreiben!

Der Blick zurück in Angolas Fußballhistorie reicht bis ins Jahr 1912, als am 13. Juni, dort wo heute in Luanda das Estadio dos Cosqueiros steht, das erste Match offiziell verbrieft ist. Natürlich brachten die Engländer den Fußball, via Südafrika, ins Land. Aber auch der Kolonialherr Portugal, der 500 Jahre lang die Geschicke des Landes bestimmte, spielte eine Rolle.

Den ersten offiziellen Fußball, der für das Spiel zwischen Nacional, einer Vereinigung von Funktionären, und ABECL, dem damaligen Wohltätigkeitsverband Luandas, benutzt wurde, brachten zwei junge Angolaner, die in Lissabon studierten, ins Land. Antonio Filipe und Antonio Fernandes stellten das Spielgerät, der Kaufmann Furtado Antas das Geläuf, eine brachliegende Wiese hinter seinem Haus. Tags zuvor hatte die Stadtverwaltung Luandas angewiesen, das Terrain von Bäumen und Sträuchern zu befreien. Der Ausgang der Partie ist nicht überliefert, wohl aber, dass die Zuschauer, zumeist junge Mestizen, das ihnen bis dato unbekannte Spiel lebhaft und emotional verfolgten. Der Funke war übergesprungen!

Seither ist Fußball ein Thema in Angola, eines, das für eine Weile alle Zwiste beiseite räumen und dem Land und seinen Einwohnern einen gemeinsamen Weg in die Zukunft weisen kann. Nie war die kollektive Begeisterung im Land größer als 2005, als sich die ‚Palanças Negras’, die ‚Schwarzen Antilopen’ – so der Kampfname der Nationalelf Angolas – mit einem Sieg in Ruanda für die WM 2006 in Deutschland qualifizieren konnte. Es war der größte Erfolg in der Fußballgeschichte des Landes, auch wenn nach der Vorrunde schon die Heimreise anstand und dort der historische Vergleich mit den Portugiesen knapp mit 0:1 verloren ging.

Für Südafrika hat es diesmal nicht gereicht – die jedoch mit Abstand wichtigsten Spiele in ihrer Geschichte stehen Angolas Elf nun vor eigenem Publikum bevor. Es geht nun um weitaus mehr als um Punkte und um Tore für die schwarzen Antilopen – außerhalb Afrikas scheint davon aber kaum jemand Notiz zu nehmen. Der Blick der Welt richtet sich gespannt und fokussiert aufs Kap, während in Angola schon im Januar Vieles auf dem Spiel steht. Schon die offizielle Hymne zum Africa Cup 2010 lässt da kaum Spielraum für Interpretation. Frei übersetzt heißt es in Strophe eins: Ein Film in Schwarz und Weiß, offene Wunden, ungewisse Wünsche. Es wurde Licht, nach langem Dunkel, es wird gebaut, am Angola der Zukunft.

Andreas Schade, Jahrgang 1975, lebt und arbeitet als freier Publizist in Nürnberg u.a. für kicker online und die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur.

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