Es war einmal ein Stadion
Verschwundene Kultstätten des Fußballs (2015/2016)Rezension: Es war einmal ein Stadion. Verschwundene Kultstätten des Fußballs.
Michael WulzingerHeute sind Fußballstadien Event-Tempel. Sie tragen Namen wie Signal Iduna Park, Allianz Arena, Commerzbank-Arena, Rheinenergiestadion oder Vonovia Ruhrstadion, sie haben Logen und Business-Seats, auf dem Spielfeld ist hochgezüchteter Rollrasen ausgelegt, und ihre Einheitsarchitektur raubt ihnen, von Ausnahmen abgesehen, jeglichen Bezug zu ihrer Umgebung. Das Modell Schauinsland-Reisen-Arena in Duisburg könnte genauso gut in Erfurt stehen. Oder in Hoffenheim. Oder in Rostock.
Früher waren Fußballstadien Fußballstadien. Sie trugen Vorortnamen (Zerzabelshof), Straßennamen (Stadion an der Leopoldstraße), Mundartnamen (Et Höffge) oder Namen berühmter Männer der Stadt (Hermann-Löns-Stadion), und wenn von einem dieser Stadien die Rede war, wusste jeder, der sich für Fußball interessierte, wo es stand – der Zerzabelshof in Nürnberg, das Stadion an der Leopoldstraße in München, et Höffge in Köln-Dellbrück, das Hermann-Löns-Stadion in Solingen. Man ortete es nicht nur, man hatte auch ein Bild vor Augen. Es war die Zeit, als kein Stadion aussah wie ein zweites.
Eine untergegangene Epoche.
Der Fußballautor und Sporthistoriker Werner Skrentny hat sich dieser „verschwundenen Kultstätten des Fußballs“, wie er sie nennt, angenommen. „Es war einmal ein Stadion“, heißt sein detailreich recherchierter und mit fundierten Texten versehener Bildband, der den Spielstätten der Vergangenheit, die heute von Unkraut überwuchert, überbaut oder abgerissen sind, nachspürt. Und der ihnen ein Denkmal setzt.
Wer weiss schon, dass dort, wo in Hannover heute auf Höhe der Röpkestraße der Messeschnellweg verläuft, am 1. September 1926 im Stadion Radrennbahn am Pferdeturm Deutschlands erstes Flutlichtspiel unter Bogenlampen stattfand? Dass dort, wo in der Frankfurter Strasse in Speyer heute ein Supermarkt und das neue DJK-Stadion stehen, das Stadion am Roßsprung zu finden war, dessen eine Tortribüne einen kleinen Knick um ein dahinter gebautes Einfamilienhaus machte? Dass dort, wo im pfälzischen Pirmasens in der Zweibrücker Straße heute eine Chemiefabrik ein Materiallager betreibt, das Stadion auf dem Horeb stand, der höchsten Erhebung der Stadt, wo die Mannschaft des FKP bis in die Siebzigerjahre viermal – vergeblich – ans Tor der Bundesliga klopfte? Dass dort, wo zwischen Hamburger Turmweg und Hallerstraße heute ein Gebäudekomplex nach Plänen des britischen Stararchitekten Sir Norman Foster steht, inmitten eines Gründerzeitviertels das Stadion Am Rothenbaum lag, die alte Heimat des HSV, die Heimat Uwe Seelers? Vor Ort kein Schild, kein Hinweis mehr – als ob es eine der traditionsreichsten Fußballstätten Deutschlands niemals gegeben hätte. „Wäre es ein altes Theater, es stünde längst unter Denkmalschutz“, hatte sich der damalige DFB-Präsident Egidius Braun im Sommer 1993 echauffiert. Ein Jahr später wurde das baufällige Stadion abgerissen. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Skrentnys Buch wendet sich gegen das Vergessen. Der Autor spürt die kleinen und die großen untergegangenen Stätten des deutschen Fußballs auf, das Stadion „Kradepohl“, den Krötenteich in Bergisch Gladbach wie den Bökelberg in Mönchengladbach, das Oldenburger Stadion in Donnerschwee, „die Hölle des Nordens“, wie das Grugastadion in Essen. Orte der Geschichte, Orte von Geschichten. Skrentny erzählt sie, kenntnisreich und originell. Sein Buch sei kein Nachruf, sondern ein Aufruf, schreibt der Autor. Es ist ein Aufruf zum Schmökern, ein Aufruf zum Verstehen.