"Kein Sammel-Hobby wird so lax betrieben wie das Groundhopping."

Maxe (34) hat rund 2.200 Spiele in 1.600 verschiedenen Spielstätten und Stadien, sogenannten "Grounds", besucht. Ganz genau kann er dabei nur eine Zahl nennen: In 154 Ländern hat er persönlich schon Fußball live im Stadion verfolgt. Benny (37) ist Autor der 1. FC Nürnberg Fußballfibel, zuletzt verstärkt in Asien unterwegs und sieht sich weniger als Groundhopper, der akribisch über "gekreuzte Grounds" (= besuchte Spielstätten) und "Länderpunkte" Buch führen würde. Er ist ein "blinder Passagier". Die Berichte von ihren Spielbesuchen erscheinen meist im Fanzine Der Daggl.

Vor dem Hintergrund des Akademie-Themenjahrs "Europa" haben wir uns ausführlich mit den beiden Nürnbergern unterhalten. Sie erklären, was das Reisen in Sachen Fußball so einzigartig macht und warum Deutschland – und gerade Nürnberg – in Europa für Groundhopper geographisch ganz besonders günstig liegt. Kern jeder Hopper-Geschichte sind natürlich die Anekdoten: über den Besuch beim Fußballverbandspräsidenten der Zentralafrikanischen Republik oder über mit Schusswaffen erzwungene Alkoholexzesse in Usbekistan.

(Das Interview wurde im Februar 2020 geführt.)

"Es ist ja nicht so, dass ich unbedingt tollen Fußball sehen will. Den sieht man nicht in der dritten Liga Georgiens."

Lässt sich feststellen, seit wann es den Begriff "Groundhopping" gibt und woher er kommt?

Maxe: Der Begriff dürfte in den 70ern auf der Insel entstanden sein, als man begonnen hat, Spiele ohne Beteiligung des eigenen Vereins zu besuchen und andere Plätze, auf Englisch "Grounds", zu zählen. Eine sympathische Sammelleidenschaft, weil zuhause nichts einstaubt – solange man keine Eintrittskarten, Wimpel oder sonstiges mitbringt. In den 80ern, 90ern kam Groundhopping dann mehr und mehr nach Deutschland. Ein paar Kollegen, die heute noch sehr aktiv sind, waren auch damals schon viel unterwegs. Und schon lange bevor der Begriff hier überhaupt bekannt wurde, gab es Leute, die das Hobby betrieben haben, ohne zu wissen, dass es Groundhopping ist. Charles, einer von unseren älteren Nürnbergern, ist in den 60er und 70er Jahren als Lebenskünstler jahrelang mit dem Rucksack in Südamerika unterwegs gewesen. Natürlich um zu Reisen, aber ebenso, um diesen wahnsinnig verrückten südamerikanischen Fußball zu gucken. Da gab es den Begriff "Groundhopping" in Deutschland noch gar nicht.

Groundhopping ist gerade in Deutschland verhältnismäßig weit verbreitet – warum?

Benny: Groundhopping ist für uns Mitteleuropäer durch unsere geografische Lage perfekt. Lebst du in Südfrankreich oder in Portugal, ist es deutlich komplizierter, innerhalb kurzer Zeit ein paar Länderpunkte zu machen. Von Deutschland aus bist du recht schnell beispielsweise in Belgien, den Niederlanden, Polen, Tschechien, Dänemark, Österreich und der Schweiz. Und ich persönlich möchte für mich auch festhalten, dass es ein ziemliches Privileg ist. Es gibt Menschen in Europa, die schauen müssen, wie sie ihre Miete bezahlen können und nicht wissen, wie es den nächsten Monat weitergeht – gerade in Ländern wie Griechenland. Da ist es schon ein Zeichen eines gewissen Wohlstandes, wenn man spontan entscheiden kann, wo es im nächsten Monat hingehen soll. Ohne in die Klimadebatte abzurutschen, ist es außerdem krass, wenn man für 22 Euro einen Flug nach Neapel buchen kann und günstiger nach Süditalien kommt, als wenn man kurzfristig mit dem Zug nach Berlin müsste. Die Billigflieger sind ein Aspekt, der mit reinspielt.

Maxe: Reisen ist nicht nur sehr erschwinglich, sondern auch irre unkompliziert geworden. Während es noch vor 20 Jahren nicht nur finanziell ein großer Aufwand war, bucht man heute, während man in der S-Bahn sitzt, mit dem Handy für 22 Euro einen Ryan Air-Flug nach Brindisi und verbringt ein Wochenende in Süditalien. Da ist es natürlich, dass es immer mehr Leute gibt, die so etwas betreiben. Klar, weil es Spaß macht, weil es einfach ist, weil es erschwinglich ist und weil man viel rumkommen kann, ohne der Größte sein zu müssen. Je mehr du reist, umso mehr kommt natürlich die Erfahrung dazu. Man findet immer neue Kniffe heraus, günstig von A nach B zu kommen. Allein die Meilen- und Bonussysteme der Fluggesellschaften sind eine Wissenschaft für sich, um herauszufinden, wie ich mich am günstigsten quer durch die Welt und zurück mogeln kann.

Was wird beim Groundhopping wirklich gepflegt und gezählt und was sind Mythen?

Maxe: Kein Sammel-Hobby wird so lax betrieben, wie das Groundhopping. Es gibt zwar Regeln, aber die werden ganz eigen ausgelegt. Anfang der 2000er hat die "Vereinigung der Groundhopper Deutschland" mal den Versuch gestartet, Regeln festzulegen. Dass ein Ground beispielsweise immer nur beim Erstbesuch zählt. Man kann also nicht zehnmal zum selben Stadion gehen und sagen, "Ich habe jetzt zehn Grounds gemacht." Ein Spiel über 90 Minuten in einem Stadion zählt als ein Groundpunkt, in einem neuen Land als ein Länderpunkt. Schnell gab es dann aber auch Ausnahmen von der Regel. Wenn irgendetwas Unvorhergesehenes, wie ein Stau oder ein zu früher Anpfiff passiert, zählt auch eine Halbzeit und man kann sich noch irgendwie an 45 Minuten als Notnagel klammern. Es muss jeder selbst wissen, wie sehr er sich die Sache ein bisschen schönredet. Ich bin ein Freund davon, Fußball 90 Minuten zu gucken, denn ich gucke ja auch keinen halben Kinofilm und gehe dann nach Hause.

