Platz 7Fußballbuch 2017

1. FC Köln Fußballfibel

(2016/2017)
Platz 7  Fußballbuch des Jahres 2017 
Buchcover 1. FC Köln Fußballfibel -  von Andreas Merkel

Rezension: 1. FC Köln Fußballfibel

Ronald Reng

Der 1. FC Köln ist mir (wie durchaus zahlreiche andere Fußballvereine) scheißegal. Wer wie ich aus Frankfurt kommt, lebt im selbstgerechten und selbstverständlich gerechtfertigten Gefühl, alles über den Fußball in der eigenen Stadt zu finden. Es bedurfte deshalb einer ICE-Fahrt nach Berlin, damit ich - um mich vor dem Schreiben einer Kolumne mit drängender Abgabefrist zu drücken - begann, das mir unaufgefordert zugesandte Manuskript „1. FC Köln. Die Fußballfibel“ zu lesen. Es war das Beste, was ich je im Leben tat.

Okay, das war jetzt vermutlich zu durchschaubar übertrieben. Also: Es war das Beste, was ich je im ICE tat. Ansonsten schlafe ich dort sehr gerne.

Sogenannte „Fan-Bücher“ erscheinen jährlich massenhaft. In verlässlicher Regelmäßigkeit sind sie aufs Grauenhafteste misslungen. Gelaber von echt totalen Orgasmen im echt krass austickenden Stehblock, als Lincoln echt noch den Ball ins Tor schoss und es sich irgendwie gar nicht in Worte fassen ließ, was man so fühlte. Just in diesem Genre findet sich mit „1. FC Köln. Die Fußballfibel“ von Andreas Merkel, erschienen in einen unbekannten Kleinstverlag, das herausragende Fußballbuch der Saison 2016/17. Merkel schreibt nicht aus dem Stadion, sondern aus dem REWE-Supermarkt, er wählt als Rahmenhandlung die Europameisterschaft 2016, wo der FC doch gar nicht mitspielt, er landet genauso selbstverständlich wie bei den FC-Sternchen Poldi oder Hector bei Literaten wie Knausgaard oder Herrndorf – und das alles ist so originell, so stilsicher, so literarisch nerdig erzählt, dass ein wunderbares großes Ganzes daraus wird: Die Liebe zum FC in der Kölner Diaspora (sei es in downtwon Rendsburg oder Berlin-Mitte, Merkels natürlichen, gegensätzlichen Jagdgründen).

In der Berliner Literatenszene, in der es von Kojoten, Tagesdieben und anderen Heiligen nur so wimmelt, ist Andreas Merkel schon seit Jahren – wie Fußballer sagen würden – „der, den Du gesehen haben musst“. Seit mittlerweile 14 Jahren arbeitet er an seinem dritten Roman. In Buchstaben: seit vierzehn Jahren. Wie oft er ihn umgeschrieben hat, weil es das ultimative Werk werden muss, weiß vermutlich nicht mal mehr er selbst. Zwischendrin wurde er mal für den Ingeborg-Bachmann-Bewerb nominiert. Merkels große Meisterschaft, das zeigt sich in der vorliegenden Fußballfibel, liegt – ähnlich und doch ganz anders formuliert wie bei Knausgaard – in der Selbstbeobachtung. So kreist die Fußballfibel immer auch um Merkel selbst. Der Mehrgewinn für den Leser ist dabei immens.  Wenn Merkel etwa seinen Selbstbetrug beschreibt, wie er sich vor dem quälenden Buchschreiben zu drücken versucht, oder wie er seine Sucht schildert, tonnenweise Tageszeitungen (und Amazon-Leserkritiken) zu konsumieren, dann kann nur der Engstirnigste denken: Äh, und was hat das mit dem FC zu tun? Denn wie jedes gelungene Fanbuch (und die Frage bleibt: Gab es zuvor überhaupt schon eines?) beschreibt die FC-Fußballfibel nicht nur das Objekt der Fanliebe sondern auch den Fan selbst mit seinen reichlichen Extravaganzen und Emotionen.

In dieser Saison sind einige eminent wichtige Fußballbücher erschienen, etwa „Football Leaks“ der Spiegel-Redaktion, oder Ronny Blaschkes „Gesellschaftsspielchen“. Doch sind diese exzellenten Werke journalistische Arbeiten, in ihrer Form also zuvorderst Zeitungs- und Zeitschriftentexte. Nach meiner Meinung sollte ein Buch, das sich „Buch des Jahres“ nennt, eine erzählerische Tiefe und ein Ton auszeichnen, die über das Journalistische hinausgehen. In diesem Sinne ragen „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“ von J.L. Carr und eben vor allem die FC-Fußballfibel von Andreas Merkel dieses Jahr heraus.

Oft schreiben Kritiker über Fan-Bücher, die sie für halbwegs gelungen halten: Fast so gut wie „Fever pitch“ von Nick Hornby. Über die FC-Fußballfibel lässt sich das nicht sagen. Sie ist zehnmal besser als Hornbys Urerzählung des Fandaseins.

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