Menschenrechte

Tanja Walther-Ahrens über Integration und sexuelle Identitäten im Fußball

"Ich kann immer nur allen empfehlen, sich zu outen..." - das Akademiemitglied im Interview

Demokratie und Toleranz im Fußball - das hat auch mit sexueller Identität zu tun. Am gestrigen Dienstag startete zu diesem Thema ein zweitägiges Dialogforum der DFB-Arbeitsgruppe „Für Toleranz und Anerkennung – gegen Rassismus und Diskriminierung“ in Zusammenarbeit mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz unter dem Motto: "Vor dem Ball sind alle gleich - sexuelle Identitäten im Fußball". Wie kann Homophobie im Sport verhindert und bekämpft werden, so die zentrale Frage des Forums.
Akademiemitglied Tanja Walther-Ahrens engagiert sich seit vielen Jahren für die Belange von Schwulen und Lesben im Sport, unter anderem als Delegierte der European Gay and Lesbian Sport Federation beim europäischen Netzwerk Football Against Racism in Europe und seit 2011 auch in der Kommission Nachhaltigkeit des DFB. Im Interview mit Dr. Alexandra Hildebrandt (DFB Nachhaltigkeitsbeauftragte) spricht Walther-Ahrens über Möglichkeiten und Grenzen der Integration, Homophobie im Fußball, äußert ihre Meinung zum Bild des Frauenfußballs in der Öffentlichkeit und bezieht klar Stellung beim Thema "Coming-out" im Profifußball.

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Tanja Walther-Ahrens im Interview mit Dr. Alexandra Hildebrandt:

Wann stößt die Diskussion um Vielfalt und Integration an ihre Grenze?
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Diskussion überhaupt an eine Grenze stoßen kann. Menschen werden immer darüber diskutieren, wer wohin und wie gehört. Wir lieben es, alle und alles in Schubladen zu stecken. Einerseits ist das, denke ich, wichtig für uns Menschen, um uns zu orientieren: Wohin gehöre ich, wer bin ich etc. Es ist wichtig, dass die Diskussion um Vielfalt ernsthaft geführt wird, und nicht nur ein Alibi liefert, auf dem sich ausgeruht wird.

Wann sollte das Verschiedene besser verschieden bleiben? Heißt es doch bei den Engländern: „Good fences make good neighbours“, („Gute Zäune machen gute Nachbarn“) …
Es sollte immer verschieden bleiben, denn es kann nie darum gehen, dass wir alle gleich sind, gleich denken, fühlen und gleich aussehen. Das wäre eine ganz traurige Vorstellung.

Das hat demnach mit dem zu tun, was die Psychologie „Identität“ nennt, die unverwechselbare Struktur des eigenen Ichs. „Ich bin ich, und du bist du“ bedeutet also, sich selbst nicht mit anderen zu verwechseln, sich auch abzutrennen? 
Ja, denn gerade unsere Verschiedenheit und Individualität ist das Reizvolle. Jedoch muss es immer darum gehen, Unterschiede und „Anderssein“ anzuerkennen, ohne es zu bewerten im Sinne von "richtig/falsch oder gut/schlecht". Manches ist eben anders, und dadurch wird Leben vielfältig, bunt, reich und spannend.

Was bleibt von Minderheiten, nachdem sie „integriert“ wurden?
Es kann nicht darum gehen, dass sich eine Minderheit in die Mehrheit integriert  - oder anders ausgedrückt: sich auflöst, assimiliert. Viel eher sollte darauf geachtet werden, dass ich in jeder Gruppe auch als  Minderheit akzeptiert bin (als Frau unter Männern im Sportverein, als Tennisspieler unter Fußballern, als Alter unter Jungen. Und es muss immer darum gehen, dass diese Vielfalt, die so immer und überall gegeben ist, auch wertgeschätzt und nicht als etwas Negatives empfunden wird.

Muss eine Minderheit als solche immer erkennbar sein?
Ich finde es wichtig, dass wir achtsamer miteinander umgehen: Zum Beispiel gebe ich Jugendlichen in der Regel keine Chance, anders zu sein als heterosexuell - schon allein dadurch, dass ich einen Jungen frage, ob er eine Freundin hat. Ich könnte ihn auch fragen, ob er verliebt ist oder ihm Freund und Freundin zur Auswahl geben. Einige Minderheitsmerkmale wie Sprache, Hautfarbe sind zu sehen, bei anderen ist Achtsamkeit gefragt bzw. eine generelle Wertschätzung anderer Religionen, Denk- und Lebensweisen. Es muss immer darum gehen, alle Vielfalt wertzuschätzen und Menschen darauf aufmerksam zu machen, wann und wie sie andere diskriminieren bzw. Diskriminierung vermeiden und bekämpfen.

