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Platz 6 Fußballbuch 2016

Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland

Eine Spurensuche (2015/2016)
Platz 6  Fußballbuch des Jahres 2016 

Rezension: Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland

Hans Böller

Es war vor ein paar Jahren an einem Sonntagabend, als Arno Hamburger, der langjährige Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, in der Redaktion anrief. Die Sorge um den 1.FC Nürnberg trieb Hamburger um, man plauderte über Fußball, über den wieder einmal kriselnden Club, aber auch über das Leben. Arno Hamburger, damals schon hochbetagt, konnte auf ein bewegtes Leben zurückblicken, er überlebte die fürchterlichsten Jahre der deutschen Geschichte, er sagte dann an jenem Sonntag einen schönen, berührenden Satz: "Der Club", sagte er, "hat immer zu meinem Leben gehört." Arno Hamburgers Herz hing an zeitlebens einem Verein, der früh begonnen hatte, seine jüdischen Mitglieder nicht nur auszuschließen, in Nürnberg schürte man bereitwillig den Hass, den die Nazis über die Welt brachten.
Die Schicksale einiger jüdischer Fußballer sind schon länger bekannt, das von Julius Hirsch zum Beispiel, dem in Auschwitz ermordeten Nationalspieler, nach dem heute ein vom DFB jährlich verliehener Preis benannt ist. Verbände und Vereine brauchten lange, bis sie sich mit dem NS-Terror gegen jüdische Sportler befassten, inzwischen geschieht das - Kurt Landauer, Präsident des FC Bayern München, schaffte es zurück in die kollektive Erinnerung, der Anstoß kam von organisierten Fans, ähnlich wie in Nürnberg, wo die Ultras des von den Nazis verjagten Trainers Jenö Konrad gedachten.
In jüngerer Vergangenheit begann der Fußball, diese Vergangenheit aufzuarbeiten, das wird noch lange dauern. "Eine Spurensuche" steht vielleicht auch deshalb im Untertitel des Buches "Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland", das die Sporthistoriker Lorenz Peiffer und Henry Wahlig vorgelegt haben. Es ist ein erstes großes Standardwerk über die Entwicklung jüdischer Vereine nach 1933, dem Jahr, in dem die Vernichtung des großen jüdischen Erbes dieses noch relativ jungen Sports beginnen sollte, und das sehr verdienstvolle Werk erinnert auch und besonders daran, dass der oft in vorauseilendem Gehorsam begonnene Ausschluss jüdischer Mitglieder aus den Vereinen zu einem Zeugnis von Kraft und Widerstandsgeist führte. Es gründeten sich viele jüdische Vereine, die einen sehr vitalen Spielbetrieb organisierten - gegen wachsende Widerstände, gegen den sich früh abzeichnenden Terror, aber voller Energie. Sport, Fußball, konnte eine Form des Widerstands sein, es ist ein faszinierender, für eine größere Öffentlichkeit neuer Aspekt, für den die Autoren ein besonderes Interesse wecken. Peiffer und Wahlig haben über Jahre in Archiven recherchiert und über jüdische Gemeindeblätter, Briefe und persönliche Erinnerungen verloren geglaubtes Material zutage gefördert, man erfährt von kleineren und größeren Klubs, von Leidenschaft für den Sport und von einem imponierenden Behauptungswillen. Vor einer zunehmend finsteren Kulisse erlebte der jüdische Sport eine kurze Blüte - bis 1936, bis zu jenem Jahr, in dem mit den Olympischen Spielen in Berlin das Trugbild eines (sportlich) friedlichen Deutschland die Welt täuschen sollte. Nach Berlin 1936 begann das Ende, jahrzehntelang blieb es ein fast vergessenes Ende. Es sind starke Kapitel deutscher Sport- und Kulturgeschichte auf fast 600 Seiten. Das Buch ist nicht nur lehrreich, sondern auch eine kurzweilige und spannende Lektüre, die geeignet ist, Lust darauf zu machen, weitere Spuren zu suchen. Arno Hamburgers Liebe zum Fußball versteht man nach der Lektüre noch ein wenig besser.

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