Bundesliga-Tipp Spieltag 12: 'World Gone Wrong' - scheinbar auch im Fußball

Der Dylan-Titel 'World Gone Wrong' hat 20 Jahre auf dem Buckel - aber in mancher Hinsicht klingt er aktueller und trauriger denn je. Auch in der Liga gilt: Die Potentesten laufen vorne weg, das macht sogar den Fußball etwas berechenbarer. Beste Hochrechnung bis heute: Alain Sutter, unser Gasttipper aus der Schweiz!

Akademie Bundesliga-Tipp 2013/2014: Der Stand nach Spieltag 12

Rundschreiben zum Bundesliga-Tippspiel der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur

Liebe Tipperinnen und Tipper,

es ist ein älterer Titel eines mittlerweile schon sehr alt gewordenen Musikhelden, „World Gone Wrong“ sang Bob Dylan damals, gut 20 Jahre ist das jetzt her (für Fans: Titelsong auf Dylans 29. Studioalbum, released 1993 auf Columbia Records, Grammy-dekoriert). Der Hobbyanglist übersetzt sich das behelfsmäßig mal mit alles außer Rand und Band, Maßstäbe verloren, die ganze Welt aus den Fugen. Und wie das so ist mit Klassikern, ihre Botschaft überdauert scheinbar schadlos den Abgrund von Zeit und Raum – um heute aktueller und trauriger denn je zu klingen.

Man werfe nur einem Blick auf die Meldungen der letzten Zeit. Zum Elend vor den Küsten Afrikas und Lampedusas, dem Klimamassaker auf den Philippinen, zum Job- und Lebensdesaster der Jugend Südeuropas, dem Big Brother auf allen Kanälen oder der fast kollektiven Feigheit, einem ‚Wahr-Sager‘ wie Edward Snowden in diesem Land jenes Recht auf politisches Asyl zu geben, das im Auslieferungsabkommen Deutschlands mit den USA ausdrücklich verbrieft ist.

Nein, dass da irgendetwas (oder sogar Vieles) aber sowas von falsch und aus dem Ruder läuft, dafür reicht schon ein bisschen Interesse für die Welt von Fußball und Sport:
Wenn der große Weltsportler Wladimir Wladimirowitsch Putin die olympische Fackel z.B. über den Nordpol bis hoch hinaus ins All jagt, wo sie zwar nicht brennen darf, aber irgendwie doch leuchten soll; wenn Münchner, Garmischer, Berchtesgadener, Traunsteiner – hört mir doch auf mit dem Quatsch! – darauf das ganze Olympia-Theater angewidert abschmettern; wenn Karl-Heinz Rummenigge, immerhin noch einer der honorigsten Fußballbosse Europas, einen Strafbefehl über 249.900 € (zweihundertneunundvierzigtausendneunhundert EURO) für zwei geschmuggelte Uhren aus der Portokasse begleicht, mit einem Betrag, der einer überwältigenden Mehrheit der Fans im Stadion dicke reichen würde, ihren Ruhestand angenehm durchzufinanzieren; wenn die ehrenwerte Gesellschaft der Fifa eine WM für 2022 nach Katar vergibt, um Jahre später ein Problem mit der arabischen Sommerhitze zu erkennen, und nach etlichen Prügeln durch andere, sogar eines mit südasiatischen Arbeitssklaven am Bau – für das sie aber natürlich auf gar keinen Fall zuständig ist; wenn kleine, aber rabiate Ultras-Sprengel den wackligen Burgfrieden zwischen Fans und Ligaverband bei der Pyrotechnik neuerdings gleich in mehreren Kurven wieder abfackeln wollen, und sich andere (aus Braunschweig?) nicht zu blöd sind, eine Sau mit 96-Schal und aufgemalter 1 (für Robert Enke?) vorm Niedersachsenderby durch Hannover zu treiben; wenn umgekehrt für die Einhaltung der Menschenrechte engagierte Fan-Gruppen als linksextrem stigmatisiert und aus der Kurve verbannt werden (Braunschweig); wenn Uli Hoeneß kein Problem darin sieht, einem der integersten und erfolgreichsten Fußballklubs der Welt vorzustehen, und zugleich millionenfachen Steuerbetrug zugeben und vor Gericht verantworten zu müssen (während er andere Pöstchen etwa im Aufsichtsrat einer Allianz-Tochter niederlegt).
Wenn es demnach ziemlich überall ziemlich verquer läuft, von unten bis ganz nach oben und kreuz und quer, dann behalten zumindest wieder mal die Altmeister recht. Das Weltorakel Dylan natürlich, ‚Welt spielt verrückt‘; oder auch ein anderer großer Zusammendenker auf dem Platz, Dettmar Cramer – „Haar am Hintern ausreißen – und Auge tränt!“

