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Zeichen der Zeit

Zu Fragen von Rassismus und Randale im deutschen Fußball

Ein Interview mit dem Soziologen und Szenekenner Gerd Dembowski. Die Fragen stellte Norbert Niclauss.

„WMania“ und „Partyotismus“ sind Vergangenheit. Seit mehreren Monaten bilden Rassismus und Gewalt im Fußball ein durchaus dominierendes Thema. Überrascht Sie das?

Tut es nicht. Doch zunächst: Betrachtet man Polizeistatistiken, so gibt es eine Anzahl devianter Vorfälle, die für so ein Großereignis durchaus zu erwarten waren. Es war auch aggressive Polenfeindlichkeit im Umfeld des Spiels der Deutschen gegen Polen festzustellen. Hinzu kommen verbale und körperliche Übergriffe gegen Italiener und ihre Einrichtungen nach der Niederlage der Klinsmänner im Halbfinale. Die Lunte für einen aggressiv ausgelebten Mechanismus war also sichtbar. Auch Deutsche, die sich nicht überschwänglich oder gar nicht für die DFB-Elf begeistern wollten, wurden diskriminiert.

Sicher, selbst die organisierten Rechten haben im Internet von Modenationalisten gesprochen und davon, dass es schwierig werde, diesen nationalen „Run“ zu nutzen. Aber als Demarkationslinie eines nach außen scheinbar geläuterten Deutschlands bildete die WM 2006 ein wichtiges nationalistisches Moment. Softe Nationalisierung ist ein seit langer Zeit, vor allem nach „der Wende“ forcierter gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Prozess, der in der Realität trotz aller bunten Kampagnen auf Ausgrenzung und Bessersein fußt.

Dass sich offener Rassismus und offene Gewalt im WM-Umfeld nicht so sehr äußerten, hatte damit zu tun, dass die "Ligafans" sich nicht in ihrer üblichen (Gruppen-)Form oder personell gar nicht offen präsentiert haben. Zum Teil waren es ganz andere Leute, die da Klinsmann & Co zugejubelt haben, als diejenigen, die im Ligaalltag ihrem Team hinterher reisen. Außerdem gab es eine vorbildliche Polizeiarbeit, die mit dem Beginn des Ligaalltags wohl wieder abgelegt wurde. Im Ligaalltag, bundesweit besonders ausgeprägt in den unteren Ligen und ab und an mit erhöhter Gewaltbereitschaft im Osten Deutschlands, waren und sind Gewalt und Rassismus leider ein Bestandteil der Fußballkultur. Ihre direkten Äußerungen verlaufen in Sinuskurven, die mal länger andauern und mal kürzer. Der Nährboden ist also durchweg da. Das ist nur limitierbar, aber nicht ganz abzuschaffen. Hierbei ist es wichtig, den Fußball nicht auf die Profis zu reduzieren, denn die Spiele im Amateurfußball stellen doch den Löwenanteil dieses Sports dar. Dort gibt es zahlreiche multi-ethnische Konflikte und Diskriminierungen, auf die die WM überhaupt keinen Einfluss hatte.

 

Was macht den Fußball für Rassisten und Rechtsradikale eigentlich so attraktiv?

Die gesellschaftliche Funktion des Fußballsports im Sinne von Alltagskompensation, Katharsis und Display ritualisierter, klassischer, weitgehend weißer Männlichkeit für größere Teile des Publikums sollte hierbei aktuell wie historisch nicht außer Acht gelassen werden. Sport und Spiel sind seit je her ein Ventil für Unmut, Entfremdung und unterdrückte Triebenergien. Deshalb kann Fußball mit seinem regelmäßigen Stattfinden wie ein Brennglas wirken, das gesellschaftliche Tendenzen verstärkt abbildet.

