"Die Fan.Tastic Females Ausstellung hat zu einem Strukturwandel beigetragen"

Die europäische Wanderausstellung Fan.Tastic Females hat über 90 Fanfrauen aus 21 Ländern porträtiert und ist seit über 3 Jahren unterwegs. Aufgrund der Corona-Pandemie musste leider eine Pause eingelegt werden. Projektkoordinatorin Antje Grabenhorst nutzt die Zeit, die letzten Jahre Revue passieren zu lassen und mit einer der Macherinnen sowie drei Fan.Tastic Females über die Ausstellung, Frauen im Fußball und die EM 2021 zu schnacken.

Daniela Wurbs, Akademie-Mitglied und langjähriger St. Pauli Fan, hat viele Jahre als CEO bei Football Supporters Europe gearbeitet, Fan.Tastic Females angestoßen und ist inzwischen für das Projekt KickIn! - Inklusion im Fußball aktiv. Auch Daphne Goldschmidt aus Jerusalem ist eine richtige Powerfrau und im Vorstand des fangeführten Vereins Hapoel Jerusalem FC, ehemals Hapoel Katamon, der auch Teil der UEFA ist. Sie setzt sich für kulturelle, geschlechtliche und religiöse Vielfalt im Fußball ein. Emma Clark kommt aus Glasgow und unterstützt den Drittligisten Clyde FC, ist aber auch in den Verein United Glasgow Football Club involviert, dessen Philosophie es kurzgesagt ist, alle Menschen willkommen zu heißen. Sie folgt darüber hinaus auch der Schottischen Nationalmannschaft quer durch die Weltgeschichte. Agnes Gertten aus Schweden ist Malmö FF Fan und hat die Frauenfangruppe Malmö Systrar mitgegründet. Diese Truppe wurde vor ein paar Jahren aus der Not geboren, weil Frauen in Schweden nicht wirklich Zugang zu Ultragruppen haben.   

 

(Das Interview wurde im Dezember 2020 geführt.)

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Hey ihr vier. Ihr wart alle 2018 bei der Ausstellungseröffnung in Hamburg dabei. Könnt ihr euch erinnern, was euer schönster Fan.Tastic Females Moment war?

Daphne: Besonders fand ich das Feedback und die Komplimente, die ich in den letzten Jahren von völlig Fremden aus der ganzen Welt erhalten habe, die die Ausstellung gesehen haben.

Agnes: Ich fand die Begegnung mit allen Frauen bei der Eröffnung in Hamburg am schönsten. Es war einfach eine so krasse Energie, die mich lange Zeit beflügelt hat.

Dani: Voll. Es gab super viele schöne Momente, aber als die allererste Fan.Tastic Female aus der Ausstellung rauskam und mir mit Tränen in den Augen nur wortlos um den Hals fiel oder als eine andere mir schluchzend sagte, dank uns hätte sie jetzt ein unglaublich schönes Vermächtnis für ihr Kind, war das unfassbar überwältigend.

 

Was hat sich seit der Ausstellung für euch verändert?

Agnes: Nun, 2020 hat viele Dinge an den Rand gedrängt... Durch einen Todesfall letztes Jahr in der Fanszene ergab sich eine Diskussion über Männlichkeit, Machokultur sowie psychische Gesundheit und man konnte spüren, wie viel Liebe es füreinander gibt. Das ist auch etwas, was ich der Ausstellung entnommen habe: Dass für die meisten aktiven Fans Fußball so viel mehr als 90 Minuten ist, es geht um Liebe, Leben und Tod.

Dani: Seit der Ausstellung wurde ich nochmal viel stärker mit dem Thema "Frauen im Fußball" in Verbindung gebracht als ohnehin schon. Ansonsten hat mich die Ausstellung sehr darin bestärkt, Frauen oder auch andere von Ausgrenzung betroffene Menschen im Fußball zu stärken, diese in ihrer Vielfalt als "ganz normale Fußballfans" sichtbarer zu machen und breiter zu beteiligen.