Jetzt hmm, wie den Übergang schaffen zur leichteren Muse? Keine Sorge, für uns Hiesige nicht so das Problem, weil gewissenmaßen im Unglück gestählt, da schütteln wir uns mal kurz, und weiter geht‘s. So kriegen wir nicht nur salopp die Kurve, sondern haben für den großen Rest gleich noch eine freudige Überraschung in petto, eine schadenfreudige jedenfalls. Denn, wie der „Glücksatlas 2013“ es letzte Woche nur noch einmal abgestempelt und amtlich gemacht hat: Wir hier halten doch tatsächlich auch beim Lebensglück die Rote Laterne – von 13 auf ihr persönliches Glücksempfinden hin untersuchten Regionen Westdeutschlands rangieren die Franken auf Rang 13, und sind so anerkanntermaßen die Unglücklichsten im ganzen Westen. (während im geografisch korrekten Westen und Norden das Grinsen genau in dem Moment immer breiter wird, ertappt!)
Warum aber nur, geht’s unsereins hier denn gar so schlecht? Nicht wirklich, Geld, Jobs, Gesundheit, Natur, bassd scho. Aber: Die brauchen das, die müssen sich soz. schlecht fühlen. Jetzt, wie ...? Ganz einfach, damit es ihnen (uns) am Ende dann nicht wirklich richtig schlecht gehen kann. Dies zumindest ergebe sich, so ein Macher der Studie, zwingend aus der zugegeben etwas paradoxen Logik eines eingeborenen „Grundpessimismus im Psychogramm der Franken“. Und genau deshalb, hier weitern wir jetzt den Forschungsansatz hin zum aktuellen Schlusslicht der Ligatabelle, genau deshalb hat man hier auch den 1. Fußballclub Nürnberg erfunden – vorausschauend, vor 113 Jahren schon, und zwar als maßgeblich und entscheidend für einen dauerhaft harmonischen Glückshaushalt, der, wie aufgezeigt, ja gleichermaßen ein steter Garant des Unglücks zu sein hat.

Das Genialische an diesem, na gut, Schachzug, kann man gar nicht deutlich genug unterstreichen. Sport jedenfalls ist schon mal gut, wegen all der Unwägbarkeiten, am besten aber ist und bleibt doch die Sportunterart Fußball, und nichts anderes. Denn was wäre gerade im Fußball verlässlicher: als die Tragweite des Faktors Glück? Nichts, gar nichts, keine Taktik, Strategie, Trainerschule, Videoanalyse, Schussgewalt, niente, nada, nix. Letzter Beweis, als hätte man den in Nürnberg noch gebraucht, aber gut: Nach jüngster Analyse – unter die Lupe genommen: 2.500 Tore – kommt Prof. Dr. Martin Lames von der TU München zum Ergebnis, dass knapp die Hälfte aller Treffer im Fußball rein zufällig fallen (SZ-Sport, 8.11.2013). Und die andere Hälfte? Fällt eben dann, wenn es dem Schiedsrichter gefällt; könnten sie jetzt in Nürnberg nach dem Gladbach-Spiel ergänzen, aber nicht erst seitdem.

