Platz 2Fußballbuch 2007

Wie ich einmal vergaß, Schalke zu hassen

Wahre Fußballgeschichten (2006/2007)
Platz 2  Fußballbuch des Jahres 2007 
Christoph Biermann
© privat
Kiepenheuer & Witsch
7,95 Euro
Buchcover Wie ich einmal vergaß, Schalke zu hassen - Wahre Fußballgeschichten von Christoph Biermann

Rezension zu: Wie ich einmal vergaß, Schalke zu hassen

Stefan Erhardt

Er kann’s halt einfach. Den Ball auf der Zeile tanzen lassen, am Ende ihn in die nächste prellen, von einem Absatz auf den andern lässig rüberschieben, ihn nach genau getimetem Seitenwechsel mit Gefühl in die Bleistiftspitze treiben, wo er ihn mit Effet einnetzt. Er kann’s, und er kann’s nicht lassen: das Fußballgeschichtenerzählen. Und wir Fußball-Leser sind froh drum.

Christoph Biermann hat in den letzten Jahren Bücher zum Fußball veröffentlicht, die ihresgleichen suchten insofern, als sie nicht nur die Liebe eines Mannes und Journalisten zu diesem Spiel widerspiegelten, sondern auch von einem tiefergehenden Verständnis dieses Spiels in all seinen Komplexitäten und Auswirkungen zeugten, tiefer gehend als das meiste, was zum Thema in gedruckter Form immer wieder auf den Markt geworfen wurde.

Ob es Einblicke in die Seelenlandschaften von Fans waren oder kluge Taktikanalysen, eigene Spielerlebnisschilderungen oder ironische Seitenhiebe – immer hatte man als Leser das Gefühl, hier wird man mitgenommen auf eine Reise ins Innerste des Fußballspiels. Nicht zuletzt seine zahlreichen Reportagen und Berichte in Zeitungen wie Süddeutsche oder taz, neuerdings Spiegel, haben erheblich dazu beigetragen, den Fußballjournalismus gerade in den Tageszeitungen auf ein neues, höheres Niveau zu heben.

Deshalb überrascht es nicht, wenn jetzt die neuen „Wahren Fußballgeschichten“ (so der Untertitel) wiederum von einer Fußballliebe und -leidenschaft zeugen, die einem genau jenes Momentum geben, das Biermann für ein gelungenes Spiel oder auch in der Rekapitulation großer Niederlagen reklamiert: So in dem „Begegnungen mit Gott“ überschriebenen Text, in dem er die Seele Hitzfelds exegetisch seziert, wie sie damals, Stichwort Barcelona, nach jenen dramatischen Schlussminuten und seitdem mit jenem überraschenden Momentum umgegangen ist, jener unerklärlichen, manchmal urplötzlich sich Bahn brechenden Triebkraft, die ein Fußballspiel „diffus und groß“ werden lassen kann. Das ist genauestens auf den Punkt gebracht, was die quasi fatale Ästhetik eines Spiels ausmacht.

Biermann scheut sich auch nicht vor Superlativen. So setzt er Volker Finke als „Die Stimme der Aufklärung“ ein Denkmal, einem Trainer, der als der Fußballlehrer schlechthin mit seinem Wirken beim SC Freiburg das anfänglich negativ konnotierte Bild vom Fußball-Oberstudienrat ins Positive gewendet hat, vor allem durch die Fähigkeit und den Willen, sich selbst ständig zu hinterfragen: „Denn das ist bemerkenswert an Volker Finke und so gar nicht selbstverständlich: Man lernt immer etwas dazu, wenn man sich mit ihm über Fußball unterhält. Trainer neigen normalerweise dazu [...], sich im Laufe der Jahre zu wiederholen. Man weiß dann schon, was einer in bestimmten Situationen sagen wird, und meistens tut er es auch. Selbst Finke erfindet die Fußballbetrachtung nicht ständig neu, doch er erweitert seine Analyse beharrlich. Das bedeutet: Er ist ein Lehrer, der selbst noch lernt.“ Und begründet, so Biermanns richtige und sprachlich konsequent formulierte Folgerung, damit eine eigene Schule – wie das große Trainer oft tun.

Biermann spricht uns aus der Fußballer-Seele mit all seinen kleinen (Blick in die Fan-Kneipe Church of Werder in Köln) wie großen Betrachtungen (Hollands Fußball-Seele); seine Obsession für den VfL Bochum leugnet er nie, vermag aber auch dort, wo er sein Fan-Herz bloßlegt, immer noch etwas Allgemeines, allgemein Gültiges, somit Lebens-Philosophisches zu zeigen, das alle berührt, die einem Verein nachhängen. Beispielsweise im Text „Schöner aufsteigen“, der natürlich vom VfL Bochum und seinen „fünf direkten Bundesligawieder­aufstiegen in den letzten 12 Jahren“ handelt, dazu er die faustsche Frage stellt: „Doch ist im Kleinen, im Speziellen nicht immer auch das große Ganze verborgen?“ Es ist, Herr Biermann, es ist, und dank Ihrer präzisen Ent-Deckungen werden sie auch uns offenbar.

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