Literatur

Rezension: Den Sport nach Hause bringen

Nicole Selmers Rezension zum Sammelband: „Sind‘s froh, dass Sie zu Hause geblieben sind.“ (Marschik/Müllner Hg.)

Rezension: Den Sport nach Hause bringen. Mediatisierung des Sports in Österreich

„Sind‘s froh, dass Sie zu Hause geblieben sind“ – dem austroaffinen Lesepublikum verrät schon der Titel, wohin die Reise mit dem Sammelband der Herausgeber Matthias Marschik und Rudolf Müllner geht. Der Reporter-Ausruf in der Radioübertragung eines Fußballspiels zwischen Österreich und der Türkei weist jedoch nicht nur auf die österreichische (und auch exklusiv österreichische) Selbstironie angesichts nationaler Sportdarbietungen hin, sondern auch auf die Grundkonstellation des Themas: Der Sport in den Medien nämlich kommt zum Publikum und nicht umgekehrt. Er ist das, was man an seinem eigentlichen Geschehen (leider oder eben glücklicherweise) verpasst und nur vermittelt bekommt. Entsprechend ist auch der Sammelband kein Buch über Sport, sondern eben Mediensport, der nie einfach nur Abbild, sondern immer ein gemachtes Bild ist – egal, ob mit Kameras oder Worten. Die Entstehungs- und Wirkungsbedingungen des medialen Sports sind dabei von zahlreichen mehr oder minder sichtbaren Interessen und Faktoren – ökonomischen, politischen, kulturellen oder sozialen – durchzogen. Sport und seine Praxen haben jedoch umgekehrt auch Auswirkungen darauf, wie gesellschaftliche Vorstellungen von Leistung, Nation, Gemeinschaft und Geschlecht aussehen.

Die Beiträge des Sammelbandes zeichnen diese vielfältigen Zusammenhänge nach und schlagen dabei einen weiten chronologischen Bogen über 130 Jahre Mediensport und mediatisierten Sport in Österreich. Eingeteilt ist das Buch in vier Abschnitte, los geht es mit Texten zu einer allgemeinen Einführung in die Thematik, in der u. a. Jürgen Schwier die Aneignung des medial präsentierten Sports durch die Zuschauerinnen und Zuschauer betrachtet. Am offensichtlichsten zugespitzt erscheint diese Interaktion derzeit in den Public Viewings zu Fußball-WM oder EMs, in denen die Selbstinszenierung des Publikums vor den Leinwänden das Ereignis selbst erst hervorbringt – über das dann wiederum in allen Medien berichtet wird. Im zweiten Abschnitt finden sich Beiträge zur historischen Entwicklung der Sportmedien in Österreich, von Fernsehen, Rundfunk, Fotografie und Werbung zu Internet.

Biografien und historische Verflechtungen

Der dritte Teil schließlich versammelt den größten Teil der Artikel und widmet sich den Berufsgeschichten österreichischer Sportjournalisten, -reporter und -fotografen. Dabei begegnet man bekannten Akteuren wie den Brüdern Willy und Hugo Meisl (Beiträge von Erik Eggers und Andreas/Wolfgang Hafer) – vor allem Letzterer prägte den Fußball nicht nur in Österreich in vielerlei Funktionen. Nicht fehlen darf natürlich auch der früh verstorbene Heribert Meisel, der das titelgebende Zitat lieferte; daneben gibt es aber auch Einblicke in die Biografien unbekannterer Journalisten wie Sportessayist Emil Reich (Beitrag von Alfred Pfoser), der die Erfolge des Wunderteams und die Entwicklung des Fußballs zum Massensport begleitete, oder Skisport-Regisseur Ludwig Schmidtleitner (Artikel von Thorsten Leitgeb), der die „Streif“ fürs ORF in Szene setzte. Mit den Kontinuitäten und Brüchen in der Sportberichterstattung nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1938 beschäftigt sich David Forster und weist dabei u. a. auf die widersprüchliche Behandlung des in Deutschland bereits lange vor 1933 propagierten Amateurideals im sportpolitisch damals weitaus professionalisierteren Österreich hin. Mit-Herausgeber Matthias Marschik stellt in seinem chronologisch anschließenden Beitrag fest, dass die Nachkriegsjahre für den österreichischen Sportjournalismus eine Blütezeit waren – trotz der Verluste der ermordeten oder emigrierten jüdischen Kollegen. Im Gegensatz zu Deutschland wurde Österreich schnell wieder in die internationale Sportfamilie aufgenommen und so konnte schon 1948 von den Olympischen Winterspielen in St. Moritz berichtet werden.

Den Abschluss des Bandes bilden drei Artikel zu den Verflechtungen von Mediensport und Ökonomie (Thorsten Schauerte), Politik (Matthias Marschik/Georg Spitaler) und Geschlechterverhältnissen (Bettina Rulofs), die noch einmal verdeutlichen, dass weder der Sport selbst noch seine mediale Inszenierung sich in einem gesellschaftlichen Vakuum abspielen. Der Aspekt der Geschlechterverhältnisse wird in einem weiteren Artikel explizit verhandelt, daneben aber auch in mehreren Beiträgen als „Querschnittsfrage“ zumindest angerissen. Das ist in der kulturwissenschaftlichen Fußballforschung alles andere als selbstverständlich und ein weiterer Hinweis darauf, dass Österreich mit seiner Tradition in diesem Bereich dem großen Nachbarland noch einiges beibringen kann. Ganz ohne Selbstironie gesprochen.

Matthias Marschik, Rudolf Müllner (Herausgeber). „Sind‘s froh, dass Sie zu Hause geblieben sind.“ Mediatisierung des Sports in Österreich. Werkstatt-Verlag Göttingen 2010. 416 Seiten, 33,90 Euro (mehr...)

Akademie-Mitglied Nicole Selmer ist freie Journalistin und schreibt derzeit u.a. für www.kos-fanprojekte.de. Sie ist Mitbegründerin von F_in, dem Netzwerk "Frauen im Fußball" und in dieser Funktion u.a. Mitglied der AG-Fandialog beim DFB.

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