So gilt Fußball trotz aller repressiven und sozialen Disziplinierungsversuche nach wie vor als ein historisch etablierter Ort, an dem man – und vor allem der Mann – sich inszenieren kann. Dort kann man aus der anonymen Masse heraus agieren und bei günstigen Stimmungen durch lautstarkes oder brachiales Auftreten Einfluss nehmen. Je nach Zusammensetzung des Fanblocks, Stimmgewalt, gegnerischem Team, mangelnder Positionierung des Fußballvereins und Zivilcourage organisierter Fans kann eine solche aktive Minderheit entsprechend große Massen mitreißen. Das steigert das Selbstwertgefühl und checkt außerdem ab, wie viel bzw. welcher Rassismus gesellschaftlich gerade geht. So verdichten sich im Fußball gesellschaftliche Stimmungen. Und dabei können die wenigen offen erkennbaren Rechtsextremen auch zur Speerspitze eines Vorurteils- und Ausgrenzungsmosaiks werden, das sich in einzelnen Teilen der Bevölkerung wieder findet, die sich nicht als rechtsextrem oder rassistisch bezeichnen würden. Hinzu kommt, dass der Ort Fußball – und damit meine ich nicht nur den Besuch im Stadion – auch ein guter Ort für Verabredungskultur ist. Organisierte Rechte können sich hier umschauen und im günstigsten Falle für sich werben. Solche Formen können subtil verlaufen und müssen sich nicht gleich im NPD-Stand vor dem Stadion manifestieren.

 

Inwieweit kann man die Rassismus- überhaupt von der Gewaltproblematik trennen?

Soziologisch muss hier getrennt werden. Gewaltbereite Fans, sog. Hooligans und Fans, die nur in speziellen Situationen zur Gewalt neigen, sind nicht automatisch rassistisch motiviert. Einige akzeptieren Gewalt als generelles oder als situatives Muster, um Alltagsfrust abzulassen, gefühltes Unrecht zu artikulieren. Organisierte Rassisten versuchen verstärkt, die Gewaltschiene in den eigenen Reihen zurückzudrehen, um in der Bevölkerung besser anzukommen. Das funktioniert nur bedingt, weshalb bei Rassisten und solchen, die rassistische Einstellungsmuster (latent) aufgreifen, Gewalt immer eine Lösung werden kann. Das führt dann dazu, dass es situative Überschneidungen geben kann, wie im Februar dieses Jahres in Leipzig, wo nach dem Spiel gegen Aue II unter den 800 Gewaltbereiten auch zahlreiche eindeutig als Rassisten identifizierbare Leute mit dabei waren. Es kann also ein temporärer, eher spontaner Burgfrieden entstehen. Wenn sog. Hooligans sich in solchen Situationen nicht von den politisch motivierten Akteuren distanzieren, müssen sie sich nicht wundern, wenn sie oftmals alle über einen Kamm geschoren werden. Ohne jetzt die Gewalt von gewaltfixierten Gruppierungen rechtfertigen zu wollen. Denn im Endeffekt tut es genauso weh – ob du nun von einem politisch unmotivierten Typen oder von einem überzeugten Neonazi verprügelt wirst.

Solche Burgfrieden lassen auch darauf schließen, dass es bei gewaltbereiten Fans diverse Symptome geben muss, die sich bei rechtsorientierten Leuten und Rassisten dann eben geballter wieder finden. Allein die Gewalt kann nicht der einzige kleinste gemeinsame Nenner sein. Denn es gibt auch genügend gewaltbereite Menschen, die nie mit Rechten gemeinsame Sache machen würden, sondern ihre Gewalt vielleicht sogar gegen Rechts einsetzen, weil sie z. B. von den Gegenmaßnahmen des Staates, der Länder oder eben des Fußballs enttäuscht sind. Ohne auch hier Gewalt als Mittel rechtfertigen zu wollen.

 Es sind also Anhäufungen einzelner Mechanismen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, welche die Atmosphäre für einen situativen Burgfrieden schaffen. So gesehen muss in Zukunft viel stärker auf verbindende Symptome geachtet werden, die Wilhelm Heitmeyer unter dem Dach der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit fasst. Hier spielt nicht nur Rassismus eine Rolle, sondern auch Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, (Standort-) Nationalismus, Besitzstandswahrung, Wahrung von Etabliertenrechten etc. Alles betrachtet auf der Folie einer klassisch, hetero-männlich kodierten Männerbündelei und eines entsprechenden Sozialdarwinismus, der eine wichtige Grundlage für Gewalt und Rassismus im Fußball bildet.