Der DFB war 2011 der 1000. Unterzeichner der Charta der Vielfalt. Welche Erwartungen sind für Dich damit verbunden?  
Die Unterschrift unter die Charta der Vielfalt bedeutet für mich, dass wir mit noch mehr gelebter Vielfalt im DFB rechnen können und müssen - d.h. dass z. B. Themen wie Sexismus oder Homophobie auf die Tagesordnung müssen, weil Frauen, Lesben und Schwule neben Menschen aller Nationen, Religionen, Hautfarben und anderen Unterschiedlichkeiten im Fußball willkommen sind. Die Charta-Unterzeichnung bedeutet einen weiteren Schritt zur konkreten Übernahme von Verantwortung für den DFB, der mehr beinhaltet als das Kerngeschäft: das Fußballspiel. Fußball endet eben nicht am Spielfeldrand oder nach 90 Minuten.

Für DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger ist die Beschäftigung mit Homophobie im Fußball ein Kernthema auch des Nachhaltigkeitsengagements. Was hat er konkret getan, um dem Thema innerhalb des DFB und in der Öffentlichkeit die entsprechende Aufmerksamkeit zu verleihen?
Konkret hat er Kontakte zwischen der LGBT-Community und dem DFB ermöglicht und somit Flyer, CSD-Wagen u. ä. ermöglicht. Darüber hinaus war er persönlich auf vielen Events der Community anwesend, was dazu führt, dass Medien verstärkt darüber berichten. Und er bezieht öffentlich Stellung zum Thema, was bestimmt die eine oder den anderen zum Nachdenken anregt. Menschen sind ja lernfähig, und wenn Theo Zwanziger oft genug sagt, dass Lesben und Schwule im Fußball genauso willkommen sind wie alle anderen, kommt es bestimmt irgendwann mal in den Köpfen an - das muss natürlich noch mit entsprechenden Maßnahmen begleitet werden.

In Ihrem Buch „Seitenwechsel – Coming-out im Fußball”“ vermitteln Sie, weshalb es bei der Liebe zum Fußball keine Unterschiede gibt. Gab es einen konkreten Auslöser für dieses Buch?
Das Gütersloher Verlagshaus ist auf mich zugekommen, weil sie in der Zeitung von der Ausstellung "Gegen die Regeln - Lesben & Schwule im Sport" gelesen hatten und darüber auf mich aufmerksam geworden sind. Sie waren der Meinung, dass es an der Zeit wäre, ein solches Buch zu schreiben. Die Idee war, dass es sowohl für Homosexuelle als auch für Heterosexuelle interessant ist.

Zu den Minderheiten im Fußball gehören Frauen, Nicht-Deutsche, Deutsche mit Migrationshintergrund und Homosexuelle. Weshalb wird das Attribut „schwul“ gerade im Fußball so häufig als Schimpfwort verwendet?
Schwul ist nicht nur im Fußball, sondern auch in der Schule oder anderswo ein sehr beliebtes Schimpfwort. Hier wie dort gilt alles Weibliche als schlecht. Schwule werden auch als weiblich wahrgenommen und können – so der Vorwurf - keinen Fußball spielen bzw. verstehen. Wenn also das gegnerische Team oder der Schiri schwul sind, sind sie schlecht bzw. können nicht gewinnen/nicht gut pfeiffen...

Was veranlasst und motiviert Sie, sich für dieses Thema zu engagieren und öffentlich Stellung zu beziehen?
Weil Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung noch immer bestraft oder verfolgt werden. Zu viele Menschen trauen sich nicht, offen zu ihrer eigenen Identität zu stehen – und ich möchte, dass meine kleine Tochter sich eines Tages keinen Kopf darum machen muss, ob sie hetero- oder homosexuell ist, sondern dass sie einfach ist, wer sie ist!

Sollten sich mehr Frauen outen oder besser zurückhalten? Philipp Lahm äußerte vor einiger Zeit Bedenken bzgl. des Outings homosexueller Spieler: "Für denjenigen, der es tut, würde es sehr schwer werden." Was bedeutet das konkret für die Frauen?
Ich kann immer nur allen empfehlen, sich zu outen, denn es befreit. Jede und jeder muss diese Entscheidung jedoch für sich selbst treffen. Ein Outing ist keine einfache Sache, weil es viele Prozesse beinhaltet: Ich muss mir klar werden, wer ich bin und was ich will, und dann muss ich überlegen, wie ich das nach außen trage. Die Gesellschaft heißt Lesben und Schwule immer noch nicht wirklich willkommen - das ist auch im Fußball zu spüren. Es geht also nicht nur darum, dass Homosexuelle sich outen, um zu zeigen, dass es sie gibt, sondern es muss auch darum gehen, dass die Gesellschaft dieses Outing ermöglicht.