Wann habt ihr persönlich mit dem Groundhopping begonnen?

Maxe: 2001 war ich mit weiteren Nürnbergern bei einem Spiel von Rapid Wien in Linz: mein erstes internationales Spiel. Ganz im Sinne der Fanszene, als die alte Brücke Rapid-Nürnberg wiederaufgelebt ist. Nachdem ich mit meinen zarten 16 Jahren zuvor schon ein bisschen auf Auswärtsspielen unterwegs gewesen bin, fand ich das extrem spannend. Dass man beim Fußballspiel im Ausland genau so viel Fetz haben kann und es gleichzeitig Unterschiede gibt. Über Groundhopping hatte ich schon einiges gelesen, so war das Thema nicht ganz neu und trotzdem ein bisschen nerdig. Ohne Internet musste man damals jemanden kennen, der in Weiden (in der Oberpfalz) wohnt und schon auf den tschechischen Teletext zugreifen kann, um herauszufinden wann denn Sparta Prag am nächsten Wochenende spielt. Von der Fülle der Spiele, die man über den eigenen Verein hinaus gucken kann, war ich begeistert. Und dann hat sich das irgendwann peu á peu weiterentwickelt und nie aufgehört.

Wie viele Spiele muss man gesehen haben, damit man als jemand gilt?

Maxe: Das hängt natürlich stark vom Alter ab. Als 40-jähriger kann ich rechnerisch 2000 Fußballspiele geguckt haben, als 20-jähriger natürlich nicht. Außerdem geht es beim Groundhopping überwiegend um Eigennutz, im Sinne von Spaß an der Sache, ohne Wettbewerbsgedanken. Es ist kein Wettrennen, kein Aufbieten von "Wer hat jetzt mehr?" oder dergleichen. Es ist lebensfüllend und zeitraubend und wenn man das nur macht, um in irgendwelchen Statistiken besser zu sein, dann verliert man den Spaß recht bald.

Was macht für euch persönlich den Reiz aus?

Maxe: Die Kombination aus Fußball, Reisen und dem, was man erlebt. Ginge es nur um die Anzahl der Grounds und darum, Plätze zu sammeln, dann bräuchte ich Bayern nicht verlassen und hätte meinen Lebtag genug zu tun, weil es hier tausende von Sportplätzen gibt. Es ist ja auch nicht so, dass ich unbedingt tollen Fußball sehen will. Den sieht man nicht in der dritten Liga Georgiens.

Benny: Ich würde mich gar nicht als Groundhopper definieren. Dafür habe ich zu viel Respekt vor Leuten, die das ernsthaft betreiben. Ich bin eher ein blinder Passagier. Für mich ist es das Unterwegssein, in andere Länder kommen, mit guten Freunden, denen ich vertraue, abzuhängen. Das kann eine Autofahrt sein, das kann eine Zugfahrt in Vietnam sein. Für mich ist der Weg das Ziel. Ich habe halb Asien länderpunkttechnisch, aber mir fehlt zum Beispiel Belgien. Zu erleben, wie der Sport, der eigentlich immer derselbe ist, in exotischen Ländern betrieben wird: Es gibt dieses eine Spielfeld, es gibt zwei Tore, es gibt die gleichen Regeln – und doch gibt es Unterschiede. Wenn man auf den Philippinen im Dschungel nach zwei Tagen Taifun-Regen bei einem Spiel sieht, wie einfach Dinge funktionieren. Ich bin der Meinung, dass man eine gewisse Mentalität von Menschen an der Art und Weise erkennen kann, wie sie zum Fußball gehen.

Besteht die Kunst auch darin, möglichst günstig zu reisen und gilt das auch dafür, wie man ins Stadion kommt?

Maxe: Ja sicher. Das Organisieren ist ja für sich eine Herausforderung und das vorherige Planen der ganzen Reise macht mindestens genau so viel Spaß, wie das Reisen selbst. Bei den Spielbesuchen muss ich für meinen Teil klar unterscheiden, wo ich mich gerade aufhalte. Bin ich irgendwo bei einem kleinen Dorfverein, bei dem jeder 50 Euro fürs Fußballspielen bekommt und der von den Mitgliedern getragen wird, die jedes Jahr gucken müssen, wie sie ihre Weihnachtsfeier organisiert kriegen? Dann ist mir das deutlich zu doof, irgendwie zu versuchen, die um 3 oder 5 Euro zu prellen. Aber genau die gegensätzlichen Gefühle habe ich, wenn ich bei irgendeiner hunderte Millionen schweren Aktiengesellschaft bin. Dann sehe ich für mich nicht zwingend die Notwendigkeit, die mit 120 Euro zusätzlich zu unterstützen, indem ich eine Haupttribüne-Mitte-Karte kaufe. Da versucht man natürlich irgendwo kostensparend Fußball zu gucken.

Benny: Bei teuren Vereinen, Aktiengesellschaften, diesen Krösusvereinen, würde ich sofort alles nutzen, was geht. Aber bei unterklassigen oder von Fans geführten Vereinen, von denen es in Europa ja mittlerweile einige gibt, in England beispielsweise den AFC Wimbledon, oder auch FC United of Manchester, zahle ich gerne den Eintritt.  Aber ich werde in meinem Leben keine 100 Euro für ein Fußballspiel ausgeben – es sei denn, der Club sollte mal in der Champions League spielen...

Maxe: Es gibt aber auch die Spiele, wo du schlichtweg schwer reinkommst. Die Beliebten, die 500.000 Zuschauer hätten und schlichtweg ausverkauft sind.

Die Ticketproblematik ist also eine große Hürde beim Spielbesuch?

