Otto Rehhagel

Walther Bensemann-Preisträger 2010

Ehrenmitglied
Auszeichnungen

Begleittext zur Preisverleihung 2010

‚Rehakles‘, ‚König Otto‘, ‚Kind der Bundesliga‘ – Otto Rehhagel erhielt im Laufe seiner bewegten Karriere im Profifußball so manche Ehrenbezeichnung. Doch bis Rehhagel in den Olymp der Fußballgrößen aufsteigen konnte, war es ein langer, manchmal steiniger und von wesentlich liebloseren Bezeichnungen gepflasterter Weg gewesen.

Otto Rehhagel kam 1938 in Altenessen zur Welt, verlor früh seinen Vater und musste sich in der Nachkriegszeit als Halbwaise seinen Platz erkämpfen. Der Fußball wies ihm den Weg. 1950 begann er beim TuS Helene Essen gegen den Ball zu treten, nebenbei absolvierte er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. 1960 rief ihn Rot-Weiss Essen an die Hafenstraße, der junge Rehhagel spielt nun Oberliga-Fußball, erhält dafür 400 Mark Monatsgehalt und entwickelt die Tugenden eines kompromisslosen Verteidigers. Sein Kindheits-Idol Helmut Rahn trifft er dort nicht mehr an, der war kurz zuvor nach Holland, zu einem dreijährigen Gastspiel bei Enschede aufgebrochen. Mit Rahn trifft er auf dem Platz erst zusammen, als die Episode Essen schon vorüber war. Die Bundesliga war gegründet worden, Rehhagel wurde 1963 in Berlin bei der ‚Alten Dame‘ Hertha Profi und am vierten Spieltag Zeuge, wie sein Meidericher Gegenspieler Rahn als erster Spieler der neuen Spielklasse einen Platzverweis erhielt. (Wenige Wochen später sollte dann allerdings auch Rehhagel in der Schalker Glückauf-Kampfbahn vom Platz fliegen.) Im selben Jahr traf der gefürchtete Defensiv-Spezialist eine weitere folgenreiche Entscheidung: Rehhagel heiratete seine Beate, die künftig zu seiner wichtigsten privaten wie sportlichen Beraterin werden sollte.

Der nächste Wechsel als Spieler folgte 1966. Lauterns späterer Präsident Hubert Keßler stand am Bahnhof Kaiserslautern und fuhr Rehhagel zu seiner neuen Wirkungsstätte auf den Betzenberg. Nach insgesamt 201 Ligaspielen, 22 Toren und besagter Roter Karte endete 1972 die aktive Laufbahn des Esseners, es folgte der Wechsel auf die Trainerbank. Rehhagel startete eine lange Periode als Kurzzeittrainer, als ‚Notnagel‘ bei diversen Klubs: Gültige Arbeitspapiere besaß er beim 1. FC Saarbrücken, bei den Offenbacher Kickers, erstmals bei Werder Bremen, bei Arminia Bielefeld und der Dortmunder Borussia. Dort hieß der Spottname 1978 dann ‚Torhagel‘ – der BVB hatte am letzten Spieltag 1977/78 gegen Mönchengladbach die bis heute höchste Niederlage eines Bundesligisten einstecken müssen. Tags nach dem blamablen 0:12 war Rehhagel wieder einmal seinen Job los.

Mit dem Engagement bei Fortuna Düsseldorf stellten sich dann Anfang der achtziger Jahre langsam die Erfolge ein – die Ära der Häme mündete in die Zeit der Titel. Mit den Rheinländern gelang der erste Sieg im DFB-Pokal 1980, im Folgejahr aber befand sich Rehhagel schon wieder auf Arbeitssuche – zu seinem und zum großen Glück eines großen Bremer Fußballvereins. Werder befand sich in Not. Kuno Klötzer, der die Hanseaten mit Klaus Fichtel und Erwin Kostedde aus Liga Zwei wieder in die Beletage zurückführen sollte, verletzte sich bei einem Autounfall schwer. Ein Nachfolger musste her, Manager Rudi Assauer half kurzfristig selber aus, und am 2. April 1981 begann dann die Ära Rehhagel an der Weser. Sie sollte mehr als 14 Jahre andauern, Rehhagels Handschrift den SV Werder bis heute entscheidend prägen. Mit gestandenen Recken wie Klaus Allofs, Manfred Burgsmüller und Mirko Votava, aufstrebenden Jungstars wie Rudi Völler und Norbert Meier und talentierten Eigengewächsen wie Dieter Eilts oder Marco Bode – „König Otto“, wie ihm die Hansestadt bald huldigte, konnte erstmals systematisch eine Mannschaft aufbauen und dauerhaft mit ihr arbeiten. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten.

