Friedrich Karl Waechter

† 16.09.2005

Künstler

Persönlichkeit
Beschreibung

† 16. September 2005

 

König Friedrich: Der Zeichner F. K. Waechter ist tot

Von Andreas Platthaus

 Er konnte alles. Und er machte kein Aufhebens daraus. Er verschenkte seine Pointen, er verschenkte seine Bilder. Sein Verständnis von linker Politik war Engagement im besten Sinne: Man hilft sich, wo man kann. Er half überall.

Wer ihn um das Nachdruckrecht für eine Zeichnung bat, bekam es, und zwar gratis, wenn die Sache es wert war. In seiner Gegenwart fiel man einander nicht in den Rücken, und wenn es doch geschah, mahnte er leise, aber deutlich. Er war nicht belehrend, er war nicht verbittert, er war nicht eitel. Deshalb war Friedrich Karl Waechter der größte Satiriker von allen.

Das war seine eigentliche Profession, doch sie beruhte auf mindestens drei Talenten: Er war ein grandioser Zeichner, er war ein famoser Dramatiker, er war ein brillanter Schriftsteller. Jede dieser Begabungen hätte für eine außergewöhnliche Karriere gereicht, aber Waechter war nicht der Typ fürs Rampenlicht. Einen Abend habe ich mit ihm verbracht, vor zwei Jahren bei Bernd Pfarr, seinem im letzten Jahr verstorbenen Freund. An diesem Abend wurde mir klar, daß eine weitere erstaunliche Kunst des F. K. Waechter in seiner Fähigkeit bestand, andere glänzen zu lassen, die sich ihm gegenüber wie kleine Lichter vorkommen mußten.

 Ein graphisches Genie

Die eisgraue Lockenpracht und die hohe dürre Gestalt gaben ihm einen Dürer-Anschein, und wer seine Federzeichnungen sieht, kann nicht daran zweifeln, daß hier ein graphisches Genie am Werk war. Aber Waechter zielte nicht auf den Kunstmarkt, er zielte auf ein großes Publikum. Und auf die Kleinen darin. Seine Kinderbücher und -theaterstücke zählen zum Besten, was diese Disziplinen in Deutschland hervorgebracht haben. Allein die Titel aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Stellvertretend deshalb nur eine subjektive Auswahl der Allerschönsten: bei den Bilderbüchern „Wir können noch viel zusammen machen“, „Da bin ich“, die mit Bernd Eilert verfaßten „Kronenklauer“ und zuletzt, dem Sterben noch abgerungen, „Prinz Hamlet“, ein Buch, das sich eigentlich jeder Einordnung entzieht, so unendlich weit steht es über den Genres. Und von den Stücken seien nur genannt „Schule mit Clowns“, „Kiebich und Dutz“ und - eine weitere Shakespeare-Hommage auf Augenhöhe - „Armer Yorick“.

Waechter war in den siebziger Jahren, die er mit seinem ersten Großerfolg, dem „Anti-Struwwelpeter“ eingeleitet hatte, ein Stammautor des Schauspiels Frankfurt, das damals von Peter Palitzsch bewußt antiautoritär geführt wurde. Er war auf Dauer nur dort zu halten, wo er seine Überzeugungen widergespiegelt sah, und sei es auch nur im kleinen Kollektiv wie bei der Satirezeitschrift „Pardon“, die er 1962 mitbegründet und deren berühmtes Signet, das höfliche Teufelchen, er entworfen hatte.

 Das neue Verständnis von Komik

Dort schloß er sich mit Fritz Weigle alias F. W. Bernstein und Robert Gernhardt zu jenem Trio zusammen, aus dem später die „Neue Frankfurter Schule“ entstehen sollte. In der „Pardon“-Beilage „Welt im Spiegel“ wurde eine Form begründet, die mit Nonsens nur unzureichend beschrieben ist, denn es ist wenig Sinnvolleres in der Bundesrepublik geschaffen worden als dieses neue Verständnis von Komik, das gerade, weil es keine Scheu vor flachen Witzen und Tiefschlägen hatte, einen Höhenflug auslöste, dem noch heute das gesamte deutsche Kabarett müde hinterherflattert.

