Platz 9Fußballbuch 2009

Fußball-Volksgemeinschaft

Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919-1964 (2008/2009)
Platz 9  Fußballbuch des Jahres 2009 
Campus
34,90 Euro
Buchcover Fußball-Volksgemeinschaft - Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919-1964 von Rudolf Oswald

Rezension zu: Fußball-Volksgemeinschaft - Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919-644

Birgit Schönau

Eine Rezeptionsgeschichte des deutschen Fußballs von den Anfängen der Weimarer Republik bis kurz vor Achtundsechzig – keine leichte Kost, nicht mühelos geschrieben, schon gar nicht in 90 Minuten zu lesen. Aber ein Muss für alle, für die der Fußball nicht vom Himmel fällt, erst recht nicht der deutsche.

Rudolf Oswald zeigt sehr schön, wie es von Anfang an ein großes Bemühen gab um den deutschen Fußball, ein unerbittliches Einordnen und Überbauen, wie der Fußball aufgeteilt wurde in rechts und links, katholisch und jüdisch, in Volksgemeinschaft und Klassenkampf. Und auf keinen Fall und nirgends das sein sollte und durfte, als was er doch eigentlich erfunden worden war: ein Spiel, oder? Nichts als ein Spiel, Pölen halt mit einem Ball und sei er aus Lumpen.

Das mag woanders länger so geblieben sein (nein, nicht in Italien, da war schon der Renaissancefußball ein Spektakel der Mächtigen), hierzulande aber schoss man sich gleich auf das ein, was den Fußball in der aufstrebenden Industrienation Deutschland politisch interessant machte, die Mannschaft nämlich. Die Mannschaft, so steht es bei Oswald, wurde flugs zum “idealtypischen Ort” erhoben, wo übertriebener Individualismus nichts zu suchen hatte, wo man sich unterzuordnen hatte und für höhere Ziele trainierte. Kurzum: Der Mannschaftssport als antiliberales Bollwerk, eine Spielwiese für Reaktionäre gleich welcher Couleur. Profis wurden schief angesehen, weil ihnen unterstellt wurde, ihr materielles Wohlergehen über die Belange der Mannschaft, ergo der Gemeinschaft zu stellen. Dieser recht typisch deutsche Sozialneid gerade gegenüber Fußballern hat bis heute hervorragend überwintern können.

Oswalds Thesen sind nicht ganz neu, sie werden aber sorgfältig belegt. Der Schwerpunkt seiner Arbeit ist der Fußball im Nationalsozialismus. Und hier erweist sich, wie eine höhere Wahrheit die Ideologen ganz schnell auf die Plätze verwies – die hohle “Volksgemeinschafts”-Propaganda machte im Alltag natürlich jenem Lokalpatriotismus Platz, der Europas Fußball bis heute bunt und spannend macht. Das Regime brachte die Auswüchse der Fußballleidenschaft, nämlich die Krawalle in den Stadien des Reichs, nicht unter Kontrolle. Da half auch eine Neugliederung der Spielklassen nicht, die eigentlich die heißesten Begegnungen vermeiden sollte. Es gab einfach neue Derbys, andere Konflikte, sogar die für den Ordnungsdienst abgestellten SA-Männern verprügelten am liebsten – gegnerische Fans.

Wenn man den Fußball unterwirft, hält man das Volk in Schach, so ähnlich muss das Rezept für den Tyrannen wohl lauten. Wobei Hitler überhaupt nichts mit Fußball anfangen konnte und Mussolini lieber ritt, aber das wäre ein anderes Thema: Der Diktator spielt niemals selbst.

Oswald fehlt es, wie gesagt, an einer gewissen Leichtigkeit, die sein Buch über den Rang eines Standardwerks hinausgehoben hätte. Es handelt sich um eine Dissertation. Wer verstehen will, wie der deutsche Fußball von Weimar nach Bern gelangte und warum er bis heute eigentlich so typisch deutsch ist, der sollte sich durch diese Arbeit wühlen. Vielleicht in der fußballfreien Zeit.

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