Vicente del Bosque

Walther-Bensemann-Preisträger 2017

Ehrenmitglied
Auszeichnungen

Begleittext zur Preisverleihung 2017 (zum Video)

Selbst im größten Moment blieb er sich treu, natürlich. Vicente del Bosque ist kein Mann der markigen Worte, schon gar nicht des lauten Auftritts, auch das ist Teil seiner Größe, der menschlichen allemal. "Er ist die Güte in Person. Untadelig", sagt Torhüter Pepe Reina, für den beim wichtigsten sportlichen Triumph von Vicente del Bosque einst wochenlang nur ein Platz auf der Bank blieb: bei der Weltmeisterschaft 2010. Doch von Verbitterung, damals in Südafrika auf dem Weg zum Titel nicht eine einzige Minute gespielt zu haben, keine Spur bei dem ehemaligen Bayern-Torwart. Der Trainer hatte ihm stets alles erklärt und vor allem: "Es gibt keine leeren Phrasen bei del Bosque."

Seit jeher wählt der Gelobte seine Worte mit Bedacht. Und wie er spricht, so ist er: Daher hat sich der damals 59-Jährige an jenem 11. Juli 2010 auch nicht auf den Rasen des "Soccer City" geworfen oder auch nur die Krawatte abgebunden. Spanien war eben Weltmeister geworden, hatte 1:0 gegen die Niederlande gewonnen, doch der Trainer del Bosque genoss den Triumph auf seine Art – still. Nach Andrés Iniestas Siegtor hatte er nur kurz die Fäuste geballt.

Er sei eben keiner, so der Chefcoach damals, "der seine Emotionen offenbart". Am Vorabend des Finales war dann aber doch mal etwas durchgeschimmert: "Lieber stünde ich als Spieler in diesem Endspiel, aber ich bin auch so zufrieden."

Als der Bus mit den Weltmeistern am Tag nach dem Gipfelsturm von Johannesburg durch die Straßen von Madrid fuhr, da trug del Bosque bei sengender Sonne erneut Hemd und Krawatte, nicht mal die Ärmel krempelte er hoch. Wie stellte Stunden später der als Aushilfs-Zeremonienmeister fungierende Pepe Reina den Trainer vor zigtausenden Fans vor? "Hier kommt der Mann, der immer korrekt ist."

Als del Bosque nach der EM 2008 als Nachfolger von Luis Aragones Nationaltrainer wurde, sagte der damalige Sportdirektor des Verbandes, Fernando Hierro: "Menschlich, fachlich, sportlich, Vicente del Bosque ist der Richtige." Hierro hatte 2000 und 2002 unter del Bosque mit Real Madrid zweimal die Champions League gewonnen. Der Trainer hatte sich damals schon als Meister der Mannschaftsführung erwiesen. 

Wie bei Real mit all seinen Superstars um Zinedine Zidane, so war es auch im Nationalteam eine Herkulesaufgabe gewesen. Doch der besonnene del Bosque schaffte erneut den Spagat, einerseits Euphorie zu schüren, andererseits als Bremser zu agieren: "Spanien wird weiter Zeichen setzen", sagte er 2008 in einem seiner ersten Interviews als Nationaltrainer dem kicker. Das hat die Roja dann unter seiner Führung getan. Eindrucksvoll. Dem WM-Sieg 2010 folgte auch noch der Triumph bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine, der Mann aus Salamanca entwickelte aus dem Europameister Spanien den Dominator Spanien, den Europa-Welt-Europameister.

Eindrucksvoll war dabei auch, wie del Bosque die überbordenden Emotionen moderierte. "Diese Mannschaft hat gezeigt, dass es ihr Spaß macht, sich weiter zu messen", sagte der Veredler spanischer Fußballkunst. "Das Verhalten der Spieler, gerade auch im Innenleben der Gruppe, war außergewöhnlich gut." Del Bosque diktierte einem das in den Block während er, drei Tage nach dem Titelgewinn von Kiew, mit der Familie im Auto saß auf dem Weg in den Urlaub. Einer, der auch in der Stunde des Triumphs selbst ferne Wegbegleiter nicht vergisst.

Dass die von ihm gecoachte Roja als Titelverteidiger 2014 in Brasilien krachend scheiterte? Hatte auch etwas Pädagogisches. "Es gab eine Generation an spanischen Kindern, die sah uns nur gewinnen. Sie kannten nur den Triumph, doch das korrespondiert nicht mit der Realität. Die Niederlage ist Teil der Charakterentwicklung eines Kindes, Teil des erzieherischen Aspekts, den der Fußball und der Sport generell haben", schreibt del Bosque in seiner 2015 erschienen Biografie "Ganar y perder" (deutsch: Gewinnen und Verlieren). Da wusste und weiß einer, Maß zu halten, im Sieg wie in der Niederlage: "Wir haben nie verrückt reagiert." Es ist ein kleiner Satz, aber er ist del Bosque wichtig.