Waechter war dabei der Mann fürs Graphische (und nebenher arbeitete er auch noch für „Twen“, eine kaum minder stilbildende Zeitschrift jener Jahre), aber in seinen spärlichen Texten der sechziger Jahre ist bereits eine solche Sicherheit für Pointen, eine solch grandios eingesetzte Lakonie zu finden, daß man ihn als den eigentlichen Lehrmeister auch seiner beiden Mitstreiter ansehen muß, selbst wenn alle drei beinahe gleichalt waren. Doch Waechter kam eben nicht aus einem klassisch studentischen Umfeld wie Gernhardt und Bernstein, sondern hatte den Beruf des Gebrauchsgraphikers erlernt. Jemanden mit dieser Bodenhaftung konnte man in der Tat gebrauchen.

 Die Herzen der Säue

Zur schönsten Vollendung kam sein graphisches und schriftstellerisches Können in den „Stillen Blättern“ (und nicht zu vergessen deren Rückseiten), die von Beginn an das 1979 gleichfalls von ihm mitgegründete Satiremagazin „Titanic“ zierten. Hier machte er vor, was seitdem zu einem eigenen Feld in der deutschen Humorlandschaft geworden ist: die Kombination von meisterhaft ausgeführten Bildern mit geradezu sardonischen Texten.

Exemplarisch auch hier nur eines, aus dem Dezember 1980: Ein niedliches Ferkel liegt neben seiner Mutter im Stall und lauscht deren Worten: „Du wirst ein großer stolzer Eber werden. Des Lebens Stürme werden über dich hinwegbrausen, aber du wirst lachen und getrost deinen Weg gehen, und die Herzen der Säue werden höher schlagen, wenn sie dein Lachen hören.“ Das kleine Ferkel denkt sich dazu: „Das Leben ist schön.“ Doch unter den wie meistens bei ihm handgeschriebenen Text hat Waechter einen barocken Schnörkel angebracht, der von der letzten Zeile den Blick abwärts führt zum Seitenrand: in jenes Nichts, das auch dem Ferkel bevorsteht, in dem jeder Betrachter bereits das Schlachtvieh ausgemacht hat.

Immer höchste Qualität Waechters Werke zeichneten sich immer durch höchste Qualität aus - egal, an welches Publikum sie sich richteten. Das war sein Verständnis der Aufgabe von Kunst. Seine hohe, leise, bedächtige Stimme taugte nicht zum Dozieren, und dennoch war er einer der erfolgreichsten Lehrer, der ganze Generationen von Zeichnern und Karikaturisten in seinen Seminaren ausgebildet hat. Die Liebsten waren ihm dabei jene Schüler, die sich gar nicht erst bemühten, den Meister nachzumachen. Und diese Schüler sind es wiederum, die ihm heute den größten Einfluß auf ihr Schaffen zusprechen.

Siebenundsechzig Jahre wurde der 1937 in Danzig geborene Künstler alt. Was er in dieser Frist geschaffen hat, ist unfaßbar, doch da er nie in seiner Neugier nachließ, hätte man noch so viel mehr erwarten können. Sein letztes Bilderbuch, „Vollmond“, erscheint in wenigen Wochen, und die „Titanic“ belebte im vergangenen Jahr noch einmal für wenige Folgen das „Stille Blatt“, allerdings unter dem leider prophetischen Titel „Waechters letzte Witze“. Das war als Reaktion auf die Neubelebung der Konkurrenz von „Pardon“ gedacht, die natürlich wieder Waechters Teufelchen als Signet benutzten. Ob es dem grundgütigen Waechter recht gewesen ist, daß man sein Werk gegenseitig in die Kampfbahn schickte, werden wir nicht mehr erfahren. Er starb in der Nacht auf diesen Freitag in Frankfurt am Main. Am Morgen, als die Nachricht dieses Todes sich durch den Freundeskreis verbreitete, werden viele die alten und die neuen Bücher herausgezogen haben. Jeder mag es tun. Denn das Lachen über Waechters Witz wird ihm den schönsten Gruß in jenen Himmel nachsenden, wo man schon begierig auf seine neusten Finessen wartet, die wir nicht mehr sehen dürfen.

 

Text: F.A.Z. vom 17.09.2005

Friedrich Karl Waechter
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