NominiertFußballbuch 2019

Montevideo

Eine Reise in das Herz des Fußballs (2018/2019)
Nominiert zum  Fußballbuch des Jahres 2019 
Hardy Grüne
Zeitspiel - Das Magazin
Verlagsinfo www.zeitspiel-magazin.de
25,00 Euro
978-3-96736-002-8
Buchcover Montevideo - Eine Reise in das Herz des Fußballs von Hardy Grüne

Rezension: Montevideo

Matthias Lieske
von Matthias Lieske

Wer sich an einem der schönen Strände Uruguays auf ein Fußballspiel mit ein paar Einheimischen einlässt, der sollte nicht einen netten, gemütlichen Freizeitkick erwarten. Die gefürchtete "Garra Charrúa", der nach einem unbeugsamen Stamm von Ureinwohnern des südamerikanischen Landes benannte bissige Kampfgeist, schläft auch hier nicht, also ist Vorsicht und eigene Standhaftigkeit geboten. Fußball ist in Uruguay niemals nur Spaß, es ist Leidenschaft und Kunst, Entschlossenheit und Siegeswille, Spielfreude und Raffinesse, vor allem aber ein wichtiger Teil des Lebens. Gründe dafür, dass ein Land, welches nicht mehr Einwohner aufweist als Berlin, eine der erfolgreichsten Nationalmannschaften der Geschichte hervorgebracht hat, mit der auch heute noch stets zu rechnen ist, wenn es um die wichtigsten Titel und Trophäen des Weltfußballs geht.

Großartige Fußballer haben das hellblaue Trikot der Celeste getragen, von José Leandro Andrade und José Nasazzi über Juan Schiaffino, Alcides Ghiggia und Obdulio Varela, Enzo Francescoli und Rubén Sosa bis zu Diego Forlán, Luis Suárez und Edinson Cavani. Die beiden Letzteren wurden zwar  im Abstand von nur drei Wochen in der Stadt Salto an der argentinischen Grenze geboren, doch großgeworden als Fußballer sind sie wie alle anderen in Montevideo, dem Herzen des uruguayischen Fußballs, dem Herzen des Fußballs schlechthin, wie Hardy Grüne die Stadt nennt.

Der Autor hat sich aufgemacht ins heutige Montevideo, ist den Spuren einstiger Größe und gegenwärtiger Morbidität gefolgt, und er hat nicht mehr viel vorgefunden vom Glanz jener Zeiten, in denen Uruguay als die Schweiz Südamerikas galt und die heimische Fußball-Liga in voller Blüte stand. Ihre besten Spieler sehen die Uruguayer heute fast nur noch im Fernsehen, da sich diese so früh wie möglich Richtung Europa aufmachen. Dennoch gibt es eine lebendige Fanszene, die sich keineswegs nur auf die beiden rivalisierenden Traditionsklubs beschränkt, auch wenn jeder Bewohner auf Anhieb sagen kann, ob er "Peñarol" oder "Nacional" ist.

Fast alle Teams der ersten Liga sind im Großraum Montevideo angesiedelt, und Hardy Grüne hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie alle, möglichst bei ihren Heimspielen, zu besuchen. Ein ambitioniertes Groundhopping-Programm, das ihn in die unterschiedlichsten Gegenden der faszinierenden Stadt führt. Mit vielen Fotos garniert, porträtiert er die größeren und kleineren Klubs, besucht ihre Barras bravas, die eingeschworenen Fangemeinden, redet mit den Anhängern über ihr Lebensgefühl und ihre Liebe zum Verein, beschreibt detailliert die meist äußerst renovierungsbedürftigen Stadien und ihre Umgebung.

Da ist der Club Atlético Bella Vista, bei dem einst Andrade und Nasazzi spielten und der sich die Päpstlichen nennt, anders als San Lorenzo, der argentinische Lieblingsklub von Papst Franziskus, aber nur wegen der Trikotfarbe. Da ist der ominös benannte Liverpool Fútbol Club, der sich als Wiege der Nationalmannschaft betrachtet, weil sie hier im Estadio Belvedere 1910 erstmals mit den hellblauen Trikots als Celeste auftrat. Da ist der Rampla Juniors FC mit seinem Stadion direkt am Wasser, wo Befreiungsschläge nicht auf der Tribüne, sondern schon mal im Rio de la Plata landen können. Oder der benachbarte Club Atlético Cerro aus dem gleichnamigen Stadtteil, einem alten Arbeiterviertel, das nicht zu den vertrauenerweckendsten Regionen der Stadt gehört und entsprechend bärbeißige Anhänger hat.

Natürlich kommen auch Peñarol und Nacional vor, sowie das Estadio Centenario, Schauplatz des ersten WM-Finales 1930, das etwas verwaist ist, seit Peñarol nicht mehr hier spielt, sondern eine eigene Betonschüssel am Stadtrand  mit dem protzigen Namen Estadio Campeón del Siglo errichtet hat. Naturgemäß nicht der Lieblingsort von Hardy Grüne, der mit seinem Buch ein buntes und liebevolles Kaleidoskop dieser einzigartigen Fußballstadt liefert, mit originellen Einblicken und Impressionen, Anekdoten und historischen Exkursen, und vor allem mit vielen Bildern direkt aus dem Herzen des Fußballs.

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