Uwe Seeler
† 21.07.2022
Walther Bensemann-Preisträger 2012
Begleittext zur Preisverleihung 2012
Wenn ein Fußballer Jahre, ja Jahrzehnte nach seinem letzten Spiel noch gefeiert wird, sich im kollektiven Gedächtnis und Empfinden der Sportnation festgesetzt hat und landesweit verehrt wird, dann braucht es eine Erklärung. Alt-Bundestrainer Helmut Schön hat es einst versucht: „Weit mehr noch [... als wenn man seiner großartigen Tore gedenkt] verkörpert er das, was wir als eine Spielerpersönlichkeit ersten Ranges bezeichnen.“ Der ‚Mann mit der Mütze‘ ging mit Lob spärlicher um, als das heute Usus ist. Im Falle Uwe Seelers konnte er ausnahmsweise nicht anders.
Uwe Seeler kam 1936 in Hamburg zur Welt und ist auch im Alter von 75 Jahren eine der großen Sportlerpersönlichkeiten der Bundesrepublik. 1972 beendete er seine aktive Laufbahn. Doch noch immer findet sein Wort Gehör, vergleichbar nur mit dem Franz Beckenbauers. Dabei galt und gilt Seeler eben nicht als ‚Lichtgestalt‘. Genau das Nicht-Glamouröse seiner Persönlichkeit scheint aber das Geheimnis seiner immensen Popularität zu sein.
Schon in ganz jungen Jahren war der Weg Uwe Seelers vorgezeichnet. „Für Fußball besonders geeignet“, diesen Kommentar fügte sein Hamburger Volksschullehrer der Turnnote ‚Sehr Gut‘ in Klammern hinzu. Und auch familiär war der junge Uwe vorbelastet. Mit seinem Bruder Dieter spielte er gemeinsam Ober- und Bundesliga. Sein Vater Erwin war Deutscher Meister des Arbeiter-, Turn- und Sportbundes, spielte nach dem Zweiten Weltkrieg beim Hamburger SV, in den auch Seeler 1946 eintrat. Es war eine verschworene Fußballerfamilie, wie Seeler sich einmal selbst erinnerte: „Gesehen habe ich meinen Vater im HSV-Dress oft genug. In der frühen Nachkriegszeit sind wir, Mutter, Dieter und ich, zu den Auswärtsspielen mitgefahren. Mann, herrschte da Stimmung und Leidenschaft. Ich weiß noch, wie wir in Braunschweig um unser Leben fürchten mussten, weil nach einem HSV-Sieg die Busse der Hamburger Schlachtenbummler einfach umgekippt wurden.“
Uwe Seeler begann seine Karriere zu einer Zeit, in der andere Dinge wichtiger waren als Sport. Er lernte das fußballerische ABC wie viele seiner Generation auf Brachflächen zwischen den Trümmern der Städte. Und so absolut verlassen wollte er sich auf sein Talent nicht. Er begann eine Lehre zum Speditionskaufmann, die er 1955 abschloss. Da war er schon Jugendnationalspieler und dank einer Sonderlizenz bereits Mittelstürmer des Vereins, dem er ein Sportlerleben lang die Treue hielt. Gleich im ersten Spiel mit der Raute auf der Brust traf er: am 29. August 1954 als 17-Jähriger beim 3:0 des HSV gegen den VfB Oldenburg.
Es war der Beginn einer nahezu unfassbaren Bilanz. In 237 Oberligaspielen schoss Seeler 267 Tore, wurde mit dem HSV neun Mal in Folge Norddeutscher Meister, sieben Spielzeiten schloss er als Torschützenkönig ab. Als 1963 die Bundesliga eingeführt wurde, war er unter Sepp Herberger längst etablierter Nationalspieler, hatte an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen und war ein international gefeierter Star. Gemeinsam mit Bruder Dieter und seinem ‚Zwilling‘ Klaus Stürmer, dem genialen Spielgestalter der Hamburger, hatte er 1960 gegen den 1. FC Köln seine erste (und am Ende einzige) deutsche Meisterschaft feiern können. Drei Jahre später hielt er auch den DFB-Pokal in die Höhe. Im Finale gegen Borussia Dortmund gelangen ihm beim 3:0 alle drei Treffer. Er war ‚Fußballer des Jahres‘ und längst, nicht nur für die Fans der Hamburger nur noch: ‚Uns Uwe‘.