Benny: Ein Paradebeispiel: wir waren Anfang 2018 in Venlo in Holland. Da konnte man gar nicht regulär an Karten kommen. Das heißt, es gab nur einen Mitgliederverkauf und dazu galt es noch als Risikospiel. Wir hätten vorher gar keine Karten kaufen können – da sind wir halt einfach reingelaufen! Und es hat keinen interessiert. Da hält sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen.

Maxe: Meine Regel Nummer 1: Rein kommt man immer! Das habe ich als Credo. Damit habe ich mir die Messlatte natürlich sehr hoch gelegt, aber Gott sei Dank – toi, toi, toi – bei über zweitausend Spielen hat es tatsächlich funktioniert und ich musste noch nie draußen bleiben. Beim Online-Vorverkauf sind Spiele häufiger so definiert, dass man nur mit einer bestimmten Fancard oder einer Bookinghistory Tickets erwerben kann. Wenn man das alles nicht hat, nützt es auch nichts, an der Abendkasse mit 100 Euro zu wedeln – es gibt einem trotzdem niemand eine Karte. Ich will aber trotzdem alle Erstligastadien in Holland besuchen. Also muss ich sehen, wie ich reinkomme und da gibt es auch Wege.

Sind dabei vor allem Sicherheitsbestimmungen ein Problem?

Benny:  Das hängt ganz individuell davon ab, wie die Gesetzeslage in den Ländern ist. Wenn gerade ein neuer Justizminister gewählt wurde, der eine Hardliner-Politik fährt, dann gibt es keine Karten. In Polen musst du dich registrieren lassen, brauchst die "Karta Kibica". In Italien, die "Tessera del Tifoso". Und in der Türkei die "Passolig", für die man bei der Aktif Bank Kunde werden muss, die Erdogans AKP nahesteht. Da habe ich dann in Istanbul auch mal auf einen Spielbesuch bei Galatasaray verzichtet.

Maxe: Genau das ist der Punkt, dass man sich ja auch nicht zwingend zu allem geißeln muss. Es gibt schließlich viele Möglichkeiten, Fußball zu gucken. Was das Groundhopping angeht, ist das neue Stadion von Ferencváros in Budapest ein Paradebeispiel. Dort werden am Einlass Fingerabdrücke genommen und ein Venenscanner sorgt für eindeutige Identifizierbarkeit. Mittlerweile hat man eine Einigung mit der Fanszene gefunden, die lange Jahre aus diesem Grund die Spiele boykottierte. Ich frage mich, inwiefern sich die Funktionäre einen Gefallen tun, wenn eine ganze Fankultur stirbt. Auf der anderen Seite steht natürlich die Frage, wie konsequent der Fan ist. Wie lange lässt er es als Konsument mit sich machen oder wie lange hält er es durch, sich zu widersetzen. Bis er am Ende doch die "Passolig" hat, denn die türkischen Stadien sind ja nicht wirklich leer.

Erzählt mal bitte eure verrücktesten Anekdoten von unterwegs.

Benny: In Jizzax in Usbekistan sind wir im vergangenen Jahr in einem Hotel gelandet, in dem sich Herren vom Staatsapparat und der örtlichen Justiz zum Essen und Trinken getroffen haben. Wir wurden von denen zu Speiß und Trank eingeladen. Das zog sich dann bis tief in die Nacht, bis ich unter vorgehaltener Waffe dazu gebracht wurde, weiter Wodka zu trinken, obwohl absolut nichts mehr rein ging. Das war definitiv eine Grenzerfahrung für mich (lacht). Die ich dann auch bitter bereut habe. Tagelang. Dadurch, dass ich keine feste Nahrung mehr aufnehmen konnte. Hinterher sitzt man zuhause und denkt sich: "Oh Mann, das ist wirklich passiert!" Und auch wenn man jetzt hier darüber lacht, war das vor Ort für mich doch eine ziemlich grenzwertige Situation. Die Reise nach Nordkorea im September 2017 war eine eigene, große und verrückte Anekdote!

Maxe: (lacht) Ja, das war im Juni 2019 bei dem legendären und uns allen gut bekannten 2:2 von FK So’g‘diyona Jizzax gegen FK Kokand 1912 in der 1. Liga von Usbekistan. Wenn man viel reist und nicht mit Neckermann oder der Aida unterwegs ist, erlebt man automatisch Abenteuer. Wenn du einfach mal ins Blaue irgendwo hinfährst, in ein Land, bei dem sonst jeder sagt, "Was machst du denn? Da gibt’s keinen Strand!" – "Ja eben, deswegen will ich ja dahin!", dann weißt du am Tag der Buchung, dass du um einige Geschichten reicher bist, wenn du wieder nach Hause kommst.

Die Zentralafrikanische Republik ist zum Beispiel ein ganz anderes Thema als Europa, da geht es schon ziemlich wild zu. Wenn man halbwegs sicher sein möchte, sollte man dort nicht ganz so blauäugig ins Stadion gehen, da ist schließlich ordentlich Alarm. Deutschland hat die dortige Botschaft 1997 geschlossen. Die Botschaft in Kamerun, die nun zuständig ist, hat mir dann einen Kontakt zum Österreichischen Konsul vermittelt. Ein sowas von genialer Mensch, in der Zentralafrikanischen Republik seit ungefähr 1993 – keine Ahnung, wie der Mann das aushält –, der uns dann wiederum einen Termin beim Präsidenten des Fußballverbands vermittelte. Vorab hatten wir herausgefunden, dass der gleichzeitig noch Generalmajor bei der Anti-Balaka-Miliz ist, also den christlichen Rebellen, die die Moslems in dem Land abschlachten. Was wohl der FIFA-Ethikrat dazu sagen würde? Schließlich haben wir ihn aber getroffen, um irgendwie an eine Eintrittskarte zu kommen. Im Präsidentenbüro fanden wir ein Foto, auf dem man ihn beim Handshake mit Gianni Infantino sieht. Da dachte ich mir: "Ok, da machen wir vom Daggl uns wohl offensichtlich noch mehr Gedanken als die komplette FIFA." Das Treffen lief sehr höflich ab, wir haben uns ja nicht politisch unterhalten. Er ist seitdem glücklicher Besitzer eines 1. FC Nürnberg-Fußball-Schals und eines Kugelschreibers vom mittelrheinischen Fußballverband, den ich noch einstecken hatte. Er organisierte uns eine Limousine ins Stadion und ein VIP-Ticket und das war auch wirklich verdammt gut so. Wir wurden von Blauhelm-Soldaten gesichert und es ging nach dem Spiel im hoffnungslos überfüllten Stadion auch wirklich ganz verrückt und teils sehr aggressiv ab.

