Wie der Fußball nach Afrika kam, sich dort ausbreitete und nach Europa zurückkehrte
von Dietrich Schulze-Marmeling
Im Februar und März gibt Dietrich Schulze-Marmeling an dieser Stelle interessante Einblicke in die Geschichte des afrikanischen Fußballs.
Teil eins handelt von seinen Anfängen und damit vor allem vom Einfluss ehemaliger Kolonialmächte auf die Entwicklung des Fußballs in Afrika.
Die Wurzeln des afrikanischen Fußballs
Auf dem afrikanischen Kontinent breitete sich der Fußball schneller und intensiver aus als in anderen kolonialisierten Gebieten der Welt. Obwohl es in den Bantusprachen, gesprochen von über 400 verschiedenen Ethnien Süd- und Mittelafrikas, nicht einmal ein eigenes Wort für „Ball“ gibt. Afrikanische Ballspiele existierten nur an den Peripherien der Bantukulturen.
Auch in Afrika waren es die Briten, die das Spiel importierten. Die ersten Kicker waren Seeleute und Kolonialsoldaten. Später sorgten Kolonialbeamte, Ingenieure , Lehrer und Kaufleute für eine gewisse Verbreitung. Aber auch kirchliche und staatliche Schulen gebärdeten sich als Fußball-Missionare. In Nigeria wurde der Fußball in der Hafenstadt Calabar vom Hope Waddell Training Institute eingeführt, 1894 von einer Gruppe jamaikanischer Presbyterianer gegründet. 1902 wurde der Reverend James Luke Direktor der Schule und brachte zum Einstand einen Ball mit. Am 15. Juni 1904 spielte ein barfüßiges Schulteam gegen die Besatzung des Kriegsschiffes HMS Thistle und gewann mit 3:2.
Fußball versus Gentlemen-Sportarten
Weltweit setzte sich der Fußball vor allem in solchen Kolonien Britanniens durch, in denen die Präsenz der britischen Oberschicht nicht so stark ausgeprägt war, sondern weniger direkte Formen der Kolonialherrschaft dominierten. In Uganda, Kenia oder Rhodesien, Ländern mit starker britischer Präsenz, waren die Gentlemen-Sportarten Cricket und Rugby wesentlich stärker vertreten als etwa in Westafrika, wo einer britischen Ansiedlung im großen Stil allein schon das Klima entgegenstand. Im britisch beherrschten Teil Afrikas verbreitete sich das Spiel zunächst schneller als unter französischer Kolonialherrschaft. Europäer und einheimische Bevölkerung lebten in den französischen Kolonien stärker voneinander getrennt, außerdem spielte der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Besonderen in der französischen Kultur eine geringere Rolle.
Ägypten als Vorreiter afrikanischen Fußballs
Afrikas erste „Fußballmacht“ war Ägypten, dessen Fußballgeschichte mit der Ankunft der britischen Besatzungsmacht 1882 begonnen hatte. 1903 wurden in Kairo von britischen Bürgern die ersten Klubs organisiert, denen schon bald einheimische Gründungen folgten. So wurde 1907 der Klub Al Ahly ins Leben gerufen, der zu einem der erfolgreichsten und populärsten in Afrika avancierte. Der von Republikanern und Liberalen beherrschte Klub war ein Statement gegen die britische Kolonialherrschaft.
1921 wurde in Kairo der erste nationale Fußballverband Afrikas gegründet. (Die South African Football Association / SAFA bestand zwar bereits seit 1892, gehörte aber der englischen Football Association an.) 1923 war Ägypten als erstes afrikanisches Land der FIFA beigetreten, nachdem es bereits 1920 als erster Vertreter des Kontinents am Olympischen Fußballturnier teilgenommen hatte. 1934 waren die Nordafrikaner auch Afrikas erster WM-Teilnehmer.
