Tore wie gemalt
(2023/2024)Rezension: Tore wie gemalt
Jakob Rosenberg / ballestererJavier Cáceres sucht in seinem Buch nach der Essenz des Fußballs, er findet sie im Tor – und die Sicht darauf. Dabei hält sich der Autor zurück, er lässt 109 Fußballer und eine Fußballerin nicht nur von ihren wichtigsten Toren sprechen, sonst lässt sie diese auch aufzeichnen. Die meist rudimentären Skizzen werden durch die dazugehörenden Erzählungen plastisch, ganz egal, ob die Geschichten nun einmal kürzer oder etwas länger ausfallen. Alessandro Del Piero kommt etwa mit einem Satz aus, Oliver Bierhoff benötigt mehr als vier Seiten. Das offene Format wirft die Grundsatzfrage auf, was denn ein wichtiges Tor überhaupt auszeichne. Seine Schönheit? Die dafür notwendigen technischen Fähigkeiten? Die Ähnlichkeit mit einem Tor eines ganz Großen wie Maradona, Messi und Pelé? Die Bedeutung des Treffers in einem Turnierverlauf? Die Entscheidung in einem Finale? Oder vielleicht doch das dadurch gewonnene Selbstvertrauen, das die weitere Karriere erst ermöglichte, also das Tor zur Fußballwelt?
So unterschiedlich die Antworten sind, ist ihnen gemeinsam, dass sie von viel mehr als nur einem Tor erzählen. In Michel Platinis Beschreibung steckt die Kränkung über einen nicht gewerteten Treffer, Lilian Thuram erzählt hingegen von Diskriminierungen und seinem Kampf dagegen, Günther Netzer wiederum scheint sich auch Jahrzehnte später mehr darüber zu freuen, dass er seinem Trainer Hennes Weisweiler eins ausgewischt hat als über sein Tor und den damit verbundenen DFB-Pokal-Titel 1973. Und Pelé verweigert sich dem vorgegebenen Format, er will sich nicht auf ein Tor reduzieren lassen, unter seinen 1.282 Treffern macht er es nicht. "Alle meine Tore waren wichtig", sagt er Cáceres.
Das Buch lebt jedoch nicht nur von der Intimität der Antworten und der Ausbreitung der Charaktere, sondern auch von der Einbettung der vielen kleinen Geschichten in die große Fußballgeschichte. Die Tore sind nur der Rahmen, die Texte handeln von Rivalitäten, Träumen und Siegen. Sie sind zeitlich und geografisch breit gestreut, erzählen von Zufällen, kleinen Schwindeleien und großen Skandalen. Sie machen Lust darauf, mehr zu einem Turnier zu erfahren, mehr von einem Spieler oder einer Spielerin zu wissen, unbekannte Tore auf YouTube erstmals zu sehen und bereits bekannte Treffer neu zu sehen. Dank seines Formats lässt sich das Buch immer wieder lesen und anschauen, der Verzicht auf eine chronologische oder alphabetische Ordnung mag die Suche nach einzelnen Personen und ihren Treffern erschweren, sie lädt aber ebenso wie die Zeichnungen dazu ein, sich immer wieder im Buch zu verlieren. Wäre all das nicht schon großartig genug, eignen sich die Skizzen wahrscheinlich auch noch als Rätselvorlagen für besonders motivierte Spielrunden, die ihr Fußballwissen unter Beweis stellen wollen.