Platz 4Fußballbuch 2015

Kassiber aus der Gummizelle

Geschichten vom Fußball (2014/2015)
Platz 4  Fußballbuch des Jahres 2015 

Frank Willmanns gesammelte Kolumnen: Von Osteuropa, dem Mobilat Fantalk und dem wirklich wahren Fußball.

Frank Willmanns wöchentliche Kolumne im Tagesspiegel ist vieles: meinungsstark, unterhaltsam und bissig - kurzum eine absolute Pflichtlektüre. Ideal für unterwegs: Seine neueste Geschichtensammlung "Kassiber aus der Gummizelle", erschienen im Verlag Die Werkstatt.

Von seinem Spezialgebiet "Ostfußball" ausgehend, begleiten wir Frank Willmann auf die Bolzplätze der Republik und darüber hinaus: Zu fünft in einem Kombi geht's zum Belgrader Derby, nicht weniger nervenaufreibend und amüsant sein Besuch beim Mobilat Fantalk.

Buchbesprechungen:

Rezension bei turus.net

Rezension bei 120minuten.net

Rezension bei detektor.fm

Buchcover Kassiber aus der Gummizelle - Geschichten vom Fußball von Frank Willmann

Rezension: Kassiber aus der Gummizelle

Philipp Köster

Um zu beschreiben, was Frank Willmann für ein Autor ist, muss man vielleicht kurz an eine 11Freunde-Festivität erinnern, auf der Willmann vor ein paar Jahren zu Gast war. Zu vorgerückter Stunde war schon mächtig Alkohol konsumiert worden und viele drängten zum Aufbruch. Auch Willmann war abmarschbereit, aber verabschiedete sich vorher noch von einigen Mitarbeitern – jeweils mit einem durchaus herzlich gemeinten Kopfstoß. So wie Willmanns Verabschiedungsrituale sind auch seine Texte. Herzlich, brachial, bisweilen von gebrochener Schönheit und immer mitten auf die Zwölf. Wer diese Kombination für schwierig herzustellen hält, muss sein Buch „Kassiber aus der Gummizelle“ lesen, in dem Willmann die besten seiner Texte aus den letzten Jahren versammelt und in denen vor allem ostdeutsche Fußballzustände beschreibt.

Nun muss man dazu wissen, dass Willmann, seit jeher Fan des ruhmreichen FC Carl Zeiss Jena, der wohl herausragendste Chronist der Fanszene der untergegangenen DDR-Oberliga ist. Insbesondere sein Buch „Stadionpartisanen“ hat durch seine O-Ton-Protokolle viel vom nostalgischen Staub weggeblasen und den Blick geöffnet für eine vielschichtige Szene, in der Spaß, Fußball, Raufereien, Protest gegen die Enge der DDR-Diktatur und natürlich Alkohol eine flirrende, brüchige Jugendkultur schufen. „Kassiber in der Gummizelle“ wagt nun viel. Willmann verknüpft kunstvoll die Mythen der Vergangenheit mit der oftmaligen Tristesse von heute. Schön ist das in der Geschichte über Stahl Brandenburg zu sehen, wo die Stahlarbeiter aus dem nahen Werk beim Fußball Entspannung suchten und es dabei mit der Einhaltung von Dienstplänen nicht allzu Ernst nahmen. „Der Kollege Fleischhauer bitte schleunigst zur Schicht“ musste der Stadionsprecher  dann die Werktätigen in die Pflicht nehmen. Im Mai 2014 ist nichts mehr übrig vom lodernden Stahlfeuer. „Gespensterparade“ notiert Willmann und erzählt mitfühlend von den wenigen verbliebenen Anhängern, die nicht aufhören wollen, von Spitzenfußball in Brandenburg zu träumen.

Auch andere gefallene Größen besucht Willmann, wagt sich aber auf seine sehr spezielle Art und Weise auch an die großen Themen des Weltfußballs. Die Demission von Carlos Puyol ist ihm ein wehmütiger Abschiedsbrief wert. Die Bayern bekommen bei Willmann endlich mal nicht auf stumpfe, sondern auf höchst amüsante Weise ihr Fett weg. Und dass er auch gerne dahin geht, wo es weh tut, zeigt sein Reisebericht aus Belgrad, wo er dem unversöhnlichen Hass in Europas unversöhnlichster Fußballstadtt nachspürt. Es ist ein Buch, das im Fußball immer noch das sieht, was er vielleicht einmal war, nämlich wochenendliche Freude der Werktätigen.  Und dass ohne ein einziges Mal klebrig und nostalgisch zu werden. Das ist eine hohe Kunst – so wie ein sorgfältig ausgeführter Kopfstoß  zur Verabschiedung.

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