Aber mal abgesehen von den unterschiedlichen Gründen für Gewaltförmigkeit im Fußball: Wenn wir von konkreten Gewaltauswüchsen in und um die Fußballstadien in Deutschland sprechen, dann reden wir zumeist schätzungsweise von weniger als zwei Prozent der Menschen, die letztendlich im Stadion sind. Ähnlich sieht es bei offen rassistischen Bekundungen und Übergriffen aus.

 

Sprechen wir bei Rassismus also über ein Randgruppenphänomen?

Ich weiß, meine letzte Formulierung hört sich verharmlosend an, soll sie aber gar nicht sein. Es ging mir nur darum zu kennzeichnen, dass in einer Fokussierung auf besonders heftige Vorfälle nicht die Annäherung an eine Lösung der Situation liegt. Denn konkrete rassistisch motivierte Auswüchse oder konkrete Gewaltakte sind nicht der entsprechende Gradmesser für tatsächlich vorhandene Gewaltbereitschaft und vorhandene rassistische Einstellungsmuster. Der Blick auf Rassismus allein ist mir zu verkürzt. Nicht nur mit Blick auf den viel zitierten "Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft", sondern auch auf Heitmeyers „Deutsche Zustände“ lässt sich beobachten, dass entsprechende gruppenbezogene menschenfeindliche Einstellungsmuster und entsprechendes ideologisches Patchwork sich ebenso weit verbreitet im Fußballpublikum wieder finden lassen und einen guten Nährboden für eine sozialdarwinistische Gesellschaft der Ellenbogenmentalität formen. So was kann sich da, wo Enttäuschung und Verlieren existenziell werden, in einfache Lösungen, sprich Gewalt und Diskriminierung ausdrücken.

 Wenn wir also weiter blicken in Richtung gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, dann ist es sehr sicher kein Randphänomen, das beweisen aktuelle empirische Untersuchungen. Der gesellschaftliche Ort Fußball schafft es atmosphärisch lediglich, besonders starke Negativmomente zu ermöglichen: verbale rassistische Übergriffe bis hin zu körperlichen. Oftmals ist es auch nur wichtig beim Fußball zu sein – personell oder z. B. in Form einer von rechts besetzten Kleidungsmarken und Symbolen, um den entsprechenden Jugend(sub-)kulturen zu signalisieren: "Hey, das ist hier okay".

 Hinzu kommen die interpretierten Signale von oben: Nicht nur Funktionäre, Trainer, Spieler, die Art der medialen Berichterstattung oder z. B. die Debatte um „Ausländerregelungen“ zum Schutz des deutschen Fußball-Nachwuchses können als Beschleuniger von rassistischen Ressentiments und Gewalt wirken, sondern auch diskursprägende Elemente der Tagespolitik. Zusammen mit bereits vorhandenen Einstellungsmustern können sie vom Einzelnen – latent und z. T. unbewusst – wie eine Zutat zu einem Cocktail hinzugemischt werden. In Wechselwirkung mit Merkmalen einer politischen Verschärfung im Alltag z. B. durch Perspektiv- und Arbeitslosigkeit, Etablierung verkürzter Integrationsbegriffe und Nützlichkeitskategorien für „Ausländer“ bzw. Migranten, das neu geltende Zuwanderungsgesetz, die diskursive Untermauerung des Begriffs ‚Festung Europa’, Hartz IV, die Verdrängung diverser Menschen aus öffentlichen Räumen, die zunehmende Diskursprägung von Deutschen als Weltkriegsopfer anstatt als Verursacher, Kriegseinsätze der Bundeswehr und die Diskussion ihres Einsatzes im Inland, die Blamage der Bundesregierung beim Verbotsverfahren gegen die NPD u. ä. fallen rassistische Meinungen und entsprechende Fans im Stadion wie im Alltag weniger auf. Dies verstehen rechtsextreme Parteien und Gruppierungen und versuchen weiterhin, das Fußballstadion und die Fußballplätze der Amateurligen – besonders im Osten – als Verstärker zu nutzen. So sieht sich ein Fan des Berliner FC Dynamo gar nicht mehr als Rassist, wenn er sagt: „Der Feind ist nicht der Neger in der Bundesliga. Der Feind ist der, der das ermöglicht, dass sie überhaupt hier spielen“.