"Der Kontinent Europa ist sicherlich ein Fußball-Kontinent, nur – welcher Kontinent ist das nicht?"

Gibt es so etwas wie eine ländertypische Stadion-Atmosphäre? Wo liegen die Unterschiede?

Benny: Es gibt definitiv Unterschiede. Jedes Land ist eigen und hat seine Besonderheiten. Partien in Serbien, zum Beispiel die von mir besuchten Spiele und Derbys in Belgrad mit den starken, großen Fangruppen, werde ich niemals vergessen. Dem gegenüber steht zum Beispiel Luxemburg, wo es so gut wie keine Fankultur gibt. Es gibt in Schweden Spiele, bei denen absolut nichts los ist. Zum Derby in Stockholm will aber jeder unbedingt hinfahren. Italien ist in den letzten Jahren auch wieder im Kommen.

Maxe: Polen hat eine sehr brachiale Fankultur. Die Fangesänge dort sind eigentlich gar keine Gesänge, aber es ist einfach irre, wahnsinnig und erzeugt Gänsehaut, wenn 10.000 Leute in einer unfassbaren Lautstärke "Legia!" durchs Stadion schmettern. Und wenn irgendwo in Süditalien die Kurve singt, sinkst du als Franke vor Scham in den Boden. Wenn so eine 2.000 Mann starke Kurve ein "Bella Ciao" anstimmt, ist das dermaßen perfekt gesungen und melodisch, dass es einfach einen riesengroßen Unterschied darstellt.

Welche europäischen Einflüsse sind denn in der in Nürnberger Fankultur angekommen?

Maxe: Ich denke, dass Nürnberg ganz am Anfang sicher – genau wie die komplette Ultra-Kultur, die sich in Deutschland entwickelte – Einflüsse aus Italien aufgenommen hat. Mittlerweile ist es aber eine gewachsene Kurve und Fanszene, die eine ganz eigene Identität entwickelt hat. Man wird nicht mehr unmittelbar erkennen, dass vor zwanzig Jahren mal ganz schön viele Nürnberger nach Italien gefahren sind.

Benny: Ich würde Maxe beipflichten, dass Nürnberg eine eigenständige Identität entwickelt hat. Dass die meisten heutigen Ultra- bzw. Fanszenen in Deutschland am Anfang von Italien beeinflusst waren, lässt sich teilweise an den Gruppennamen ablesen. Aber die meisten haben über die Jahre eine eigene Identität entwickelt. Stilmittel, wie Doppelhalter oder Ähnliches, wurden und werden damals wie heute eingesetzt, man kann das Rad schließlich ganz schwer neu erfinden. Oftmals ist es auch so, dass Leute, die im Ausland unterwegs sind oder groundhoppen, ein geiles Lied hören, das man, im Idealfall, so in Deutschland noch nicht kennt. Dann wird es den entsprechenden Leuten in der eigenen Fanszene vorgestellt und ein eigener Text dazu gedichtet. Das Schöne an Europa ist ja, dass wir in zwei Stunden in Tschechien, in zwei Stunden in Österreich sind, nur dreieinhalb, vier Stunden bis Straßburg brauchen. Und schon hat man drei unterschiedliche Stile versammelt. Saarbrücken hat eine Szene, die sich selbst zum Teil als sehr frankophil bezeichnet. Dann hast du eine Szene wie Rostock, mit der räumlichen Nähe zu Polen. Heutzutage, in dieser globalisierten Welt, ist es eigentlich unmöglich, diese Einflüsse auszublenden und nicht zu zulassen.

Neben diesen Einflüssen – wo kann man denn von konkreter Vernetzung sprechen?

Benny: Es ergeben sich automatisch Vermischungen, beispielsweise, wenn die Kurve in Deutschland ein Lied von einer befreundeten italienischen Szene singt. In Nürnberg muss man definitiv Rapid Wien nennen. Durch die Intensität der Freundschaft findet hier ein besonderer Austausch statt. Ich war 2008 oder 2009 in Griechenland mit dabei, als die Freundschaft zu Larisa [den Fans von AE Larisa, auf die der 1. FC Nürnberg im UEFA-Cup-Jahr 2007/08 traf, Anm. d. Red.] ihren Anfang nahm. Das ist einfach Wahnsinn! Wenn du ständig mit der S-Bahn zum Club-Heimspiel fährst, hier die Gegebenheiten gewohnt und hier aufgewachsen bist und dann in Griechenland in so einer anarchischen Kurve stehst und die Griechen sich dafür schämen und sich fast schon entschuldigen, dass am Eingang ein alter Polizist herumsteht. Das sind krasse Erfahrungen, man nimmt automatisch immer etwas mit.

Welche Fankurve in Europa muss man gesehen haben?

Maxe: Mir fallen viele ein. Bei den rein sportlich-qualitativ absoluten Top-Spielen, wie Chelsea gegen Barcelona zum Beispiel, ist im Stadion meist nichts los, da kann man gleich zuhause bleiben. Wenn man wenig Zeit hat und die stimmungsvollsten Spiele in Europa ansteuern will, bei denen man ein riesen Rambazamba erlebt, dann würde ich jemanden zum Stockholm-Derby schicken. Außerdem nach Serbien zum Belgrad-Derby. Und dann nach Mailand oder nach Genua. Es muss aber nicht immer groß sein. Es reicht ja auch, wenn es klein, aber anders ist. Wen ich jemanden in das Livorno des Jahres 2002 schicken könnte, dann würde ich es tun, weil es einfach etwas Besonderes war.

Benny: Es kommt darauf an, auf was man steht.

Maxe: Ja, sag die besten fünf Filme! Wo fängst du da an? Es gibt so viele Genres, und da geht es ja auch darum: Was mag ich besonders, auf was lege ich einen Fokus.