Nein, nichts ist verlässlicher als die Ungunst des Fußballglücks, und deshalb hat man nach Jahrzehnten der Seelenmarter als deutscher Rekordmeister (bis zum 10. Titel des FC Bayern, 1987) komplett umgesattelt, nämlich auf das Sammeln trauriger Rekorde. Das passt viel besser, die Erfolge sind auch wirklich überragend: seit dem ersten Trainer-Rauswurf der Bundesligageschichte 1963 über eine Serie kurioser Abstiege bis zum jüngsten Spieltag mit Eigen-, Wembley-Tor, Nicht-Elfmeter usw. – es läuft wie geschmiert, der Club ist ein Depp und wir hier dürfen jammern. Und weil Konkurrenz bekanntlich das Geschäft belebt, macht man sich gleich auf zu neuen historischen Ufern. Konnte der fränkische Quasi-Lokalrivale SpVgg Greuther Fürth die Bundesligasaison 2013 noch ohne einen einzigen Heimsieg beenden, so peilt der FCN auch hier eine neue Höchstmarke an: die ganze Saison, komplettamente ohne einen einzigen Sieg – na, die Fußballrepublik wird sich noch umschauen!

Wen interessieren da schon all die Super-Super-Rekorde der Bayern, klar, seit Ewigkeiten ungeschlagen in Liga und Champions League, Guardiola jetzt mit den meisten Trainer-Startpunkten, und was weiß ich noch alles. Fragt sich nur, wo da der Witz sein soll, nicht wahr!, noch dazu, wenn die gleich mit zwei kompletten Weltklasse-Teams antreten können, eins, das spielen darf, und eins, das auf der Bank lauert (Willi Lemke letzten Samstag im BR Radio: „Bayern hat 200 Mio. € Spieleretat, der SV Werder 30 Mio., das wirkt sich aus und killt die Spannung.“ BR-Interviewer: „Na und!“ na, siehe World Gone Wrong!). Während der BVB derzeit nicht mal ein einziges hat, bei all den Invaliden. Dafür aber könnte man die vier Punkte Vorsprung der Bayern auch mal für etwas mickrig halten.

Jedenfalls: Es läuft jetzt alles so, wie es heutzutage eben läuft, die Potentesten immer vorne weg, und die Werks-Teams aus Leverkusen und Wolfsburg inklusive. Das macht sich im Tipp bemerkbar, denn die Fehlerquote sinkt und sinkt, jetzt schon unter die 40 Punkte-Marke – am eindrucksvollsten hat sie unser neuer Spitzenreiter geknackt: Mit 37 Zählern führt nunmehr ein Gasttipper aus der Schweiz, Alain Sutter! (richtig, war mal ein Club-, Bayern- und Freiburg-Spieler, Typus Blonder Engel, ist hier aber nur ein Künstlername, Schweiz aber stimmt). Knapp dahinter folgt Dieter Gaßner auf Platz 2, zwei Punkte vor dem Trio Fedor H. Radmann (dito in der Schweiz daheim), Jan Welle und Klaus Weiner. In den Top-Ten notieren weiter Andy Storjohann, Christian Schirmer, Dieter Hecking, Jürgen Sommer, Arnd Zeigler, Lorenz Peiffer und Michael Gabriel.

Hier finden Sie die aktuelle Tabelle nach Spieltag 12 (pdf, 66 KB)

Das war’s für heute, die nächste Blitztabelle folgt nach dem 14. Spieltag, Anfang Dezember.


Mit sportlichen Grüßen aus der Noris!
Ihr

tippwart joschko

PS. Die Nachricht hätte auch zum ersten Teil dieses Rundschreibens gepasst, es scheint nicht gerade besser zu werden … die Akademie trauert um ihr Gründungsmitglied Jürgen Leinemann. Der großartige Spiegel-Journalist, Buchautor, Redner, Fußball-, Sepp-Herberger-Kenner und Mensch Jürgen Leinemann war bereits beim Akademie-Auftakt, dem sog. „Testspiel“, im Oktober 2004 mit viel Verstand und Leidenschaft mit von der Partie. Einige Jahre später, 2007, erkrankte er schwer, an einem heimtückischen Zungengrund-Karzinom. Und auch hier kam noch einmal der Fußball ins Spiel: Es war damals – was nur die wenigsten wissen – Uli Hoeneß, der sich sofort, intensiv und ausdauernd mit all seinen Kontakten um eine erstklassige medizinische Versorgung Leinemanns bemüht hatte (und dies ist wohl die andere, charakteristische Facette der Hoeneßschen Persönlichkeit). Jürgen Leinemann ist am Wochenende im Alter von 76 Jahren verstorben.

zum Nachruf im Kiebitz

Cookies verwalten