Rassismus erscheint in der öffentlichen Wahrnehmung gegenwärtig vor allem als ostdeutsches Problem. Gleichwohl bietet auch der Westen keine heile Fußballwelt. Die rassistischen Äußerungen beim Spiel Aachen gegen Mönchengladbach im September 2006 sind hier nur das auffälligste Ereignis. Wie analysieren Sie das Ost-West-Verhältnis?

Es wäre zu einfach, mit dem Finger auf den Osten zu weisen und somit indirekt von den Westverhältnissen abzulenken. Die sind nicht immer so offen und brachial wie im Osten, aber dennoch gefährlich. Manchmal vielleicht sogar gefährlicher, weil es sich subtil viel eher in der Gesamtgesellschaft breit machen kann, ohne dass es sich ‚rechts’ definiert. Im Osten äußert sich eine etablierte rechte (Jugend-) Kultur offener – und kann das Zusammenleben in ganzen Kleinstädten und Dörfern bestimmen. Fußball ist da nur eine, aber eine kontinuierliche Ausdrucksform.

 Wer Ursachen damit allein im rechten Rand, bei so genannten unpolitischen Hooligans oder gar in der verrohenden Jugendkultur verortet, macht es sich zu einfach. Gern werden Ost-West-Vergleiche bemüht, die kaum mehr zeitigen als folgenloses Fingerzeigen auf den Osten. Aktuell verweist man auf "italienische Verhältnisse", die so konstruiert nur den Stoff für Mythos und Sensation liefern. So steht der bereits erwähnte Vorfall im Februar in Leipzig auch symbolisch für das, was mit einer Jugend- und Jungerwachsenenkultur nach dem Mauerfall und der Prophezeiung blühender Landschaften passiert. Aus zunehmender Perspektivlosigkeit und Entfremdung baut sie sich selbst eine Perspektive auf: ein krudes Gemisch aus einfachen Lösungen und Anerkennungssuche durch harten Streetcore-Style. Bei den Ausschreitungen in Leipzig waren genügend Leute übrigens weit jenseits des jugendlichen Alters.

 

Vereine und Verbände betonen gerne, dass der Fußball gesamtgesellschaftliche Probleme nicht lösen kann. Politiker verweisen oft auf die Autonomie des Sports. Spieler gehen selten über recht allgemeine Aussagen gegen den Rassismus hinaus. Ist das so eine Art Schwarze-Peter-Spiel? Wer sollte was tun?

Erstmal stelle ich fest, dass gerade eine neue Bewegung beim DFB in Form seines Präsidenten Dr. Theo Zwanziger stattfindet. Die DFB- und DFL- Aktion „Rote Karte gegen Rassismus“ aus dem letzten Oktober und die leider nur ehrenamtliche Integrationsbeauftragte sind nicht losgelöst von anderen Maßnahmen zu betrachten. Hier kämen die neu implementierten FIFA-Regelungen, die bisher in Geldstrafen umgesetzt wurden und noch auf die einzelnen Verbände durchdekliniert werden müssen. Dazu kommt die Ausrichtung eines Fankongresses Ende Juni in Leipzig und die Einrichtung einer interdisziplinären Task Force, die z. B. in der von mir mit beobachteten AG „Für Toleranz, gegen Diskriminierung“ langsam ins Rollen kommt. Das ist schwierig, da den sowieso schon beruflich stark in diesem Feld Engagierten noch eine weitere ehrenamtliche Baustelle aufgebürdet wird. Generell fehlen derzeit noch handfeste, strukturelle Konsequenzen, die auf der z. T. bereits vorhandenen Forschung aufbauen.