Benny: Es gibt Menschen, die bevorzugen die Fankultur in Polen, andere legen ihren Fokus auf Italien. Wir waren im Januar dort. Bei der vergleichbar kleinen Fanszene von Juve Stabia aus Castellammare ging mir persönlich das Herz auf. Denn wie die sich in diesem alten Stadion in dieser süditalienischen Stadt präsentiert hat, war einfach Italien pur. Und ebenso war ich schon in Polen, bei einem Legia Warschau-Heimspiel, wo ich aufgrund der Lautstärke total aus dem Stadion geblasen wurde. Der größte Gegensatz ist wahrscheinlich eine süditalienische Kurve auswärts bei Legia. Und das ist das Großartige. Das liebe ich auch an Europa, diese Unterschiede, die es einfach gibt – und beides ist für uns schnell und einfach erreichbar.

Maxe: Letztendlich ist es die große Diversität der Fankultur in Europa – oder weltweit –, die dich als Groundhopper antreibt, nicht aufzuhören. Du sagst nicht: "So, jetzt habe ich alles gesehen, wiederholt sich ständig!" Ganz im Gegenteil: Ich freue mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich ein großartiges Spiel sehe, bei dem richtig viel los ist und bin von Neuem genauso begeistert, wie vor 15 Jahren, als ich das erst Mal bei Olympiakos war. Das hat von seinem Zauber nichts verloren.

Benny: Diese Diversität findet sich schon innerhalb Deutschlands. Es ist ein großer Unterschied, ob man sich die Südtribüne in Rostock anschaut oder die Nordkurve in Mönchengladbach. Schon dadurch bedingt, dass die Städte zwangsläufig in den Einflussbereichen anderer Länder liegen. Deutschland ist aktuell, meiner Meinung nach, mit am stärksten aufgestellt, was Fankultur angeht. Es gibt Länder, die waren eine Zeit lang führend. Nun ist da durch Gesetzesänderungen, wie die Einführung von Fankarten, nichts mehr los. Italien galt als das Mekka der Ultraskultur früher viel, bis es Mitte der 2000er Vorfälle gab, bei denen unter anderem der Lazio-Fan Gabriele Sandri erschossen wurde. Es folgten heftige Gesetzesänderungen, die es der Fankultur schwergemacht haben, sich weiter auszuleben. Leute, die seit 20, 25 Jahren auf den Stiefel fahren, sagen aber jetzt, dass Italien wieder im Kommen ist.

Kann man Europa als Fußballkontinent bezeichnen?

Benny: Absolut.

Mehr als andere Kontinente?

Benny: Absolut!

Maxe: Ja klar. Ich will nicht behaupten, dass in allen 55 UEFA-Ländern Fußball gleichermaßen hoch im Kurs steht. Es sind keine 55 Fußballländer. Der Kontinent Europa ist aber sicherlich ein Fußball-Kontinent, nur – welcher Kontinent ist das nicht? Afrika und Südamerika – brauchen wir nicht drüber diskutieren – sind definitiv Fußballkontinente. Afrika dreht völlig durch, fußballtechnisch. Asien entwickelt auch eine immer größere Fußballbegeisterung. "Fußballeuropa" kann man sagen, "Fußballwelt" – mit wenigen Ausnahmen.

Benny: Australien ist eventuell so ein Fleck auf der Erde, wo Fußball vielleicht die dritte Geige spielt.

Maxe: Selbst da drüben entwickelt sich was. Die Sydney-Derbys sind mittlerweile hier und da mal ausverkauft, wenn die Tabellensituation passt. Der FC Sydney hat seit ein paar Jahren eine Fanszene, die sich witziger Weise auch an Europa orientiert. Und ihr Enemy, die Western Wanderers, ebenfalls, aber auf eine andere Weise. Also die haben eher südländisches, italienisches und lateinamerikanisches Flair. Das ist ganz witzig, wie sie sich da was abkupfern – aber was heißt abkupfern? Das ist ja vergleichbar mit der Entwicklung, als vor 20 Jahren aus Italien Einflüsse nach Deutschland kamen.

Benny: Lustiger Weise gibt es eine Fanszene in Thailand, die sich komplett an Nürnberg orientiert. Muangthong United haben eine Zaunfahne, die der Ultras Nürnberg-Fahne nachempfunden ist.

Lassen sich die Stadien unter Gesichtspunkten der Architektur ländertypisch kategorisieren?

Maxe: Wie wahrscheinlich die meisten Fußballfans bin ich ein bisschen Traditionalist. Ich liebe es, wenn ein altes Stadion Atmosphäre atmet. Auch wenn ich in einem komplett leeren Stadion stehe, das 100 Jahre alt ist und in dem eben schon wahnsinnig große Spiele stattgefunden haben. Wenn du deine Augen zumachst, fühlst du diese Atmosphäre, die von diesem Stadion ausgeht. Das geht in diesen ganzen neumodischen Multifunktions-Event-Arenen, die heutzutage für 100 Millionen Euro und mehr aus dem Boden gezaubert werden, natürlich völlig verloren. Ich bevorzuge ganz klar diese alten, traditionellen Spielstätten mit ihrer fantastischen Architektur. Das 1912 erbaute Olympia-Stadion in Stockholm ist eines der absoluten Highlights: Außenherum wie eine Festung gebaut. Es ist, glaube ich, für eine Eishockey-WM erbaut und erst im Nachhinein zum Fußballstadion umfunktioniert worden. Dort wird nur noch ganz selten gespielt, weil in Stockholm alle irgendwo ihre neuen Multifunktionshallen stehen haben. Es gibt aber auch Umbauten, oder Neubauten, die gelungen sind. In Marseille haben sie es hingekriegt, diese sehr, sehr eigenwilligen, einzigartigen Rundungen beizubehalten, diese "Welle" im Stadion wiederaufzunehmen. Dort ist es gelungen, umzubauen und einen sehr guten Kompromiss aus einem modernen Stadion zu finden, in dem das alte Bild und damit eben die Individualität erhalten bleibt. Umgekehrt gibt es die ganz krassen, negativen Beispiele. In Paderborn steht eins zu eins dasselbe Stadion wie in Gliwice in Polen. Weil dieses Stadionmodell einfach zwei Mal verkauft worden ist. In den ganz neuen Fußballländern, wie den Vereinigten Arabischen Emiraten und dergleichen, wird ein und dasselbe Stecksystem aus China 28 Mal gekauft. Das nimmt natürlich jegliche Individualität aus so einem Spielort heraus und entsprechend auch ein bisschen die Freude am Groundhopping. Weil du ja bewusst Unterschiede sehen willst. Wenn alles gleich aussehen würde, müsstest du ja nicht woanders hinfahren.

