WM '82: Skandal auf Kosten Afrikas
von Dietrich Schulze-Marmeling
Im siebten Teil seiner Serie über die Historie des afrikanischen Fußballs berichtet Dietrich Schulze-Marmeling über die bitteren Erlebnisse der algerischen Nationalmannschaft während der WM 1982 in Spanien. Die "Schande von Gijon" hinterließ vor allem in Nordafrika einen schalen Beigeschmack.
Als einer der größten Skandale in der WM-Geschichte gilt die Begegnung zwischen Deutschland und Österreich vom 25. Juni 1982 im spanischen Gijon. Als der Brasilianer Joao Havelange 1974 zum neuen FIFA-Präsidenten gewählt wurde, versprach er eine stärkere Berücksichtigung der bis dahin bei den Endrunden kaum vertretenen Afrikaner und Asiaten. Damit dies nicht auf Kosten der Europäer und Südamerikaner geschah, wurde das Teilnehmerfeld von 16 auf 24 ausgeweitet. In Argentinien 1978 war Europa mit zehn Teams am Start gewesen, in Spanien 1982 waren es nun sogar 14. Afrika schickte erstmals zwei Vertreter zur Endrunde: Kamerun und Algerien, das schon 1970 dabei gewesen war.
Algeriens großer Sieg über die DFB-Elf
Die deutsche Nationalelf spielte in einer Vorrundengruppe mit Österreich, Chile und Algerien. Im ersten Gruppenspiel gegen die Nordafrikaner blamierten sich Breitner und Co. bis auf die Knochen und verloren mit 1:2. Algeriens zweifacher Torschütze Rabah Medjer war trotzdem verärgert, da die Deutschen sein Team „während der gesamten Spielzeit nicht voll genommen“ hätten. Im folgenden Spiel betrieb die DFB-Elf mit einem 4:1-Sieg über Chile Wiedergutmachung. Algerien unterlag Österreich mit 0:2 und schlug Chile mit 3:2. Nun mussten nur noch Deutschland und Österreich gegeneinander antreten. Die Alpenrepublik führte die Tabelle mit 4:0-Punkten an, gefolgt von Algerien (4:2), das sein komplettes Vorrundenprogramm bereits abgespult hatte, und der DFB-Elf (2:2).
Die Schande von Gijon
Während die Österreicher auch bei eine knappen Niederlage Gruppenerster blieben, benötigten die Deutschen einen Sieg. In der 11.Minute schoss Horst Hrubesch das DFB-Team in Gijons Stadion "El Molinon" in Führung. Anschließend verständigten sich beide Teams auf einen Nichtrangriffspakt und schoben nur noch den Ball in den eigenen Reihen hin und her. Ernsthafte Angriffsbemühungen blieben aus. Auf den Rängen kam es zu Protesten. Fernsehreporter Eberhard Stanjek konstatierte eine Absprache zum Nachteil Algeriens. Österreich und Deutschland zogen in die nächste Runde ein, Algerien - punktgleich mit den Deutschen, aber mit einem schlechteren Torverhältnis ausgestattet - musste die Heimreise antreten.
"Lumpen und Idioten"
Die algerische Zeitung Moudjahid zürnte: „Diese beiden starken europäischen Mannschaften haben zusammen mit den Offiziellen der FIFA das Ergebnis des Spiels arrangiert.“ Frankreichs Libération schrieb: „Wenn die Algerier heute Rassismus rufen, haben sie nicht ganz Unrecht.“ Die Kollegen vom Figaro sahen „Lumpen und Idioten“ am Werk. In Italien sprach La Gazetta dello sport von „einer elenden Farce“. Michael Hidalgo, Coach der französischen Nationalelf, empfahl die Verleihung des Friedensnobelpreises an Deutsche und Österreicher. In ein ähnliches Horn stieß der österreichische Radioreporter Edi Finger, der „die größte Verbrüderung zwischen Deutschland und Österreich seit 1938“ konstatierte. Am konsequentesten behandelte die spanische Zeitung El Comercio das Geschehene. Sie behandelte das Spiel als Betrug und platzierte es folgerichtig im Polizeibericht ihrer Ausgabe. Weiter ging’s in dieser Rubrik mit einem Fahrraddiebstahl.
"Da kommt so ein Scheich aus einer Oase..."
Trotz der massiven internationalen Kritik zeigten deutsche und österreichische Fußballfunktionäre nicht einen Funken Reue. Im Gegenteil: DFB-Präsident Hermann Neuberger erklärte mit gewohnter Selbstgefälligkeit, dass es „das gute Recht einer Mannschaft“ sei, „langsam und auf Sicherheit zu spielen, wenn es dem Erfolg dienlich ist.“ Und Hans Tschak, stellvertretender Delegationschef der Österreicher: „Natürlich ist heute taktisch gespielt worden. Aber wenn jetzt deswegen 10.000 Wüstensöhne im Stadion einen Skandal entfachen wollen, zeigt das doch nur, dass die zu wenig Schulen haben. Da kommt so ein Scheich aus einer Oase, darf nach 300 Jahren mal WM-Luft schnuppern und glaubt, jetzt die große Klappe aufreißen zu können.“
Kolonialherr DFB
Es war eine Zeit, in der viele europäische Fußballfunktionäre die Afrikaner noch nicht als vollwertige Mitglieder einer globalen Fußballfamilie betrachteten, sondern einer kolonialistischen Attitüde frönten. Und ein Hermann Neuberger beim Händeschütteln den farbigen Nationalspieler Jimmy Hartwig demonstrativ ignorieren konnte, ohne dass dies ein Skandal verursachte.
© Dietrich Schulze-Marmeling
zur Übersicht "Fußball in Afrika"