Um Seeler pünktlich im Fernsehen erleben zu können, legten 8.000 Werftarbeiter der Howaldtswerke in Kiel im März 1961 vorzeitig ihre Arbeit nieder. In Schwarz und Weiß verfolgten sie den Angreifer, der im Viertelfinal-Rückspiel des Landesmeistercups gegen Englands Champion Burnley zwei Tore zum 4:1-Sieg beitrug. Wenige Wochen danach kam es zu dem, was einen Teil der Seeler'schen Legende bis heute ausmacht: Inter Mailands Star-Trainer Helenio Herrera stand in Hamburg auf der Matte, lockte Seeler mit damals unverschämt anmutenden Summen in Richtung Lombardei. Hamburg, nein ganz Deutschland stand Kopf! Sollte ‚Uns Uwe‘ dem schnöden Mammon erliegen? Seeler sagte schließlich ab, verzichtete auf das viele Geld und entschied sich für den HSV, für Hamburg. In der Zeit des Wirtschaftswunders war Seeler so endgültig Symbol und Mythos geworden für das gesamte Nachkriegsdeutschland. Exemplarisch dafür steht seine schwere Achillessehnenverletzung anno 1965, die für die meisten Spieler das Karriere-Aus bedeutet hätte. Nicht so für Uwe Seeler. Er unterzog sich einer neuartigen Operation – und nur sechs Monate später sollte ihm im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Schweden der 2:1-Siegtreffer gelingen. Die WM-Teilnahme 1966 war perfekt.
Bei der Nationalmannschaft, die er seit 1961 als Kapitän aufs Feld führte, glänzte der seinerzeit erste Torschützenkönig der Bundesliga. 1966 stieß Seeler bei der WM in England bis ins legendäre Finale von Wembley vor, unterlag dort nur den Gastgebern (und Schiedsrichter Gottfried Dienst). Das Foto, das einen vermeintlich geknickten Seeler nach dem Schlusspfiff zeigt, ging um die Welt.
1972, Helmut Schön hatte den Hamburger nach einem ersten Rücktritt zum Comeback überreden können, bildete er in Mexiko gemeinsam mit Gerd Müller ein gefährliches Angriffs-Duo. Im Viertelfinale gelang die Revanche gegen England – dank Seelers berühmtem Hinterkopfball-Tor. Vom Halbfinale gegen Italien kündet heute noch eine Plakette an der Außenwand des Aztekenstadions. Der 4:3-Sieg der Squadra Azzurra gilt bis heute vielfach als „Spiel des Jahrhunderts“.
Nach seiner Sportler-Laufbahn arbeitete Seeler als Repräsentant eines deutschen Sportartikelherstellers und war Inhaber einer Bekleidungsfirma. Und er widmete sich sehr intensiv seinen zahlreichen sozialen Engagements. Mit der ‚Uwe Seeler-Traditionself‘ bestritt er unzählige Wohltätigkeitsspiele. Und seit 1996 unterstützt die nach ihm benannte Stiftung Menschen, die ohne eigenes Zutun in Not gerieten. Über 2,7 Millionen Euro konnten so schon an Hilfsbedürftige weitergegeben werden.
Uwe Seeler gilt bis heute als Prototyp eines ehrlichen, aufrichtigen und allürenfreien Familienmenschen, der auch im Glanze seiner Erfolge bescheiden und hilfsbereit geblieben ist. Diesem Bild konnte auch eine schwierige Amtszeit als Präsident des HSV (1995–1998) nichts anhaben. Er ist Ehrenspielführer der Nationalmannschaft, Ehrenbürger seiner Heimatstadt Hamburg und Träger zahlreicher weiterer Auszeichnungen. Sein sportliches Erbe verwaltet derzeit sein Enkel, Levin Öztunali, der als Jugendnationalspieler beim HSV in die Fußstapfen seines Großvaters tritt.