 Den einzelnen Verbänden und Kommunen muss eine finanzielle Perspektive ermöglicht werden, um in Zukunft Rassismus zu verhindern. Der zweckgebundene Einsatz von Strafgeldern zum Aufbau von Kampagnen und Projekten allein reicht nicht aus. Hier sind Verbände und die Politik gefragt, z. B. eine Pufferinstanz einzurichten, einen Fußballfonds, der sich treuhänderisch und politisch für beide Seiten bindend finanziell und projektbildend einsetzt. Neben Geldstrafen Auflagen zur Förderung von entsprechenden Projekten, neben den existierenden sozialpädagogischen Fanprojekten bedarf es also einer neuen Absichtserklärung von Seiten des DFB/DFL, der Landesverbände und der Politik. Hierbei muss gezielt beachtet werden, dass Vereine in den unteren Ligen finanziell oftmals völlig überfordert sind.

Ich spreche hier also nicht nur von neuen Projekten mit befristeter Dauer, um ein Alibi nach außen hin zu demonstrieren. Es muss gesamtatmosphärisch zur Zuschauerzufriedenheit und zur gegenseitigen Anerkennung aller gearbeitet werden. Dazu folgende Ideen zum Diskutieren und weiter denken. Der deutsche und internationale Fußball muss dabei vom Amateurfußball getrennt betrachtet werden. Bestehende Projekte könnten dabei ihre Schwerpunkte überdenken.

  • Ständiges Monitoring und Report gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Fußball
  • Beratungsinstanz für Vereine, die mit Mandat des DFB operiert und den Vereinen mögliche Maßnahmen und Verhaltensweisen unterbreitet
  • Planungssichere Einrichtung und Weiterentwicklung von Konfliktschlichtungsmodellen im Amateurfußball auf der Grundlage des hessischen Mediationsprojektes, des Modells des Niedersächsischen Fußballverbandes und des Berliner Präventionsmodells
  • Einbindung entsprechender Elemente in eine kompetenzbildende Trainer- und Schiedsrichterausbildung
  • Flächendeckendes Bildungsprojekt und Bildungskampagne - orientiert z. B. am Projekt „Tatort Stadion“ des Bündnisses Aktiver Fußball-Fans (BAFF) - plus Erstellung und Etablierung von entsprechenden Schulmaterialien und entsprechender Schul-Projektwochen. Hier könnten auch auf Schulen und Fußball spezialisierte Streetworker eingesetzt werden
  • jährliche Teilnahme an der Aktionswoche des Netzwerks Football Against Racism in Europe
  • Nutzen der Rolle der Spieler als Role-Models: lizenzbehaftete Verankerung von sozialem und gleichzeitig lokalem Engagement in Arbeitsverträge (wie in England). Hier können Spieler z. B. Patenschaften für Schulen oder Projekte übernehmen und dort befragt oder in eine Projektwoche eingebunden werden
  • Förderung einer Kampagne gegen Homophobie: Dream Team aus homosexuellen und solchen Spielern, die unterstützend mitwirken
  • Einrichtung einer verbindlichen Spielergewerkschaft, die auch ein speziell ausgerichtetes Forum für ausländische Spieler und Spieler mit migrantischem Hintergrund liefert
  • spezielle Herangehensweise an die ethnischen Communities (Trainerlehrgänge, systematisiertere Einbindung in sportinstitutionelle Strukturen, hauptamtliche Integrationsbeauftragte)
  • Einsatz von Ombudsstellen, Anhörungsrechte, mehr Transparenz. So eine Ombudsstelle sollte nicht nur fußball- bzw. staatlich politisch besetzt sein, sondern auch pädagogisch (Fanprojekte nach Nationalem Konzept Sport & Sicherheit), wissenschaftlich begleitet
  • vor der Eskalation am Spieltag: Einrichtung von Konfliktteams, die nicht nur aus Vertretern der Polizei bestehen, sondern z. B. auch aus Mitarbeitern von Fanprojekten oder zusätzlichen Fanbeauftragten
  • regelmäßiges „Fanforum“ zur Anhörung der Fans
  • Zuschauerbefragungen zur sozialen Kompetenz und Weiterentwicklung eines Vereins in seiner sozialen Ausstrahlung/Atmosphäre: Was soll der Verein sozial für die lokale/regionale Situation außer Sportangeboten leisten?
  • Beratung der Medien und ihrer Journalisten (z. B. in Form von Fachkonferenzen)
  • Anbindung der hiesigen Prozesse an internationale: Konsequentes „Durchdeklinieren“ der bereits adaptierten FIFA-Regelungen gegen Rassismus, Beteiligung am Arbeitsprogramm von Football Against Racism in Europe, Anti-Diskriminierungsstellen in den internationalen Fanbotschaften bei EM und WM

