Platz 2Fußballbuch 2017

Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten

Roman. Übers. von Monika Köpfer (2016/2017)
Platz 2  Fußballbuch des Jahres 2017 
Buchcover Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten - Roman. Übers. von Monika Köpfer von J.L. Carr

Rezension: Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten

Matthias Lieske

Am nächsten dürfte den Steeple Sinderby Wanderers wohl der Chasetown F.C. gekommen sein. Der achtklassige Fußballklub aus dem Örtchen in Staffordshire erreichte 2008 die dritte Runde des englischen FA-Cups, wo man im Heimspiel gegen den späteren Finalisten Cardiff City bis kurz vor der Halbzeit führte, am Ende dann aber doch 1:3 unterlag. Von den Wanderers, von deren erstaunlichem Erfolgsweg der englische Schriftsteller J.L. Carr im Jahre 1975 berichtete, trennen das beschauliche Chasetown gleichwohl Welten. Dort immerhin leben fast 4.000 Menschen, und der Verein verfügt über ein regelrechtes Stadion. Steeple Sinderby hingegen ist ein Flecken in Yorkshire mit lediglich 547 Einwohnern sowie zwei Dorfkneipen inmitten von Zuckerrübenfeldern, soweit das Auge reicht. Ein Ort, wo es die meiste Zeit so kalt ist, dass die Bewohner sich angewöhnt haben, nur durch die zusammengebissenen Zähne zu sprechen. Und das Team begnügt sich keineswegs mit der dritten Runde, sondern gewinnt, wie der Titel des Buches bereits dezent andeutet, tatsächlich den Cup, im Wembley-Stadion, ominöserweise gegen die Glasgow Rangers. Als Heimspielstätte muss eine umgestaltete Wiese namens Parson’s Plow herhalten, die eine gebührende Schieflage aufweist, so wie es in den sieben Thesen des Dr. Kossuth vorgegeben wird. Der ungarische Schuldirektor, Mastermind der Sinderby-Erfolgsgeschichte, hat bei einer Spielbeobachtung im Stadion von Leicester City ergründet, dass der wesentliche Unterschied zwischen den besten Fußballteams und dem Rest im Wesentlichen darin besteht, dass die Profis besser köpfen können. Also muss man sie daran hindern, etwa durch ein abschüssiges Spielfeld, das die Flanken viel zu hoch geraten lässt.

Dr. Kossuth, der Mannschaftskapitän Alex Slingsby, durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfener Ex-Profi, der Vikar des Dörfchens, gute Seele des Teams und gleichzeitig furioser Außenstürmer, der mit zwei Ehefrauen gesegnete Mäzen Mr. Arthur Fangfoss, der außer Pfarrer und Schuldirektor jedes Amt bekleidet, das in der Gegend zu besetzen ist, sowie Joe Gidner, Grußpostkartenverfasser und Chronist, sind die Schlüsselfiguren eines Pokalwunders, das keineswegs zufällig geschieht, sondern generalstabsmäßig geplant ist, zunächst sehr zur Erheiterung der regionalen Konkurrenz. „Dieselben Leute haben über Noah gelacht“, erklärt ungerührt Mr. Fangfoss. Nur ein Torjäger fehlt zunächst, nachdem die bisherige Stammkraft einen Spanienurlaub dem Trainingslager an der rauen Nordsee vorzieht und wegen Teamgeistunverträglichkeit ausgeschlossen wird. Zufällig wohnt die Idealbesetzung gleich nebenan, Sid Swift, einstiger Erstliga-Schützenkönig, der seine Karriere abrupt beendete, weil er den Sinn seines Tuns nicht mehr einsehen mochte. Der als Heilspredigerin aktiven und sehr attraktiven Schwester des Vikars gelingt es mühelos, ihn aus seiner Lebenskrise zu reißen, indem sie ihm gleich drei sinnvolle Perspektiven bietet: ein Dasein als Hilfs-Heilsprediger, eine Torjägerkarriere bei den Wanderers und sich selbst.

Der Weg nach Wembley beginnt mit Kantersiegen gegen benachbarte und meist zutiefst verhasste Gegnerschaft, zieht dann immer weitere Kreise, involviert immer mehr liebevoll oder wahlweise auch boshaft beschriebene Figuren und Charaktere und mündet schließlich in pures Chaos bei den Heimpartien gegen die großen Gegner und ihre schlecht erzogene Anhängerschaft, zu deren Bändigung Schriftführer, Zeugwart und Cheforganisator Gidner allerlei kleine Teufeleien ersinnt. Am effektivsten gegen den Ansturm von Automobilen aus den großen Städten erweist sich die Nutzung der zahlreichen Landstraßen, die in Rübenfeldern enden, wo die Invasoren im Schlamm stecken bleiben, bis sie Tage später von barmherzigen Traktoren gerettet werden oder auf den Sommer warten müssen, wenn der Untergrund trocknet (oder auch nicht). Das alles ist schwungvoll, facettenreich, humorvoll und feinsinnig erzählt, mit sicherem Blick für liebenswerte Details und zahlreichen ironischen Seitenhieben auf lokale sowie nationale Eigenheiten. Besonders im Blick sind die sensationslüsternen Medien, die vor dem Finale in Scharen in Steeple Sinderby einfallen, während die Mannschaft klug genug ist, sich an einen geheimen Ort zu begeben und getreu den Thesen des Dr. Kossuth zu planen, wie man gegen ein reiches und rüdes schottisches Profiteam auch dann gewinnt, wenn das Spielfeld zufällig mal nicht Parson’s Plow heißt.

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