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Platz 4 Fußballbuch 2017

Gesellschaftsspielchen

Fußball zwischen Hilfsbereitschaft und Heuchelei (2016/2017)
Platz 4  Fußballbuch des Jahres 2017 
Ronny Blaschke
© Sebastian Wells/Ostkreuz

Rezension: Gesellschaftsspielchen

Helmut Böttiger

Die Zeiten scheinen endgültig vorbei zu sein, in denen der deutsche Fußball im Kulturjournalismus als Pop-Phänomen gefeiert und rein affirmativ behandelt wurde. Heute zeigt sich bei allen wohlfeilen Einwänden gegen Kulturpessimismus eher ein gewisser Zynismus. Zu augenfällig ist der Fußball als Geldmaschine geworden, als globales Unterhaltungsphänomen, das in seinen mafiösen und finanziell undurchsichtigen Verstrickungen auch politisch eine heikle Rolle spielt. Ronny Blaschke geht in den 18 Kapiteln seines Buches „Gesellschaftsspielchen“ ganz selbstverständlich von diesem Tatbestand aus. Fußball ist ein Teil des globalisierten Kapitalismus und hat mit den biederen treudeutschen Vorstellungen, die im DFB zum Teil immer noch vorgegaukelt werden, nicht das Geringste zu tun.

Es hat sich, seit Jürgen Klinsmann vor mehr als zehn Jahren die Verbandsstrukturen auf erstaunliche Weise zu verändern versuchte, allerdings einiges getan: es gibt offiziell geförderte Projekte, in denen Fußball auch als sozialer Faktor gesehen wird, und die betreffenden Funktionäre beeilen sich beflissen, auf eine gewandelte Förderungstruktur hinzuweisen, auf Fanprojekte zumeist. Doch oft vermittelt das bloß den Eindruck, die Widersprüche wegwischen zu wollen. Hier setzt Blaschke an. Er nimmt den Fußball in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung ernst und leitet daraus konsequent Forderungen ab. Er reagiert nicht zynisch auf die radikale Kommerzialisierung, sondern fragt danach, was man bei alldem tatsächlich tun könnte. Sein Porträt des Berliner Verbandsfunktionärs Gerd Liesegang ist ein Musterbeispiel dafür: früh erkannte dieser umtriebige Fußballbesessene die Gefahren des Rechtsradikalismus und der Ausländerfeindlichkeit, die sich vor allem im direkten Aufeinanderprallen von Ost und West zeigten. Und gegen erhebliche Widerstände startete er Initiativen – gegen die landläufige Rede, so etwas habe mit Fußball gar nichts zu tun, das müsse die Politik lösen.

Blaschke widmet sich verschiedenen Punkten, in denen gesellschaftspolitische Fragen direkt den Fußball betreffen. Thomas Hitzlsperger, der sich als erster herausragender Fußballprofi öffentlich dazu bekannte, schwul zu sein, wird eingehend porträtiert. Genauso hebt der Autor auch das Engagement Per Mertesackers hervor, der früh die soziale Verantwortung eines hochbezahlten Fußballprofis erkannt hat. Einen großen Raum nimmt die Arbeit von NGOs ein, die beispielsweise die Selbstbestimmung von Frauen aus autoritär regierten Ländern fördern („Discover Football“) oder in der Arbeit mit Flüchtlingen Zeichen setzen. Ein Kapitel über die Medien, die den Fußball, angesichts seiner quotenträchtigen Relevanz, immer mehr als unpolitische Spielwiese inszenieren, ragt besonders heraus. Fußball müsse „mehr in die Gesellschaft zurückspielen“, fordert Blaschke: „Nicht das Konto ist dafür entscheidend, sondern die Kompetenz.“ Man traut sich kaum noch, solche positiven Utopien zu formulieren. Die in diesem Buch geschilderten Beispiele sind allerdings dazu geeignet, Mut zu machen.

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