Emma: Mein Verein hat einen ehemaligen Nationalspieler verpflichtet, der wegen einer Vergewaltigung vor Gericht stand. Im fußballerischen Sinne war er dem Rest unseres Kaders um Ligen überlegen, andere Klubs wollten ihn wegen des Vorfalls aber nicht. Viele Menschen gaben ihre Dauerkarte öffentlich zurück oder widerriefen - wie auch ich - ihre Mitgliedschaft. Es sind nun drei Jahre vergangen und er ist immer noch da. Für viele war das Thema schnell vergessen und es wurde ausgeblendet, dass dieser Spieler nur aus Mangel an Beweisen nicht schuldig gesprochen wurde - wie so oft bei Vergewaltigungen. Obwohl mich das Thema sehr beschäftigt, finde ich es schwer, die Verbindung zu meinem Team zu kappen. Meine Energie stecke ich aber inzwischen auch in andere Projekte: Ich bin bei dem selbstorganisierten Verein United Glasgow aktiv und Sekretärin eines Frauenteams. Ich liebe die Freundschaften und den unterstützenden Charakter des Vereins, besonders in Zeiten wie diesen!

Hat sich in den letzten Jahren generell etwas für Frauen im Fußball verändert?

Dani: Mein Eindruck ist, dass die Fan.Tastic Females Ausstellung den positiven Trend der letzten Jahre - man denke nur an #Metoo - an allen bisherigen 35 Standorten deutlich verstärkt und zu einem Strukturwandel beigetragen hat. So wurden z.B. im Rahmen des Ausstellungsprogramms Faninitiativen gegründet oder Anlaufstellen gegen sexualisierte Gewalt ins Leben gerufen, die auch heute noch existieren.

Agnes: Ich würde sagen, dass man in Schweden zumindest begonnen hat, über weibliche Fans zu sprechen und ich habe das Gefühl, dass die Leute unsere Gruppe anerkennen und uns endlich zuhören: Als unser Vorstand eine Fusion mit einem anderen Verein vorschlug, um ein Frauenteam zu gründen, haben wir viele Fans zur Hauptversammlung mobilisiert und dafür gesorgt, dass wir selber ein Frauenteam gründen. Zwar in der untersten Liga, aber ohne die Übernahme eines anderen Vereins.

Daphne: Gleiches Stichwort: Frauenfußball. Wir haben inzwischen das erste professionelle Team gegründet und auch junge Mädchen können endlich bei uns spielen. Gleichberechtigung wird präsenter, aber der Sexismus im Fußball ist natürlich noch nicht komplett verschwunden.

Emma: Der Frauenfußball erhält inzwischen auch im Vereinigten Königreich mehr Aufmerksamkeit in den Medien. Noch nicht genug, aber mehr. Und auch Funktionärinnen bei Männer- und Frauenspielen werden normaler! Die Männer gewöhnen sich langsam daran (lacht).

 

Habt ihr eine persönliche Strategie gegen Sexismus?

Daphne: Ich bemühe mich einfach ein Vorbild für andere weibliche Führungskräfte zu sein und zum Beispiel nur an Workshops und Konferenzen teilzunehmen, die die Gleichstellung der Geschlechter widerspiegeln. Ich habe keine Toleranz gegenüber Diskriminierung: Alle Spielerinnen und Spieler des Hapoel Jerusalem FC durchlaufen halbjährliche Workshops, die sich mit Sexismus, Rassismus und Ungleichheiten im Profifußball befassen.

Agens: Meine Strategie bestand lange darin, mich zu wehren. Aber im Moment würde ich sagen, dass ich einfach besser bin und die Sexisten ignoriere.

Dani: Ich würde sagen, meine Strategie gegen Sexismus hängt sehr vom Kontext und der Situation ab, aber mein wichtigster Grundsatz ist, dass ich mich nicht einschüchtern lasse, ich überlasse das Feld wenn möglich keinesfalls der übergriffigen Person. Und ich glaube, dass manchmal ein humoristischer Umgang, also Ironie und Übertreibung, gegenüber sexistischem Mackergehabe sehr effektiv und entwaffnend sein kann.

Was für ein Fan.Tastic Females Folgeprojekt würdet ihr euch wünschen?

Daphne: Ich fände weitere Interviews total spannend, um zu sehen, wo einige heute stehen und fände gut, das Netzwerk rund um den Globus zu erweitern.

Agnes: Das wünsche ich mir auch! Mehr Diskussionen, Workshops und Arbeit über Grenzen hinweg. Für mich sind die Momente, in denen ich am meisten gewachsen bin, die Momente, in denen ich andere Menschen getroffen habe, die die gleichen oder auch ganz andere Geschichten teilen.

