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Platz 3 Fußballbuch 2016

Fußball

(2007/2008)
Platz 3  Fußballbuch des Jahres 2016 
Frankfurter Verlagsanstalt
Verlagsinfo frankfurter-verlagsanstalt.de
17,90 Euro
978-3-627-00227-5

Rezension: Fußball

Matthias Lieske

Wenn ein Schriftsteller ein Werk mit dem Satz „Dieses Buch wird niemandem gefallen“ beginnt, dann muss er über eine gehörige Portion Selbstbewusstsein verfügen. Nun, daran mangelt es Jean-Philippe Toussaint gewiss nicht, und man kann die Vermutung des renommierten belgischen Romanautors, dass  sein Büchlein mit dem schlichten Titel „Fußball“ den Fußballliebhabern zu intellektuell und den Intellektuellen zu fußballerisch vorkommen würde, getrost als kleine Koketterie verbuchen.

Früher oder später scheint jeder Schriftsteller, der sich für Fußball begeistert, den Drang zu verspüren, ein Buch darüber zu schreiben. Das Ergebnis ist meist enttäuschend und folgt dem immer gleichen Muster: Vater oder Opa nimmt Kind mit ins Stadion, Kind ist hin und weg, geht fortan allein zum Fußball, wird Fan einer Mannschaft, bleibt Fan einer Mannschaft, oder auch nicht, und dann kommt alles was der Betreffende schon immer mal über Fußball sagen wollte, große Spieler, große Spiele, große Turniere, Schiedsrichter, Regeln, die Brasilianer, die Italiener, die Deutschen, die Funktionäre, die ach so schreckliche Kommerzialisierung, und irgendwann klingt der Literat wie der Stammtischbruder von nebenan.

Nicht so Jean-Philippe Toussaint, der ja schon mit dem Buch „Zidanes Melancholie“, in dem er den legendären Kopfstoß psychologisch analysiert, ein ungewöhnliches Fußballbuch vorgelegt hatte.  Ihn interessieren nicht die großen Themen des Sports, „der Fußball der Erwachsenen lässt mich kalt“, schreibt er, sondern die kleinen Dinge, die ihn begleiten, die Episoden am Rande, die ihn für den Autor genauso liebenswert machen wie die Vorgänge auf dem Platz und die er „den unverrückbaren Pfeilern der Zeit und der Melancholie“ gegenüberstellt. Er schreibt über die alte Uhr im Berliner Olympiastadion, unter der er bei der WM-Partie Schweden gegen Paraguay sitzt und deren Zeiger sich keinen Millimeter bewegt, er schreibt über das gelbe Meer der schwedischen Fans, ohne zu erwähnen, was für ein lausiges Spiel das gewesen ist. Er beschreibt den Regen nach dem WM-Finale 2002 in Yokohama, ohne ein Wort über Oliver Kahns Abklatscher vor die Füße von Ronaldo zu verlieren, er schreibt über die Weltmeisterschaft 1970, aber nicht über Pelé oder Jairzinho, sondern die lustigen Lichthöfe, welche die Spieler auf einem frühen Farbfernseher im Schaufenster eines Brüsseler Elektroladens hinter sich herziehen. 

Es ist ein sehr persönliches Buch mit vielen kleinen und feinen Beobachtungen, in dessen Mittelpunkt vor allem der Autor selbst und seine Abenteuer bei den fünf Weltmeisterschaften von 1998 bis 2014 stehen. Dabei hat Toussaint, der Fußball mag, ihm aber keineswegs verfallen ist, die ersten drei zum Teil in den Stadien erlebt, besonders ausgiebig die WM 2002 in Japan und Südkorea, die das Kernstück des Buches bildet, die beiden letzten aber gar nicht oder nur rudimentär. 2010, weil er lieber in der Entourage des Künstlers Jeff Koons herumzieht, 2014, weil er in seinem einsamen Haus auf Korsika an einem Buch arbeiten und sich nicht ablenken lassen will. Das stellt sich als nicht einfach heraus, da das einst völlig von der Außenwelt abgeschnittene Domizil ohne Fernseher nun dank WLAN die Möglichkeit des Live-Streamings bietet, er schließlich dieser Versuchung erliegt und einen einsamen Kampf gegen ein Gewitter führt, um durch alle atmosphärischen Störungen hindurch erst über Laptop, dann Radio, schließlich Transistorradio das Elfmeterschießen des Halbfinales Argentinien – Niederlande verfolgen zu können.

Beim anderen Halbfinale hat er offenbar besseren Empfang, doch mehr als das erstaunliche 1:7 der Brasilianer interessieren ihn die  peinlich-anbiedernd von Flamengo Rio de Janeiro geklauten rot-schwarzen Trikots  der Deutschen, die ihn an „Rugby-Trikots (von Toulouse oder Toulon?)“ erinnern und die  er grauenhaft findet.  Auch das musste einmal gesagt werden.

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