Platz 7Fußballbuch 2016

Ruhm und Ruin

(2015/2016)
Platz 7  Fußballbuch des Jahres 2016 
İmran Ayata
© Ballhaus West

Verlagsinfo www.verbrecherverlag.de
19,00 Euro
978-3-95732-125-1

Der Autor Imran Ayata hat sich in seinem Roman „Ruhm und Ruin“ auf den Fußballplatz begeben. Dreh- und Angelpunkt ist ein deutsch-türkischer Berliner Kiezclub, der die Hoffnung von Migranten auf ein besseres Leben in einer urdeutschen Domäne verkörpert: dem Vereinswesen. Doch zwischen politischen Ansprüchen, dem Profifußball und den Ambitionen Einzelner werden auch reihenweise Hoffnungen und Träume zerstört. Elf Menschen, deren Leben sich um den Kiezklub dreht, erzählen ihre Geschichten. Vereinsmeierei, Familienschicksale und Generations- wie Geschlechter-Konflikte – aus elf Perspektiven, zum Lachen und Mitleiden. Der junge Fußballer Arda Toprak ist hochtalentiert, scheitert aber vor allem am Größenwahn seines Manager-Vaters Fikret. Türkische Politik spiegelt sich auch im Vereinsleben und auf Funktionärsebene wieder. Es wird heiß debattiert: Über die Kurdenfrage, über lesbische Spielerinnen und Auswärtsspiele in der ostdeutschen Nazi-Provinz.

Imran Ayata, Jahrgang 1969, im Zivilberuf Geschäftsführer einer Werbeagentur, ist als Romanautor und Kulturschaffender weit über Berlins Grenzen hinaus bekannt. Sein Romandebüt Mein Name ist Revolution (2011) wurde von der Kritik begeistert aufgenommen, Ayata kuratierte auch die vielbeachtete Musik-Reihe Songs of Gastarbeiter. Der Roman „Ruhm und Ruin“ basiert auf dem Theaterstück „Liga der Verdammten", das Imran Ayata zusammen mit dem Regisseur Neco Çelik im Frühjahr 2013 im Berliner Ballhaus Naunynstraße auf die Bühne brachte.

Buchcover Ruhm und Ruin -  von İmran Ayata

Ball und Sein: 11 Menschenleben und ein Kiezklub

Stefan Erhardt

Elf kleine Ausschnitte aus elf kleinen Leben, ein kleiner Ausschnitt aus einem kleinen Verein – und doch ist die ganze große Welt mit drin: nicht mehr und nicht weniger entfaltet der in Berlin lebende Autor und Fußballliebhaber Imran Ayata. Das Buch „Ruhm und Ruin“, als Roman klassifiziert, liest sich wie ein kleines Panoptikum, ein Theaterstück (auf dem der Text auch tatsächlich fußt), eine Revue, die ebenso sprachlich flott wie hintergründig die kleine Vereinswelt, aber auch die ganze Welt des Fußballs thematisiert.

Da spricht der Schiedsrichter-aus-Passion mit dem überdeutlich sprechenden Namen Licht über seinen bisweilen undankbaren Job, über die Animositäten, Anmachen, Bedrohungen, Handgreiflichkeiten, Hitlergrüße unter Zuschauern und Polizeieinsätze bei völlig bedeutungslosen Bezirksfreundschaftsspielen – sportlich bedeutungslos, nicht aber gesinnungstechnisch. Denn es spielt der Dorfverein aus dem Umland gegen den „Problembezirksverein“ aus der Großstadt, der noch dazu in der Mehrzahl Spieler mit türkischen Wurzeln aufweist.

Da spricht der aus der Türkei nach Almanya gewanderte Vater über seinen hochtalentierten Sohn, der entdeckt wird und es sogar in einen Erstligaverein schafft, woraufhin der Vater seine „Managerqualitäten“ entdeckt und mit seinen hochfliegenden Plänen grandios scheitert, nicht zuletzt, weil der Sohn sich schwer verletzt; ein Schlaglicht auf die unzähligen Kurzkarrieren landauf, landab.

Da zieht die Vereinsvorsitzende und Politaktivistin vom Leder, gegen den Neoliberalismus im Allgemeinen und den Profifußball im Speziellen, den „Großkonzerne, TV-Sender und Ölscheichs längst geschluckt“ haben, und sieht den Untergang kommen: „Ich bin Realistin: Die Pest breitet sich immer weiter aus, langsam aber sicher kommt sie auch im Amateurbereich an. […] Die Fußballverbände und ihre Funktionäre setzen ohne Rücksicht auf Verluste ihren Masterplan um. Sie wollen noch den letzten Cent mittels Vermarktung aus dem Fußball herauspressen. Big Business und Ausverkauf, das sind ihre Verheißungen.“

„Ruhm und Ruin“ ist nicht nur ein Typenpanorama, sondern auch ein starker und programmatischer Abgesang, weniger auf das Fußball-Spiel, als auf dessen Instrumentalisierung. Der Abgesang kommt (in der letzten Lebens-Erzählung) wörtlich von The Doors und ihrem Stück „The End“ – der musikalische Wink mit der Eckfahne. Abgesang zum einen, Loblied zum anderen: Loblied auf die Mikrostrukturen eines kleinen Vereins, auf Zusammenhalt und produktiven Streit, auf ein Miteinander im Nebeneinander, auf Kiezgefühl und Individualität. 

Das Wir, das Uns und die Anderen – dieses Gesellschaftsthema zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und verbindet subtil diese elf Leben auf einer politischen Ebene. Wobei es keine Idealfigur gibt, jede Person hat ihre Gründe, ihre Hintergründe, ihre Träume, ihre Traumata; erst im Verein – so das (wenn man so will) Modell von Ayata – werden sie vereinbar.

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