Dani: Ich hätte auch total Lust auf ein Projekt "Fan.Tastic Females from around the world". Da gäbe es noch so viel zu entdecken! Eine andere Idee, die mir aber auch schon länger im Kopf herumschwebt, ist die Umsetzung eines ähnlichen Projekts über Fankultur & Migrationsgeschichte und Religion im Fußball. Ein Nachfolgeprojekt Namens "Sisterhood – Girls Go Graffiti" gibt es aber ja jetzt schon. Ich bin gespannt.

Das Interview führte Antje Grabenhorst.

Unter fan-tastic-females.org sind über 70 weitere Interviews von Fan.Tastic Females, wie Daphne, Agnes oder Emma zu sehen. Gegen eine kleine Spende ist ein Ticket Code erhältlich, der den Zugang zu allen Video-Interviews und der virtuellen 3D Ausstellung im FC St. Pauli Museum ermöglicht.

Fußball und Europa: Drei Fragen - drei Antworten

An welches Spiel denkt ihr am liebsten zurück, wenn ihr an den europäischen Fußball denkt?

Emma: Puh, das ist eine so schwierige Frage! 2014 bin ich nach Deutschland und Polen, gereist um Schottland spielen zu sehen, und es waren zwei unglaubliche Reisen, die ich nie vergessen werde.

Dani: Ich habe in meiner Funktion bei Football Supporters Europe auch super viele Spiele besucht, aber ich glaube mein Lieblingsspiel war tatsächlich von Hapoel Katamon Jerusalem gegen Hapoel Tel Sheva. Mit 50 Fußballfans im Auswärtsbus, die grade mit ihrem Fanverein in der untersten Spielklasse Israels starten. Wir fahren zu einem winzigen Fußballplatz hinter einer Tankstelle am Dorfrand in der Wüste. Um uns herum nur Erdhügel und Kinder mit Eseln und Quadbikes. Auf der anderen Seite die Heimfans in PickUp-Trucks, die im Auto mit Klimaanlage gucken und bei jedem Tor hupen. Mitten während des Spiels beginnt der Muezzin aus dem Dorf zum Gebet zu rufen. Hapoel Katamon hat damals verloren. Heute spielen sie Profifußball in der 2. Liga in Israel.

Daphne: Haha, ich erinnere mich. Wahnsinn. Ich habe viele tolle Fußballmomente und Aufstiege erlebt! Aber letzte Woche hat mich das Debütspiel der Frauen in der ersten Runde des nationalen Pokals echt umgehauen. Nach harten 90 Minuten und einem 1:1-Ergebnis gingen wir in die Verlängerung und schließlich nach 120 Minuten - Elfmeterschießen. Unsere Torhüterin Nesia Ben Bassat ist Fan von Hapoel Jerusalem, seitdem sie klein ist, sie hatte aber nie die Gelegenheit, für Hapoel zu spielen, weil es einfach keine Frauenteams gab. Mit 35 Jahren gewann Nesia das Spiel dann mit 6:5 im Elfmeterschießen. Gleichheit für die Fans durch die Fans!

 

Ich verfolge die Fußballeuropameisterschaft 2021…

Emma: Weil es das erste Mal seit 23 Jahren ist, dass Schottland an einem großen Turnier teilnimmt, und ich bin so aufgeregt! 

Agnes: Hoffentlich in einem Park mit einer Großleinwand mit Freunden, Sonne und Bier.

Daphne: Nicht. Fußball ohne Fans ist nichts!

 

Was wünscht du dir für Europas Zukunft?

Emma: Ich hoffe, dass wir alle weiterhin voneinander lernen und gemeinsam im Fußball, durch Gemeinschaft und Akzeptanz, wachsen werden.

Dani: Für Europas Zukunft wünsche ich mir einen konsequenten Umgang mit demokratiefeindlichen Bewegungen und Regierungen und einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtenden an Europas Außengrenzen. Für den europäischen Fußball wünsche ich mir eine Neuausrichtung der Vereine und der Verbände hin zu einem Fußball zugute des sozialen Gemeinwohls & der Nachhaltigkeit. Und eine Politik, die den Fußball aus dieser Verantwortung nicht entlässt.

Agnes: Ich wünsche mir eine Zukunft, in der die Menschen nicht isoliert sind, eine Zukunft, in der wir nicht in Gut gegen Böse gegeneinander ausgespielt werden. Und natürlich auch eine Zukunft, in der wir wieder auf der Tribüne stehen.

Daphne: Was ich mir nicht nur für Europa, sondern für die Welt wünsche ist einen Impfstoff gegen Covid19, der allen gleichermaßen zur Verfügung steht. Und die Rückkehr der Fans im Stadion.

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