Entspricht das Bild der Spielerinnen der Frauen-Nationalmannschaft, das zur WM 2011 in der Öffentlichkeit vermittelt wurde, nicht einem Klischee, das die Frauen auf ein Rollenmuster reduziert? Die Werbung suggerierte ein uniformes Schönheitsideal, hinter deren Fassade kaum mehr das "Echte" zu erkennen war. Wie sehen Sie rückblickend diese Entwicklung?
Ich fand die Darstellung der Spielerinnen in den meisten Medien nicht ideal. Es wurde sehr auf die Reproduktion der heteronormativen Schönheitsideale geachtet und leider dabei völlig versäumt, die Vielfalt der Fußballerinnen zu betonen: Es gibt große, kleine, lesbische, heterosexuelle, geschminkte und ungeschminkte. Mein Eindruck war, dass die geschminkten sexy Frauen während der WM etwas weniger geworden sind, aber trotzdem bleiben sie in Erinnerung und damit ein Bild von fußballspielenden Frauen, was so meiner Meinung nach nicht stimmt, weil es die Vielfalt nicht zulässt - und vor allem: Was ist mit den Frauen, die nach diesen Gesichtspunkten nicht "so" sexy sind oder sein wollen?

Haben die Spielerinnen aus Ihrer Sicht dieses "Bild" selbst gewählt oder reagieren sie lediglich auf äußere Rahmenbedingungen?
Ich glaube nicht, dass sich die Spielerinnen dieses Bild ganz allein gewählt haben. Es ist sicherlich eine Mischung aus vielen Aspekten, die hier zusammenkommen: Sie haben gemerkt, dass sie sich besser vermarkten können, wenn sie einem bestimmten Bild entsprechen. Solch ein "Wunschbild" entsteht durch Medien, Sponsoren, Vermarkter und natürlich auch durch das, was wir gesellschaftlich immer noch als Norm bzw. Schönheitsideale für Frauen ansehen. Und natürlich entsteht so ein Bild, wenn alle oben Genannten versuchen, das leidige Klischee des Mannweiber- und Lesbensports loszuwerden. Die Frage ist, ob das so funktioniert, oder ob die Lösung nicht viel einfacher ist, wenn alle mitspielen dürfen: die Mannweiber (was auch immer Menschen damit assoziieren) und Lesben genauso wie alle anderen. Zumal sie auch ihren Teil dazu beigetragen haben, dass der Frauenfußball in Deutschland heute da ist, wo er ist.


Die Medienberichterstattung vermittelte teilweise sehr einseitige Rollenbilder: das der "schönen" Frauen, die einem vorgegebenen gesellschaftlichen Ideal entsprechen, das der Lesbischen und Bisexuellen und das der entsexualisierten Frauen. Können Sie das bestätigen?
Wie gesagt, zu Beginn der WM wurde fast nur über den Rahmen der WM    berichtet. Im Laufe der Wochen hat sich das aber meiner Meinung nach verändert. Da wurde dann tatsächlich auch über Fußball berichtet, und ja auch tatsächlich festgestellt, dass Frauen genauso Fußball spielen wie Männer: mit Tricks, Fouls, Härte, neuen Spielideen usw.


Weshalb wird in den Medien immer wieder vermittelt, dass der Frauenfußball professioneller werden muss? Was ist damit gemeint?
Genau weiß ich das auch nicht, aber ich denke, dass damit gemeint ist, dass die Frauen endlich Profis werden sollen, weil dann Trainingszeiten nicht mehr durch Arbeitszeiten unterbrochen werden, und dann ist natürlich auch eine ganz andere Konzentration auf Fußball möglich, dann wäre es nämlich der Fulltime-Job der Frauen.


In der Nationalmannschaft der Männer gibt es viele Spieler, die sich sozial - zum Teil in eigenen Stiftungen -  engagieren. Die Medienberichterstattung begleitet dieses Engagement regelmäßig. Von den Frauen ist kaum etwas bekannt. Sind sie sozial weniger aktiv, oder haben die Medien weniger Interesse, darüber zu berichten?
Die Frauen haben ja nicht dasselbe Einkommen wie die Männer. Frauenfußball ist Leistungssport, nicht Profisport. Trotzdem sind die Frauen auch sozial aktiv, das findet eben nur weniger Interesse. Liegt aber auch daran, dass vor der WM die Frauen alle gar nicht so bekannt waren.


Was ist die größte Herausforderung im Frauenfußball?
Immer wieder die, mit dem Männerfußball verglichen zu werden und nicht als etwas Eigenes, Selbständiges wahrgenommen zu werden. Und natürlich ist auch das „Nicht-ernst-genommen-werden“ eine Herausforderung. Als Frau werden sie im Stadion ständig gefragt, was sie da eigentlich machen oder müssen auf einer Party, wenn sie sich als Fußballerin oder Fußballfan bekennen, dauernd erklären, was denn Abseits ist. Genetisch scheint es nicht möglich zu sein, dass Frauen die Abseitsregel verstehen oder gar Fußball spielen können. Es kommt noch hinzu, dass viele meinen, der Frauenfußball müsste weiblicher sein, um ihn besser vermarkten zu können.

Das Interview führte Dr. Alexandra Hildebrandt (DFB-Nachhaltigkeitsbeauftragte in der DFB-Kommission Nachhaltigkeit)

Weiterer Lesetipp:

Tanja Walther-Ahrens: Seitenwechsel. Coming-Out im Fußball, Gütersloher Verlagshaus 2011.

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