 

Vieles von dem findet in Ansätzen statt, muss aber vertieft werden. Jetzt fragen Sie sich natürlich, wer das alles genau und wie finanzieren soll? Ich habe keine Ahnung. Es scheint utopisch… Und ganz verschwinden werden Diskriminierung und Gewalt nicht, da jede gesellschaftliche Lebensform Entfremdung erzeugt – und somit z. B. den Ort des Fußballs als Kompensationsmittel ausbildet.

 

Die Medien nehmen vor allem Aktuelles und Spektakuläres in den Blick. Spiegeln sie damit auch die tiefer liegenden Strukturen oder zeichnen sie ein verzerrtes Bild?

Dadurch, dass viele Medien Wanderer sind, die heute den Skandal im Fußball und morgen die Vogelgrippe in den Fokus rücken, wird es problematisch. Das erzeugt den Druck bei den zuständigen Institutionen, schnell zu reagieren. Oft werden dann nur Pflaster verklebt und an anderer Stelle platzt die Wunde wieder auf. Den Journalisten ist das oft gar nicht anzulasten. Sie müssen liefern und themenflexibel sein, wenn sie finanziell überleben wollen. Generell wird konstanter und zum Teil tiefgründiger über Rassismus berichtet, als noch vor zehn Jahren. Das ist ein Fortschritt. Aber das ist eben nicht immer so.

 

Der Fußball, auch in den unteren Ligen, finanziert sich heute zu einem Gutteil über Sponsoren. Nun stört Rassismus ja die imagefördernde Inszenierung. Was tun die Sponsoren, was könnten sie tun?

Sponsoren sollten sich ebenso an einem Joint Venture mit Politik und Fußball finanziell beteiligen; Stichworte dazu habe ich eben genannt. Wenn sie nicht begreifen, dass Antidiskriminierung imagefördernd ist und hilft, neue Zielgruppen zu erschießen, ist das schwach. Dann könnte aber die DFL verfügen, dass z. B. mehr TV-Gelder für diese Arbeit verwendet werden.

 

Berichte über rassistische Vorfälle gab es in den letzten Monaten aus einer ganzen Reihe von europäischen Ländern. Ist der Rassismus eine paneuropäische Bewegung?

Definitiv. Hier vor allem mit besonders sichtbaren und z. T. gewalttätigeren Auswüchsen in Osteuropa, auf dem Balkan und in Spanien und Italien. Ab und an gibt es auch Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Allerdings sollten Deutsche mit diesem Fingerzeig nicht die eigenen Zustände schön reden. Sie sind es nicht, sie stellen sich nur anders dar.

 

Sie haben einige Jahre innerhalb des europäischen Netzwerks FARE (Football Against Racism in Europe) gearbeitet. Welche Bilanz ziehen Sie?

