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Joachim Löw

Walther-Bensemann-Preisträger 2022

Ehrenmitglied
Auszeichnungen

Jürgen Klinsmann wollte sich mit einer Fachfrage zur Viererkette nicht belasten und delegierte die Antwort an seinen ersten Assistenten, den er als Topexperten für taktische Details im höchsten Maße wertschätzte. Auch deshalb hatte er ihn in sein Trainerteam gelockt, nachdem er selbst 2004 zum Bundestrainer berufen worden war. Und so stand Joachim Löw nun, wenige Wochen vor der WM 2006, im Servette-Stadion zu Genf auf Höhe der Mittellinie und bemühte sich um den Transfer von der Theorie in die Praxis, als er die ihm gegenüber im 4-4-2-System formierten zehn Feldspieler das vereinte defensive Verschieben lehrte. Löw passte den Ball nach rechts, nach links, das Gefüge musste sich daraufhin in der richtigen Abstimmung und Geschwindigkeit bei penibler Einhaltung der Abstände ballorientiert bewegen. So wurde das ABC der Raumdeckung im Schnellverfahren für das heimische Weltturnier eingebimst - und der Cotrainer Löw ein Vierteljahr später zum Bundestrainer befördert, zum zehnten in der DFB-Historie.

Als er in dieser Hauptrolle, seit 2014 mit weltmeisterlichen Ehren dekoriert, sein letztes Turnier, die Europameisterschaft 2021, vorbereitete, musste er zu den Anfängen seines Lehrauftrags zurückkehren. Viele Verletzungen und die pandemische Pause erforderten eine Neuauflage des taktischen Grundkurses, in dessen Curriculum Löw erneut grundlegende Inhalte aufgenommen hatte: Abstände zwischen Viererreihe und defensivem Mittelfeld; Unterschied zwischen Vierer- und Dreierabwehr. Wenn Löw über diese Komplexe referierte, war er in seinem Element. Dann wurde er zum originären Fußballlehrer, zum Dozenten und leidenschaftlichen Botschafter dieses Sports. In dieser Materie ging er auf.

"Jogi ist ein großer Fußballexperte", sagt Hansi Flick, seit Sommer 2021 Löws Nachfolger als DFB-Chefcoach. Andreas Köpke, aus dem 1. FC Nürnberg hervorgegangener Nationaltorwart und unter Löw der Sonderbeauftragte für die DFB-Keeper, findet "seine Kompetenz, Sichtweise und die Umsetzung seiner Ideen auf dem Gebiet des Fußballs überragend". Löw forderte und förderte das offensive, aktive, technisch feine, kreative und attraktive Spiel, aufgehübscht mit flotten Flachpasssequenzen und Kombinationen. "Zu 90 Prozent haben wir über das Spielerische gesprochen", berichtet Marcus Sorg, ab 2016 an Löws Seite. Im Training wurde der Ballbesitz geübt, seltener das so genannte Spiel gegen den Ball. Arbeit, Kampf, Disziplin, vorher die Primärtugenden, wurden allenfalls noch als Basis und Beiwerk betrachtet; der neue Löw-Fußball sollte die Trends der Zukunft aufnehmen und auch zur Kunst werden, ästhetisch wertvoll, wie Flick mit der direkten Erfahrung der achtjährigen Zusammenarbeit bestätigt: "Jogi liebt den schönen Fußball."

In seinen Spielern sah Löw zudem nicht die reinen Balltreter, sondern die Vertreter Deutschlands, die nicht nur mit Toren und Siegen begeistern, sondern vor allem auch mit ihrem Auftreten und Verhalten überzeugen sollten. Selbstkritik, eine vernünftige und reflektierte Lebensführung, ein kommunikativer, ehrlicher, offener, stets respekt- und vertrauensvoller Umgang, Loyalität und Bescheidenheit gehören zu seinem Wertekanon, den viele seiner Weltmeister vorgelebt hätten, wie Löw sagt.

Zu dieser edlen Schar zählt er unter anderem seinen früheren Stürmer Miroslav Klose, der das Kompliment im Rückpass gerne zurückgibt. Als "herausragend" erachtet der beste WM-Torschütze aller Zeiten den Menschen Löw. Vor der WM 2010 habe er, damals verletzt und beim FC Bayern kein Stammspieler, vom Bundestrainer klare Ansagen und insbesondere Vertrauensbekundungen erhalten. Löw habe "eine sehr menschliche Atmosphäre" im Kreis der Nationalmannschaft geschaffen, sagt Klose, "der Austausch mit den Spielern und dem Mannschaftsrat war immer gegeben". Kommunikativ und kollegial erlebten auch Flick und Köpke ihren damaligen Chef. "Jogi schafft es, Vertrauen zu geben", sagt Flick. Er respektiert jeden", sagt Köpke, "und er besitzt die Fähigkeit, Verantwortung an sein Trainerteam abzugeben und dennoch die Kontrolle zu behalten." Sorg hebt Löws "Ruhe und Souveränität selbst in extremen Stresssituationen" hervor, "er blieb immer positiv und optimistisch".

So wurde Joachim Löw zum Bundestrainer mit den meisten Spielen, 197. Bei drei Welt- und vier Europameisterschaften als verantwortlicher Nationaltrainer coachte er die jeweilige DFB-Auswahl in 37 Begegnungen, so oft wie kein Fußballlehrer global eine Nationalmannschaft jemals. 23 Siege in jenen Partien sind gleichfalls Rekord. Der spektakulärste war das 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien 2014 in Belo Horizonte, wo Löw die Seinen bei der 5:0-Führung zur Pause anhielt, den Gegner nicht zu demütigen. Fünf Tage später war der WM-Titel perfekt, der Bundestrainer hatte den Schützen des goldenen Tores, Mario Götze, mit feinem Händchen eingewechselt.

Es sind allerdings nicht allein die fußballspezifischen Glanztaten, die den Fußballlehrer und Erfolgstrainer Joachim Löw ausmachen. Er hat Kinder von Migranten ganz selbstverständlich in seine Auswahl eingebaut, Sami Khedira, Mesut Özil, Jérôme Boateng oder İlkay Gündoğan, und diese Aktion als „gelebte Integration“ begriffen. Als Corona die Welt erfasste, sprach er die Fehlentwicklungen unserer Zeit an, „Machtgier, Profit und Rekorde“.  Nun habe das Virus aufgezeigt, „was wirklich zählt, Freunde, Familie, Respekt füreinander“, betonte Löw und fasste zusammen: „Der Fußball hat eine große Bedeutung; aber es gibt Dinge, die sind wichtiger.“  Berufen wir uns abschließend auf Hansi Flick, den bestmöglichen Kronzeugen, der sagt: „Für mich ist Jogi ein großer Trainer und ein Riese als Mensch.“ 

von Karlheinz Wild

Joachim Löw
© Stadt Nürnberg / Jutta Missbach
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