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Literatur

Friedenreich. Das vergessene Fußballgenie

Martin Curis Buch beschäftigt sich nicht nur mit einem ersten großen Fußballstars, sondern vor allem auch mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Brasilien des beginnenden 20. Jahrhunderts. Nominiert für das Fußballbuch des Jahres 2009 - mit Rezension von Matti Lieske

Martin Curi

Friedenreich - Das vergessene Fußballgenie

ISBN 978-3-89533-646-1
Werkstatt Verlag, 2009
Preis: 16,90 Euro, ca. 140 Seiten

In fußballhistorischen interessierten Kreisen ist Arthur Friedenreich eine sagenumwobene Figur. Über den "wahren" Friedenreich ist hingegen wenig bekannt, obwohl er im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu den besten Spielern der Welt zählte.

Verlagsinfo


Nominierung zum Fußballbuch des Jahres
2009

von Matti Lieske (Berliner Zeitung)

Er war einer der größten Fußballer Brasiliens, er war einer der größten Fußballer aller Zeiten überhaupt, er schoss mehr Tore als jeder andere, und er war nicht nur ein genialer Spieler, sondern auch ein findiger Innovator, dem die Legende zum Beispiel die Erfindung der Körpertäuschung und des Effetschusses zuschreibt: Arthur Friedenreich. Zwar kürte ihn die taz 1999 bei der Wahl der Jahrhundertfußballer zum Spieler der 20er Jahre, doch allzu viele Fußballfreunde kennen seinen Namen nicht. Die relative Obskurität, in welche die Karriere Friedenreichs gehüllt ist, liegt zum einen daran, dass er zu einer Zeit wirkte, in der es noch nicht leicht war, fußballerischen Weltruhm zu erlangen, zum andern daran, dass er nie an einer WM teilnahm. Zumindest die von 1930 in Uruguay wäre im Bereich seiner Möglichkeiten gewesen, doch er kam aus Sao Paulo, und geschickt wurde aufgrund interner Querelen nur eine Auswahl aus Rio de Janeiro. Das Team schied in der Vorrunde aus, mit ihm, so sagte Friedenreich später, hätte man den Titel gewonnen.

Zitiert wird diese Aussage in Martin Curis Buch „Friedenreich – das vergessene Fußballgenie“, ein verdienstvolles Werk, das die Karriere dieses ungewöhnlichen Fußballspielers nachzeichnet und gleichzeitig ein lebendiges Bild Brasiliens zu Beginn des 20. Jahrhunderts liefert. Als Sohn eines deutschen Händlers und einer schwarzen Wäscherin wurde Arthur 1892 geboren, wenige Jahre nach Ausrufung der brasilianischen Republik. Seine soziale Mittelklasseherkunft und seine Hautfarbe verliehen ihm eine ganz spezielle Stellung in der jungen, sich rasant entwickelnden Gesellschaft und eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des ebenso jungen, zunächst nur von vornehmen Weißen betriebenen brasilianischen Fußballs. So ist Martin Curis Buch auch keine klassische Biografie, zu wenig ist über Friedenreichs Privatleben, seine Persönlichkeit, selbst über seine Art, Fußball zu spielen, überliefert. Vielmehr handelt es sich um eine überaus kundige und aufschlussreiche Abhandlung über die soziale und gesellschaftliche Entwicklung Brasiliens, über die Probleme, mit denen der Fußball und seine Protagonisten in den fast drei Jahrzehnten, die Friedenreichs Karriere umspannte, zu kämpfen hatten, und über die spezielle Form des Rassismus, die beide Bereiche beeinflusste, vor allem als immer mehr schwarze Spieler aus der Unterschicht begannen, Fußball zu spielen.

Mittendrin und oft genug dazwischen stand Arthur Friedenreich, der Tiger mit dem Goldfuß, wie zwei seiner Ehrennamen lauteten, in dessen Werdegang sich die verschiedenen Strömungen, Einflüsse und Widrigkeiten seiner Ära kristallisierten. Zum Volkshelden wurde er spätestens 1919, als er Brasilien zu seinem ersten internationalen Titel schoss. Beim 1:0 im Spiel um die Südamerika-Meisterschaft gegen Uruguay war Arthur Friedenreich, Siegtorschütze nach 150 Minuten, im weiten Rund des Laranjeiras-Stadions von Rio de Janeiro der einzige von fast 30.000 Menschen, der nicht weiß war.

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