Zweimal holte er die Meisterschale (1988, 1993), zweimal den DFB-Pokal (1991, 1994) sowie den Europapokal der Pokalsieger (1992) an die Weser. Der langjährige Werder-Präsident Franz Böhmert erkannte früh, in einem Spiegel-Interview 1983, was Rehhagel bewirken kann: „Große Trainer prägen eine Mannschaft so stark, daß sie Charakterzüge des Trainers annimmt.“ Der Einfluss des einstigen Wandervogels formte Werder nicht nur zum Spitzenverein, sondern in den Augen vieler Fans auch zum großen gesellschaftlichen Gegenentwurf zum FC Bayern München. Die Wortgefechte zwischen Werder-Manager Willi Lemke und Bayern-Lenker Uli Hoeneß sind inzwischen Legende.

Umso größer war das öffentliche Staunen, als Rehhagel 1995 den Wechsel zum Rekordmeister von der Isar und seinen Abschied von der beschaulichen Werder-Familie verkündete. „Ich bin kein Bremer, ich bin kein Münchner, ich bin Fußballer“, kommentierte der Wechselwillige die Aufregung um seinen Umzug in den Süden der Republik. Dort stieß er an Grenzen. Die Münchner Medien begegnetem dem „demokratischen Diktator“ (Rehhagel über Rehhagel) mehr als skeptisch, auch mit dem Vorstand um Hoeneß, Beckenbauer & Co. klappte das Zusammenspiel nicht nach Wunsch. Am 30. Spieltag der Saison 1995/96 war nach einer 0:1-Heimpleite vorzeitig Schluss, Trainer-Nachfolger Beckenbauer verlor das anschließende Rennen um die Meisterschaft, heimste aber die Lorbeeren für den Titel im UEFA-Cup ein. Nur Stunden nach der Demission hatte das Ehepaar Rehhagel München bereits verlassen und fasste wieder in Kaiserslautern Fuß.

Zurück in die Pfalz also – eine Rückkehr zu den Wurzeln. Ganz einfach war dies sicherlich nicht für einen Mann, der von Essen über Bremen nach München zog und mittlerweile auch die Schnittstelle zwischen Kultur und Fußball besetzte: eng befreundet mit Persönlichkeiten wie Schriftsteller Walter Jens oder Theatermann Jürgen Flimm („Otto ist auch nicht mit allen meinen Inszenierungen einverstanden“) und gerne die Klassiker der Literatur (Goethe!) zitierend. Was Rehhagel dann am Betzenberg gelang, war ein großes Heldenepos – Homer, Shakespeare, mindestens doch Schiller standen Pate. Lautern, tränenreich in die zweite Liga abgestiegen, trat unter Rehhagel 1996 bis 1998 einen Triumphzug ohnegleichen an. Dem sofortigen Wiederaufstieg folgte am ersten Spieltag ein Sieg bei Bayern München und am Ende der Deutsche Meistertitel. Das war nicht nur ein Novum in der Ligageschichte, das Pfälzer Märchen hat gute Chancen auf historische Einzigartigkeit.

Für Otto Rehhagel war es jedoch nicht das letzte „Fußballwunder“. 2001 wagte er an seinem 63. Geburtstag das griechische Abenteuer und verantwortete nun erstmals die Geschicke einer Länderauswahl. Bald folgte auch unter der Akropolis Ehrung auf Ehrung. Der Boulevard titelte nun „Rehakles“, die Stadt Athen verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde und 2004 wählten ihn die Leser der Zeitschrift „Ta Nea“ gar zum „Griechen des Jahres“. Was war geschehen? In Portugal trat die griechische Auswahl als krasser Außenseiter bei der Europameisterschaft an, bezwang die hochgewetteten Teams aus Tschechien, Frankreich und im Finale Portugal, und kehrte als umjubelter Sieger nach Hellas heim. Es war der Höhepunkt im Schaffen des Fußballlehrers Rehhagel, der als Kind der Nachkriegszeit immer moralische Werte und Tugenden wie Geradlinigkeit, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit hochhielt. In der heutigen Zeit mag dies oft anachronistisch wirken und andernorts auf Unverständnis stoßen – im Kosmos Fußball setzte es Maßstäbe.

Rehhagels Spieler dankten ihm seine Loyalität und Ehrlichkeit zumeist mit Einsatz und Toren und trugen so maßgeblich bei zur Formung der Legende von „König Otto“. So ist Otto Rehhagel, der sein hellenisches Abenteuer nach der Weltmeisterschaft 2010 beendete, als Fußballtrainer und Mensch international zu einer Ikone geworden – ganz weit über die Grenzen Altenessens hinaus, wo 1938 unter schwierigsten Umständen alles begann.

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