Frankreichs Talentschmiede
Der Norden Afrikas, wo die Franzosen zum führenden „Fußball-Missionar“ avancierten, war die erste Region des Kontinents, die auch international reüssieren konnte. Von Südafrika abgesehen, war dies die urbanisierteste und industrialisierteste Region Afrikas, die auch die größte Zahl europäischer Siedler aufwies. Von den 1920ern an wurde hier die Ausbreitung des Spiels auch von der französischen Regierung unterstützt.
Schon früh entstand eine Verzahnung mit dem heimischen Fußball. Französische Klubs entdeckten Algerien und Marokko als Rekrutierungsgebiete. Dass dies so einfach möglich war, hatte auch mit einem Konzept der französischen Nation zu tun, das die Kolonien als Ausweitung des „Mutterlandes“ und Teil eines größeren Frankreichs betrachtete. Außerdem entwickelte sich in Frankreich die Idee von einem eigenem nationalen Fußballstil später als in Ländern wie England, Deutschland oder Italien, weshalb sich das Spiel hier mit den Immigranten aus den Kolonien teilen ließ, ohne dass dabei das Gefühl entstand, man würde seine „nationale“ Seele preisgeben.
Bereits 1938 kickten in der ersten und zweiten Liga Frankreichs 147 Afrikaner. Einige von ihnen, wie der Marokkaner Larbi Ben Barek, spielten sogar im französischen Nationalteam. Ben Barek, einer der ersten großen farbigen Fußballstars, kickte zunächst für Union Sportive Marocaine de Casablanca, bevor ihn 1938 Olympique Marseille nach Frankreich holte. Anschließend schnürte der Dribbelkünstler noch für Stade Francais Paris (mit dem Trainer Helenio Herrera) und Atlético Madrid die Fußballstiefel. Als Olympique Marseille 1940 im französischen Pokalfinale gegen den Racing Club de Paris auflief, hieß einer der Olympique-Akteure Ahmed Ben Bella. 20 Jahre später wurde Ben Bella Präsident der unabhängigen Republik Algerien.
Einer der Besten aller Zeiten: Eusebio
Auch Portugal erkannte relativ frühzeitig das „athletische Potential“ seiner Kolonien. In den 1950ern errichteten Portugals führende Klubs ein System von Scouts in den Kolonien Angola und Mosambik. Zuvor hatten die Klubs bei Propagandatouren in diesen Ländern gegen die einheimischen Kicker wiederholt den Kürzeren ziehen müssen. Bei der WM 1966 hieß der große Star Eusebio da Silva Ferreira, groß geworden beim Sporting Club Lourenco Marquis (später Maputo), mittlerweile aber für Benfica Lissabon am Ball. Dass die Portugiesen in England bis ins Halbfinale vordrangen, hatten sie vornehmlich ihrem Torjäger Eusebio zu verdanken. In England wurden Fußballer afrikanischer Herkunft erst als Folge der Einwanderungswellen nach dem Zweiten Weltkrieg registriert.
Beginn der Eigenständigkeit
Zu Beginn des zweiten Weltkriegs war Fußball zwar zum populärsten Sport in Afrika aufgestiegen, aber seine Ausbreitung verlief deutlich langsamer als in Europa – lediglich der Norden stellte eine gewisse Ausnahme dar. Neben der „Zurückhaltung“ der britischen Kolonialeliten, die den elitären Disziplinen den Vorrang gaben, lag dies an dem zunächst geringen Urbanisierungsgrad sowie einem unterentwickelten Schulsystem, in anderen Ländern wichtige Schubkräfte für die Popularisierung des Fußballs.
Afrikas Fußball stand lange Zeit unter der Kontrolle Englands und Frankreichs. Dekolonialisierung und politische Unabhängigkeit lösten dann eine Explosion sportlicher Aktivitäten aus. Für den afrikanischen Fußball begann nun ein Prozess der ernsthafteren und eigenständigeren Organisierung. 1957 wurde der afrikanische Fußballverband gegründet, der sich den französischen Titel Conféderation Africaine de Football (CAF) gab.
© Dietrich Schulze-Marmeling
Die Fortsetzung der Reihe "Fußball in Afrika" folgt am 10. Februar mit dem Thema "Afrika und die Fußballweltmeisterschaften 1930 - 1970".