Also tendenziell eine Entwicklung zum europäischen Einheitsbrei aber immer wieder mit Ausnahmen, was Neubauten angeht – kann man das so sagen?

Maxe: Ja, wobei die Ausnahmen leider selten sind. Gerade große Events, wie Welt- und Europameisterschaften, verändern die Stadionlandschaft stark. Im Jahr 2006 in Deutschland noch deutlich weniger als heutzutage. Das zeigt der Vergleich mit Russland oder dem was da in Katar hochgezogen wird. Es wird immer futuristischer und häufig wird überhaupt kein Wert auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit gelegt. Das fing wohl in Faro, in Portugal an, wo seit der EM 2004 dieses Riesending mitten in der Walachei steht. Es gibt dort noch nicht mal einen Fußballverein, das gammelt vor sich hin. Gibraltar hat es jetzt, nachdem es in die UEFA aufgenommen worden ist, ein paar Mal genutzt, weil es keine genehmigte Spielstätte auf eigenem Gebiet gibt.

Und wo findet man die echten Stadionperlen in Europa? Lässt sich das auf eine Region herunterbrechen?

Maxe: Überall da, wo in den letzten 15 Jahren kein Mainevent stattfand, für das alles umgebaut worden ist.

Benny: Die Stadionlandschaft in Italien ist zum Beispiel immer noch sehr individuell. Das Giuseppe Meazza in Mailand ist für mich eines der Stadien schlechthin – das jetzt aber auch bald abgerissen und durch ein neues ersetzt werden soll. Viele Perlen sind verschwunden, werden noch verschwinden und dem Einheitsbrei weichen. Es geht um Multifunktionalität, um Logen und um Vermarktung. Interessanterweise sind für mich die spannendsten Stadien gerade in Ländern zu finden, in denen kein Geld vorhanden ist, um in diese zu investieren. Es gibt in Bosnien fantastische Schüsseln, das Stadion vom FK Sarajevo ist so eine. Das Marakana in Belgrad ist für mich noch mit den großen Zeiten von Roter Stern Belgrad verknüpft. In Tschechien hat bis in die untersten Ligen jeder noch so kleine Verein eine geile Tribüne. Selbst in Spanien gibt es noch schöne Dinger und auch in Belgien soll es geile Stadien geben. Ich denke, dass man überall Perlen findet, aber der allgemeine Trend geht ganz klar zum seelenlosen Multifunktionskasten.

Maxe: Ich glaube, es gibt in jedem Land echt ein paar Highlights.

Benny: Abseits von den ganzen Standardbausätzen gibt es auch in Deutschland gute Beispiele für gelungene Umbauten und Modernisierungen. Bremen oder auch Stuttgart wären da zu nennen, weil dort der alte Charakter ein Stück weit bewahrt werden konnte und die Stadien noch etwas Individuelles haben. Und auch, wenn ich aufgrund der Akustik nicht der größte Fan bin, so hat unser Stadion, das Max-Morlock-Stadion, doch etwas Individuelles. Durch die achteckige Form und leider auch durch die Laufbahn. Auch wenn das viele Nachteile mit sich bringt. Als Fan, der will, dass es seinem Verein gut geht, bräuchte ich wahrscheinlich ein Stadion mit vielen Businessplätzen, die vermarktet werden können. Aber das ist nicht das, was mich emotional anfasst.

"Ein gutes Fanzine ist zeitlos."

Ihr schreibt ja beide für das Fanzine Der Daggl. Wie kam es dazu, was macht das aus?

Maxe: Reine Profilierungssucht! (lacht)

Benny: Die Grundidee für den Daggl gibt es seit Ende 2011. Die erste Ausgabe des Daggl ist dann im April 2012 in einer 300er Auflage erschienen. Das Heft gibt es bis heute. Die Arbeit, die damit verbunden ist, macht mir sehr viel Spaß: zu Layouten, den Kollegen auf den Sack zu gehen, Berichte zu schreiben. Es ist schon eine Kunst, wie wir es alle zusammen schaffen, die unterschiedlichsten Charaktere zu vereinen. Es sind der Spaß an der Sache und die positiven Rückmeldungen, die man bekommt. Und es geht natürlich auch um das Festhalten von eigenen Erlebnissen. Ich könnte jetzt aus dem Stehgreif nicht sagen, wie die eine Polen-Tour im Jahr 2013 war, aber ich könnte den Daggl rausholen um es nachzulesen.

Maxe: Wie gesagt, bin ich ein bisschen Traditionalist – im romantischen, nicht im negativen Sinne. Fanzines sind ein sehr, sehr altes Medium, auch außerhalb des Fußballs. Und im Fußball vielleicht das erste Medium, mit dem sich Fans selbst publiziert haben, unabhängig von kommerziellen Zusammenhängen. Heutzutage hat man in Sekundenbruchteilen die News auf dem Smartphone, wenn irgendwo auf der Welt irgendetwas passiert ist. Und dann hast du so ein Heft, wo jemand schreibt: "Vor fünf Monaten waren wir auswärts bei Bochum!"

