In Motion
Kunst und Fußball (2023/2024)Rezension: In Motion. Kunst und Fußball
Matías Martínez / Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturgeschichte Uni WuppertalFußball und Kunst? Das könnte sehr steril abgehandelt werden, mit vielen Fußnoten und staubigem Archivmaterial. Nicht so in diesem Katalog zu einer aufsehenerregenden Ausstellung im Deutschen Fußballmuseum, der selbst ein Referenzwerk für die kreative kulturelle Wirkungskraft des Fußballs ist. Erstmals wird hier die erstaunliche Präsenz des Fußballs in der Kunst vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute in großer Breite erschlossen: unbekannte Fußballbilder berühmter Künstler von Umberto Boccioni und Salvador Dalí über René Magritte und Pablo Picasso bis zu Sigmar Polke und Banksy, aber auch wunderbare Werke von weniger bekannten Malern wie das scheinbar naive Wimmelbild einer Zuschauermenge vor dem Stadion von L.S. Lowry oder der einsam am Strand vor einem Fernseher sitzende "Fußballeremit" von Poul Anker Bech. Fußball ist hier als ein Thema der europäischen Kunst zu entdecken mit Künstlerinnen und Künstlern aus allen 24 Nationen, die an der Europameisterschaft 2024 teilgenommen haben. Sie versuchen mit ganz unterschiedlichen Ideen, das alte Problem zu lösen, mit dem sich schon G.E. Lessing in seiner Abhandlung "Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie" (1766) herumschlug: Wie kann ein statisches Einzelbild das zeitliche, hochdynamische Geschehen eines Fußballspiels vermitteln? Lessing hatte vorgeschlagen, den einen "fruchtbaren Augenblick" darzustellen, der das gesamte Geschehen in sich birgt. Der Katalog zeigt, dass moderne Künstlerinnen und Künstler von den multiperspektivischen Bildern des Futurismus und den provokanten Montagen John Heartfields bis zu abstrakten, grotesken, surrealen und phantastischen Kreationen noch ganz andere Lösungen gefunden haben.
Der Band ist sehr gut lesbar und lädt dazu ein, sich über das Brückenthema Fußball mit moderner Kunst zu befassen. Auf großzügigen Doppelseiten werden rund 100 Werke abgebildet und ausführlich einzeln erläutert. Ein Anhang dokumentiert mit kleineren Abbildungen über 200 weitere Fußballbilder. Dazu gibt es kluge Essays über Wechselbeziehungen zwischen Fußball und moderner Kunst, über Parallelentwicklungen im Fußball und in den Massenmedien und über weibliche Sichten auf den Fußball.
Insgesamt zeigt In Motion, wie inspirierend der Fußball für Künstlerinnen und Künstler war und ist. Vielleicht liegt das auch daran, dass sowohl Fußball wie Kunstwerke Spiele sind: Phänomene außerhalb des ‚ernsthaften‘ Alltags, die trotz (oder gerade wegen) ihres Spielcharakters starke Emotionen auf sich ziehen, eigene Spiel-Regeln aufstellen und diese Regeln immer wieder neu variieren.