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Platz 7 Fußballbuch 2011

Schwarze Adler, weiße Adler

Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik (2010/2011)
Platz 7  Fußballbuch des Jahres 2011 

Rezension zu: Schwarze Adler, weiße Adler

Michael Wulzinger

Auf einem Friedhof in Karlsruhe ruht ein Mann, dessen Vorname in deutscher und dessen Familienname in polnischer Sprache auf dem Grabstein steht: Ernst Wilimowski. Ein Mann, der in Vergessenheit geraten ist, auch beim Deutschen Fußball-Bund. Im Prachtband zum 100-jährigen Bestehen des DFB, 620 Seiten dick, zwei Kilogramm schwer und zur Jubiläumsfeier im Jahr 2000 erschienen, wird Ernst Wilimowski nicht ein Mal erwähnt. Dabei spielte Willimowski, so die deutsche Schreibweise, zwischen Juni 1941 und November 1942 achtmal für die deutsche Fußballnationalmannschaft und erzielte 13 Tore. Er verdrängte einen gewissen Helmut Schön aus dem Team, er galt als einer der Lieblinge des damaligen Bundestrainers Sepp Herberger, und ein Mannschaftskollege namens Fritz Walter rühmte ihn später als "Schlitzohr" und "den größten aller Torjäger".

Vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs war Willimowski allerdings schon einmal Nationalspieler gewesen. Dabei hatte er nicht das Trikot mit dem schwarzen Adler und dem Hakenkreuz getragen, sondern eines in den Farben Weiß und Rot, verziert mit dem weißen Adler: dem Symbol des polnischen Teams. Als 17-jähriger Angreifer des Vereins Ruch Wielkie Hajduki war Willimowski 1934 in die Auswahl seines damaligen Heimatlandes berufen worden, bis August 1939 gelangen ihm in 21 Spielen 22 Tore - eine Quote, die bis heute in der polnischen Nationalmannschaft unübertroffen ist.   Ernst Willimowski, der "vergessene Wunderstürmer".

So nennt ihn der Journalist Thomas Urban in seinem Buch "Schwarze Adler, weiße Adler. Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik", in dem Urban der Karriere Willimowskis ein ganzes Kapitel widmet. Denn der Lebensweg des begnadeten Fußballers, 1916 im damals zum deutschen Kaiserreich gehörenden Kattowitz geboren und 1997 in Baden-Württemberg gestorben, spiegelt wie kaum ein anderer all die Brüche, all die Verwerfungen, all die Vorurteile, all die Demütigungen, all die Ungerechtigkeiten und all die Absurditäten wider, die das deutsch-polnische und das polnisch-deutsche Verhältnis in der Epoche zwischen dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Kommunismus prägten.

Der Autor Thomas Urban, seit über 20 Jahren Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Osteuropa, derzeit mit Sitz in Warschau, ist einer der profundesten Kenner des politischen Geschehens in Polen. Das große Verdienst seines ersten Fußballbuches, in nüchternem Ton geschrieben, ist die Kombination aus Recherchedichte und analytischem Tiefgang. Aus verschütteten Lebensgeschichten entsteht, wie im Falle Willimowskis, lebendige Zeitgeschichte, Kenntnis über das Schicksal Einzelner führt zu Erkenntnis über das komplizierte Verhältnis zweier benachbarter Nationen.

Ein Jahr vor der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, schreibt Urban in seinem Vorwort, solle sein Buch "einen Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung leisten". Ein ambitionierter Vorsatz, den Urban meisterhaft einlöst. Wie brüchig das Terrain noch immer ist, das Urban seinen Lesern erschließt, belegt er mit einer Episode aus Sönke Wortmanns Film "Deutschland. Ein Sommermärchen".

Die Spieler der deutschen Nationalmannschaft sitzen im Dortmunder Stadion in der Kabine, es sind die letzten Minuten vor ihrer Partie gegen Polen bei der Fußball- Weltmeisterschaft 2006. Bundestrainer Jürgen Klinsmann steht in ihrer Mitte und brüllt in die Runde: "Das Achtelfinale lassen wir uns nicht nehmen, von niemandem, schon gar nicht von den Polen!"

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