Die Entwicklung von FARE birgt einige Meilensteine in der internationalen Bekämpfung von Diskriminierung im Fußball, keine Frage. Hier steckt aber mehr Potential: das vielleicht zu lose Netzwerk FARE könnte selbstbewusster gegenüber den Geldgebern von UEFA und FIFA auftreten. Die Lobbyierung der entsprechenden EU-Kommissionen könnte verstärkt werden. Hierzu braucht FARE vielmehr eine Struktur, die einer NGO gleicht. Dazu braucht es eben mehr Geld. Und damit nicht ein Wasserkopf zu den Maßnahmen an den Grassroots entsteht, muss eben auch mehr Geld für Maßnahmen und Maßnahmenentwicklung her. So muss FARE arg zusehen, nicht zum Gewissen beruhigenden Branding der UEFA und FIFA zu verkommen. Hierzu sind die FARE-Grassroots-Konferenzen ein erster Schritt. Aber es muss mehr mit den Fans und Migranten kommuniziert werden, damit kein Missing Link entsteht.

 

Wo gibt es denn - im europäischen Maßstab - hervorzuhebende Beispiele für einen erfolgreichen Kampf gegen den Rassismus?

An dieser Stelle sind zunächst einmal alle Grassroots-Initiativen und Selbstregulierungen von Fans und anderen hervorzuheben. Was hier an demokratisierender Leidenschaft ehrenamtlich reingesteckt wird, ist erstaunlich, besonders in Osteuropa, wo antirassistische Arbeit z. T. unter Lebensgefahr stattfindet. FARE und einzelne FARE-Partner liefern darüber hinaus gute, professionelle Vorlagen.

Aber im Hinblick auf die von mir erwähnten Ideen für die Zukunft beobachte ich derzeit sehr die Community- und Antidiskriminierungsarbeit im Fußball, die seit Jahren in Großbritannien zwischen Verein, Council, dem Football Trust und der Football Association läuft. Da kann man z. B. vom Premier-Ligisten Charlton Athletics einiges lernen.

Hervorzuheben für den Amateursport in Deutschland sind die Mediationsprojekte des Hessischen Fußballverbandes oder die Konfliktschlichtungsarbeit von Hasan Yilmaz in Niedersachsen. Auch der DFB und die DFL sind auf einem guten Weg, wenn aus der Task Force strukturelle Veränderungen und Projekte folgen sollten.

 

Welche Vorhaben planen Sie persönlich?

Für die 2006 erstmals gezeigte Ausstellung, Kampagne und Bildungsarbeit „Ballarbeit - Szenen aus Fußball und Migration“ versuche ich nun mit dem Deutschen Volkshochschulverband eine Ausstellungstour mit Begleitprogramm finanziert zu bekommen. Das soll ermöglichen, in zwei Jahren an über 300 Volkshochschulen zu gehen und die Ausstellungsinhalte zu vertiefen. Hier geht es verstärkt um interkulturelles Lernen, um die Geschichte des europäischen Fußballs als Wanderbewegung, genauso wie um die Gründe für Migranten, sich in eigenen Vereinen zu organisieren. „Die Türken sind doch so aggressiv“, lautet das oberflächliche Ausgrenzungsurteil vieler autochthoner Deutscher. All ihnen soll abgerungen werden, sich mit den Ursachen von solchen Konflikten im Amateurfußball auseinanderzusetzen, ihren Begriff von Integration zu überprüfen und wechselseitige Prozesse in Gang zu bringen.

 

Zu den Autoren:

Gerd Dembowski, Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur, ist Sozialwissenschaftler, freier Autor und Kurator. Als Organisator von Bildungsprojekten für das Bündnis Aktiver Fußballfans (www.aktive-fans.de), die Projektgruppe Flutlicht (www.flutlicht.org) und Football Against Racism in Europe (www.farenet.org) wurde er zum international gefragten Antidiskriminierungsexperten. Zur Zeit kolumniert er für die taz, ist mit seinem neuen Buch „Fußball vs. Countrymusik“ auf Lesereise (www.myspace.com/fefczak) und begleitet die AG „Für Toleranz, gegen Diskriminierung“ der DFB-Task Force.

Norbert Niclauss, Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur, ist gelernter Philosoph, Historiker und Anglist. Er schreibt gelegentlich (nicht nur) über Fußball. Im Hauptberuf arbeitet er beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, wo er sich u.a. um das Kunst- und Kulturprogramm zur Fußball-WM 2006 gekümmert hat.

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