Benny: Den Bericht, den du eigentlich schreiben solltest und am Ende nie geschrieben hast! (lacht)

Maxe: Dass das noch funktioniert, macht einfach riesen Spaß, muss ich sagen. Es ist echt unglaublich, dass wir uns vor acht Jahren zusammengesetzt haben. Wir bestehen ja aus Leuten, die alle vorher mal Fanzines selbst geschrieben oder woanders mitgeschrieben haben. Die sind alle nach und nach eingeschlafen – natürlich, weil es auch viel Arbeit ist. Aber auch aus persönlichen Gründen und wegen neuer privater Verpflichtungen. Irgendwann hatten wir kaum noch Fanzine-Kultur auf dem Markt in Nürnberg. Zum einen diesem Modernen geschuldet, die Nachrichten sofort bringen zu müssen. Dass du eben nach dem Spiel, quasi auf dem Weg nach Hause, bei Faszination Fankurve schon nachlesen kannst, wie das Spiel war und die Bilder aus der Kurve sehen kannst. Und dann haben wir uns zusammengesetzt und gesagt: "Komm, wir versuchen es einfach noch mal, neben dem Ya Basta! und dem Hefdla ein Heft aufzusetzen." Mit der Idee, dass alle, die zuvor ein Heft geschrieben haben, hierfür zusammenkommen. Und die Nachfrage hat uns völlig erschlagen. Das hätten wir, hätte zumindest ich, nie im Leben geglaubt, dass es noch so eine Nachfrage gibt, bis heute ins Jahr 2020.

Benny: Also von 300 auf aktuell über 1000 Hefte pro Ausgabe.

Maxe: Dass wir aus dem Stand weg, auf halber Arschbacke, irgendwie 1000 solche Hefte verkaufen. Dass es da wirklich noch eine so große Nachfrage gibt, dass Leute sagen: "Hey, schick mir mal 20 hier hin! Ich habe auch noch Freunde…" Und das geht quer durch Deutschland. Wir freuen uns mega, dass es Leute gibt, die genauso romantisch veranlagt sind wie wir. Leute, die es schätzen, ein Druckerzeugnis, in dem viel Liebe und Arbeit steckt, in der Hand zu halten. Und für die das, was sie herauslesen, nicht topaktuell sein muss. Die diese Geschichten und das Heft lieben. Dass das noch so gut funktioniert, macht so ein bisschen Hoffnung.

Benny: Ja und genauso, dass wir Charaktere vereinen. Belgrad ist heute mehrfach angesprochen worden: Wir haben den Harry in der Redaktion, der bei dem Derby sitzt und vor lauter Bierdurst und Langeweile in der 85. Minute geht, weil er einfach sein Bier trinken will. Er verpasst das Siegtor und 120 Bengalos. Da beißen manche Leute, die schon hunderttausende Belgrad-Derbys gesehen und sehnsüchtig auf so einen Moment gewartet haben, in den Tisch und denken sich: "Was ist denn mit dem kaputt?" Gleichzeitig schreiben Leute am Heft mit, die vier Seiten über das Belgrader Derby schreiben können und jedes Detail schildern. Unser einziger Grundkonsens ist, dass keine diskriminierende Kackscheiße drinsteht. Unser Korrekturleser, Hefdla-Hannes, hat da ein Auge drauf, muss aber eigentlich nicht eingreifen. Es werden natürlich Leute bzw. Fanszenen angefuckt, aber es gibt diesen Konsens bei uns, trotz der unterschiedlichen Sichtweisen auf politische Belange. Damit meine ich, dass es Menschen bei uns gibt, die konservativer sind und welche, die links außen sind – und das funktioniert seit acht Jahren. Wir werden es so lange machen, wie das so gut läuft und wir eben Bock darauf haben.

Kann man sagen, dass Fanzines auf eine gewisse Art zeitlos sind?

Benny: Ein gutes Fanzine ist zeitlos. Ich habe den Großteil meiner Sammlung hergegeben oder beispielsweise der Weihnachtsspendenaktion zur Verfügung gestellt. Aber manche Hefte habe ich aufgehoben. Unbedingt nennen muss man Ted Striker. Jemand aus Greifswald, der unter anderem Eine Reise dorthin, wo der Osten schon wieder Westen ist, in dem er über eine Reise von Greifswald bis nach China und zurück schreibt – heraus gebracht hat. Das sind Zeitdokumente, die hole ich heute noch raus und will sie auch in der Hand haben. Es gibt leider einige Hefte, die eingestellt worden sind, wie das INSIEME! aus Stuttgart vom Tim, der jetzt einen Blog macht. Tim kann schreiben, es war ein tolles Heft – bringt mir als Blog aber nichts. Für mich persönlich muss ein Heft oder Buch einen Kaffeefleck haben, es muss Eselsohren haben, ich muss es auch mal verloren haben.

Maxe: Für alles drei bist du prädestiniert.

Es klingt an, wie vernetzt ihr seid, zumindest in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum. Wirkt es denn auch darüber hinaus? Bekannte englische Fanzines gibt es ja auch noch, aber ist das eine europäische Kultur?

Maxe: Es ist eine europäische Kultur, eine weltweite eher nicht, würde ich sagen. Und es ist natürlich eine Frage der Sprache: Die englischen Fanzines werden viele lesen können, die deutschen definitiv nur Deutsche, Österreicher, Schweizer. Und dann wird der Rahmen eng, wer lernt schon Deutsch? Es gibt also keinen übergreifenden Austausch, wie jetzt unter den Groundhoppern, die sich beim Reisen ständig untereinander vermischen.

Benny: Aber man kennt sich. Man läuft sich über den Weg. Allein durchs Hefte tauschen. Ich habe dadurch auch Kontakte und Freundschaften zu Leuten von Fanzines aus Fanszenen, die mit Nürnberg mal so gar nichts zu tun haben.

Maxe: Aber das gilt nur innerhalb von Deutschland. Es gibt auch französische Fanzines. Ich könnte bloß kein einziges benennen und ich kenne da auch keine Schreiber persönlich. Denn Französisch kann ich nicht lesen.

Sowohl beim Groundhopping als auch bei den Fanzines klingt dieser verbindende Charakter an. Daher mal konkret nach eurer Einschätzung gefragt: Der Fußball in Europa – eint er oder trennt er?