Fußball ist eben nur ein Spiel, wer wüsste das besser als dieser Trainer-Psychologe-Pädagoge. Sein Vater war als Anhänger linker Ideen in den Jahren der Franco-Diktatur drei Jahre in Haft: "Ohne ein Vergehen. Ich habe gelernt, dass es im Leben oft auch ungerecht zugeht", sagt der Bensemann-Preisträger, dessen Bruder früh an Krebs starb. Del Bosque hat drei Kinder, Sohn Alvaro das Down-Syndrom: "Durch ihn habe ich gelernt, Dingen den richtigen Stellenwert beizumessen."

Seit Jahren unterstützt er daher eine Stiftung in Madrid, die sich um Kinder mit Down Syndrom kümmert. Auch bei den von ihm unterstützten so genannten Sommercamps für Kinder und Jugendliche, die es in verschiedenen Städten Spaniens gibt, steht neben Fußball "vor allem die Vermittlung menschlicher Werte" im Vordergrund. "Der Umgang miteinander, die Kommunikation untereinander ist uns wichtig." Im Senegal unterstützt er seit Jahren eine Fußballschule. Es ist eine Lebensschule. "Es gibt Wichtigeres als zu Siegen", sagt del Bosque, "Hingabe, der Umgang mit Erfolg, das Lernen aus Niederlagen". Solches will er weitergeben.

Er kennt ja beide Seiten: 2003 entließ ihn Real Madrids Präsident Florentino Perez 2003 nach sieben Titeln als Trainer. "Die richtige Familie steht über allem. Aber auch Real Madrid war eine Familie für mich." Über drei Jahrzehnte als Profi, Juniorentrainer, Ausbildungskoordinator und Chefcoach waren damit zu Ende, weil er dem marketing-orientierten Perez zu wenig medial war. Dabei war del Bosque der Einzige, der Reals "Galaktische" zu Beginn des Jahrtausends dauerhaft in der Spur halten konnte.

Gleiches glückte ihm später mit der "Seleccion", weil er, neben aller Taktik und Topstars, "großen Wert auf das Befinden jedes Einzelnen" legte. "Nach jedem Sieg denke ich an daran, wie sich die fühlen, die nicht spielten." Daher sei es ihm auch schwergefallen, vor der WM 2010, als man schon Großes ahnen konnte, den Kader einzukürzen: "Ich habe 1978 als Spieler die WM wegen einer Verletzung verpasst. Daher weiß ich, was für ein Schlag ein WM-Aus bedeutet."

Diese fast kindliche Liebe zum Fußball hat sich del Bosque bewahrt, auch wenn er seit jeher etwas großväterlich wirken mag. "Das Licht ausmachen", gab er einst als Nachwuchskoordinator in Madrid Spielern wie Trainern mit, soll heißen: Stromsparen. So sei er nun mal erzogen worden. Zwei Wochen Hunger leiden, das habe ihm gefehlt. Mit so einem Satz, schreibt er in seiner Biografie, hat ihn die Mutter einst zurechtgerückt.

Wenn der Trainer del Bosque über seine Mannschaften dozierte, tat er dies manchmal mit gedrechselten Sätzen. Wer sich in deren Dschungel zu verlieren drohte, der konnte versuchen, in seinem Gesicht zu lesen. Rund um seinen Schnauzer zeigte sich bei Niederlagen weniger Ärger denn Realismus. Bei Siegen war es ein Lächeln, manchmal ein wenig Stolz, nie Überheblichkeit. Da hat einer auch aus der eigenen Sportler-Vita gelernt: Als Spieler bei Real war er Erfolge so sehr gewohnt, "dass wir die Siege nicht genossen, die Niederlagen hingegen waren sehr, sehr schmerzhaft".

Der Spielstil des Profis del Bosque in den 70ern war so: Es lief der Ball, nicht del Bosque. Solches war und ist auch die Maxime eines César Luis Menotti, 2009 Bensemann-Preisträger. Der Spieler del Bosque, das war "Taktik, Talent, und Hirn", sagt Enrique Ortego, der Autor zahlreicher Bücher über Real Madrid. Del Bosques ehemaliger Teamkollege Günter Netzer, Bensemann-Preisträger 2013, hebt anderes hervor: "Er ist bescheiden, zurückhaltend, eine Seele von Mensch."

Einer, dem immer auch die Rolle als Botschafter wichtig ist. Daher sprach er vor Turnieren gerne vom "Grad der Verantwortung", was das Auftreten der Spieler betraf, weit über den Platz hinaus.

"Ich räsoniere stets darüber, was ich mache, was ich bin", sagte del Bosque einmal. Und kam durchaus auch zu dem Schluss: "Grenzen sind dazu da, eingerissen zu werden." Das klingt dann für einmal doch etwas lautsprecherisch.

Aber wie sagte er schon zu Zeiten, als er Real Madrid trainierte? "Wenn man eine solche Position erreicht hat, muss man wissen, dass die nächste Station nur die Endstation sein kann." Das hörte sich dann doch wieder ganz realistisch an. Ganz nach Vicente del Bosque.

Jörg Wolfrum

Vicente del Bosque
© Jan Rygl
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