Wenn wir vom Fußball träumen
Eine Heimreise (2014/2015)Rezension: Wenn wir vom Fußball träumen
Anna Kemper / Die ZeitIch bin in Dortmund aufgewachsen, in einer Straße, die Bierkamp heißt. Natürlich bin ich da voreingenommen, wenn es um ein Buch über das Ruhrgebiet und seinen Fußball geht, das einer geschrieben hat, der Biermann heißt und mal in Bochum in der Zechenstraße gewohnt hat. Bier, Kohle und Fußball, daraus hätte ein wunderbar nostalgisch-kitschiges Buch werden können. Dieses Buch hat Christoph Biermann aber nicht geschrieben. Zum Glück.
Das kitschige Ruhrgebietsbuch hätte mich wahrscheinlich bald gelangweilt, weil es nur das bestätigt hätte, was ich über das Ruhrgebiet weiß. Christoph Biermanns Buch „Wovon wir träumen, wenn wir vom Fußball träumen“ dagegen hat mir meine Heimat noch einmal neu gezeigt. Ich bin beim Lesen so wie er beim Schreiben heimgefahren, und habe entdeckt, was er auf seiner Reise von Joachim Hopp, der selbst noch im Stahlwerk gearbeitet hat, bis zu den kühlen Herzen der Marketingabteilungen entdeckt hat. Widersprüche zum Beispiel. Wenn Julian Draxler sagt, Schalke sei immer Maloche gewesen, erklärt Biermann, dass die große Zeit des Schalker Kreisels von Tiki-Taka geprägt war und nicht von Grätschen. Es ist nicht der Fußball selbst, der seinen Malochermythos geschaffen hat. Der ist eher Ausdruck der heutigen Romantisierung der Industriekultur, der Phantomschmerz einer vergangenen Zeit, die Verklärung der Staublunge.
Es ist eine Schlüsselepisode des Buchs. Das Ruhrgebiet, schreibt Biermann, ist für die Menschen heute vor allem ein Identifikationsraum. Für den Fußball gilt das auch. Und genau das ist es, was Biermann im Ruhrgebiet umtreibt: Die Suche nach Antworten auf die Fragen, welche Mythen den Fußball speisen, warum wir die ganze Welt in ihm wiederfinden und was ihn so groß und bedeutsam gemacht hat. Nicht nur im Ruhrgebiet, sondern überall. Aus Biermanns Buch kann man deshalb einiges lernen, über Heimat, Identität, Menschen und Fußball, auch wenn man nicht im Bierkamp aufgewachsen ist. Dazu ist es mit Gefühl geschrieben, aber ohne Pathos. Es hat das, wovon wir träumen, wenn wir von einem Fußballbuch träumen. Daher ist es für mich das Fußballbuch des Jahres.