Benny: Das ist eine sehr große Frage. Es kommt darauf an, gegen wen man spielt. Also wenn ein Derby gegen Fürth ansteht, eint er eher nicht. Fußball lebt von der Rivalität, Fußball lebt von den Gegensätzen. Ich will, dass meine Mannschaft gewinnt. Ich mache auch Unterschiede, kenne Leute bei Vereinen, mit denen man – rein von deren Vereinszugehörigkeit her – eher nichts zu tun hat, oder zu denen gar eine Rivalität besteht.

Maxe: Ich würde sagen: beides! Denn was Benny sagt, ist eine Fan-Sicht. Das entspricht meinem Gefühl, wenn der 1. FC Nürnberg nicht allzu weit 20 Kilometer westlich, in dieser Stadt, die in so einem komischen Stadion spielt, antritt. Aber worin Fußball definitiv eint, ist in der brutalen Einfachheit des Spiels. Und das ist auch die Grundfaszination an diesem Hobby "Groundhopping". Es gibt zwei Tore, 22 Spieler, immer dieselben Regeln und das wirklich weltweit in 211 Ländern, das sind mehr als von der UN anerkannt. Quasi an jedem Fleck, der von Menschen bewohnt wird, hat man nach diesen immer gleichen Regeln Freude an diesem Spiel. Und ich glaube, es gibt absolut nichts anderes auf der Welt, was Menschen quer durch die Kulturen mehr eint, als diese Parallele. Es eint auch brutal, wenn du irgendwo nachts durch Indonesien läufst und 20 Leute auf dem Gehsteig hocken, gerade vom Moped abgestiegen, und in so einen kleinen Röhrenfernseher gucken, weil Barcelona gegen Madrid übertragen wird. Die eine Hälfte ist für Barcelona und die andere für Madrid und die könnten beide Städte auf der Landkarte nicht zeigen. Aber die Leute sitzen völlig fasziniert und gebannt vor dem Fernseher und diskutieren. Setz dich dazu, und du bist sofort im Gespräch und mit dabei! Wenn du dieses ganz Große siehst, den Rahmen größer ziehst, raus aus den Fanszenen, in das Gesamte, was Fußball anstellt auf der Welt, Positives, überwiegend Positives, eint das sogar sehr stark. Deswegen meine Antwort: beides!

Zum Abschluss: Wie groß ist der Wunsch, oder der Traum, den 1. FC Nürnberg noch einmal im internationalen Wettbewerb zu sehen?

Maxe: Sehr, sehr groß!

Benny: Eigentlich hätte ich auf die Frage entgegnen wollen: "Nicht so groß, weil wir das schon einmal hatten." Stattdessen muss ich aber wieder aus einer gewissen Fanszene-Sicht antworten: Ich glaube, dass wir heute als Fanszene und auch so, wie unsere Ultraszene aufgestellt ist, als Gemeinschaft anders auftreten würden. Damals, bei den letzten internationalen Partien, waren wir noch sehr blauäugig bei bestimmten Situationen und Spielen. Ich persönlich bin unglaublich dankbar, dass ich die Europapokalspiele mit dem Club erleben durfte, dementsprechend reicht es für mich eigentlich. Ich zehre bis heute von den Erlebnissen aus der Saison 2007/08. Aktuell möchte ich erstmal den Klassenerhalt in der 2. Liga schaffen, da ist Europa sehr weit weg. Aber klar, wäre schon geil!

Maxe: Ich würde da nicht diese Wiederholung sehen. Diese 2007/2008-Geschichte war einfach einmalig. Weil wir das erste Mal unterwegs waren. Weil wir damals jünger waren, war das noch so ein großes Erlebnis. Das war definitiv aus meiner ganzen Fanzeit die geilste Zeit. Mit dem Bulli nach Griechenland und nach Lissabon – Hammer! Ich will das unbedingt! Das einzige Erstrebenswerte am Aufstieg ist für mich ist, dass ich dann auch mit dem Club nach Europa möchte. Das ist immer noch mein größter Traum, es noch mal mitmachen zu dürfen. Dafür lass es uns anpacken, dann steigen wir wieder auf! Ansonsten bleiben wir bitte gleich in der 2. Liga. Die Gegner sind vom Namen her attraktiver als die ganzen seelenlosen Vereine in der ersten, wo man eh keinen Blumentopf gewinnt.

Benny: Es kamen seit dem Pokalsieg und seit der Europapokalzeit viele neue, junge Leute in die Kurve – die Banda di Amici gab es damals zum Beispiel noch gar nicht. Ich würde es den vielen jungen und engagierten Leuten einfach wünschen, das auch erleben zu dürfen.

Fußball und Europa: Drei Fragen - drei Antworten von Benny und Maxe

Europäischer Fußball, an welches Spiel denkt ihr am liebsten zurück?

Maxe: DFB-Pokal-Finale 2007 mit dem 1. FC Nürnberg. Weil der DFB-Pokal mein einziger, jemals live miterlebter Titel meines eigenen Vereins ist und damit natürlich die absolute Besonderheit und das Spiel, an das ich am liebsten zurückdenke.

Benny: Für mich das Halbfinale gegen Frankfurt zuhause. Das 4:0 war für mich, trotz des Spiels in Berlin, das Highlight der Pokalsieger Saison. Da geht für mich nichts drüber!

 

Die Fußball-Europameisterschaft 2020 verfolge ich…

Maxe: …nicht.

Benny: …eventuell. Aber emotional ist mir das ziemlich scheißegal.

 

Was wünscht ihr euch für Europas Zukunft?

Benny: Den Weg hin zu Zusammenhalt, Solidarität und die Abkehr vom Nationalismus. Und dass auch unsere Kinder, falls wir mal welche haben sollten, die Möglichkeit haben, ohne Beschränkungen die Vielfalt und verschiedenen Aspekte dieses Kontinents – jetzt nicht unbedingt auf Organisationen wie die EU bezogen – erleben zu dürfen. Dass es dieses Privileg und diese Möglichkeiten in der Zukunft noch gibt.

Maxe: …den Kommunismus! (lacht). Das ist eine harte Frage, das ist nämlich eine perfekte Antwort, die Benny gibt. Da muss ich mich wirklich konsequent anschließen: Weg von dem Weg Richtung Populismus, hin zu einem mehr Gemeinsamen!

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