Platz 12Fußballbuch 2015

Tempel der Körper

Eine Ketzerschrift (2014/2015)
Platz 12  Fußballbuch des Jahres 2015 
Kulturverlag Kadmos
Verlagsinfo www.kulturverlag-kadmos.de
24,90 Euro
978-3-86599-207-9
Buchcover Tempel der Körper - Eine Ketzerschrift von Peter Kühnst

Rezension: Tempel der Körper

Stefan Erhardt

Denn dein ist die Kraft und die Herrlichkeit: Leistungssport, Fußball und Religiosität

Dieses Buch, so die Vorwarnung, handelt nicht vom Fußball allein. Aber der Fan lebt im Allgemeinen auch nicht vom Fußball allein, sondern frönt in mannigfaltiger Ausprägung dem – Sport. Dieses Buch will, zweite Vorwarnung und damit fast schon eine Rote Lesekarte, eine „Ketzerschrift“ sein, eine Streitschrift wider den omnipräsenten Körperkult des Leistungssports, wider den extremen Olympismus. Wobei dies so schon nicht stimmt: denn „Tempel der Körper“ will nicht so sehr streiten als Fragen aufwerfen, das Im-Kern-Fragliche am Sportgebaren vor die Kulissen des Sports schieben, um die Augen zu öffnen (und den Verstand gleich mit dazu) für das, was dem Autor mindestens zweifel-, wenn nicht im Grunde frevelhaft und letztlich existentiell überflüssig anmutet.

Kühnsts Buch erschien gerade zur der Zeit, da der omnipräsente sakrosankte Sport – diesmal im Segment Fußball – von Enthüllungen fragwürdiger Methoden zur Leistungssteigerung und damit zum Betrug erschüttert wurde, zu einer Zeit, da er immer offensichtlicher als Vehikel für Machtstreben und Finanzakkumulation gebraucht wird, zu einer Zeit, da der sogenannte Extremsport unbeschadet jeglichen Alters massenhaft Zulauf erhält. Oder, wie es der Soziologe Dieter Bott vor Jahrzehnten bereits anprangerte: zu einer Zeit, da die „Sportifizierung der Gesellschaft“ sich in vollem Gange befindet.

Die Frage der Fragen lautet für Kühnst: Was steckt hinter jenen Aktivitäten, denen sich Menschen aus freiem Willen unterwerfen, die sie zu Sklaven willkürlich festgelegter Bewegungen machen, sie fixieren, fesseln, geißeln, physisch wie psychisch schädigen? Machen und verehren wir da, im Sport, etwas, das wir gar nicht brauchen?

Seine These lautet, dass Sport und Religion in ihrem jeweiligen Kultcharakter nicht nur hier und da formale Berührungspunkte aufweisen, sondern dass es eine weitaus innigere, gehaltliche und ideologisch gerichtete Schnittmenge gibt, an Inszenierungsformen und Auftrittsorten, an Dominanz und Unterwerfung, an Sehnsucht und Pseudo-Erfüllung, von kindlicher Individual-Phantasie und massenhafter Übertragung, wie es gerade die Kirchen als Grundstock ihres Heilszelebrierens pflegen.

Die Transzendenz der individuellen Bedeutungslosigkeit, das ist das Geschäft der Religionen, aber auch des Sports. Was den Religionen die Gotteshäuser, sind dem Sport die Stadien. Diese wie jene nutzen die Sehnsucht nach Außergewöhnlichem, nach Hoffnung und Erlösung, indem sie „dem Rahmen für das ‚Göttliche‘ Raum und Platz geben.“ Es sind Tempel, Tempel der Körper, in denen der „Kult des Fleisches“, so Kühnst, in Spielen allein, zu zweit oder mit bestimmten Gerätschaften stattfindet, die – wie er es nennt – „religiöse Komik eines athletischen Kultes mit unserem Körper“.

Dabei hat dieser Sport-Kult  im Laufe der Menschheitsgeschichte den Glaubens-Kult überflügelt, wenn nicht gar ersetzt, in vielerlei Hinsicht. Neben einer pornografisch-kirchlichen Komponente konstatiert Kühnst auch ein Element des Kriegerischen. Nicht von ungefähr haben sich totalitäre Systeme seit je her der Formen von Kriegsspielen und Ordnungsübungen meist gymnastischer Art bedient, um später im antidemokratischen Alltag eben diese Gewaltbereitschaft manipulativ zu nutzen. Natürlich bzw. natürlicher Weise gibt es Gewalt auch ohne politisches Zutun, „Miniaturen von Kriegen“, wie Kühnst es nennt, die auch den „Kult Sport“ immer wieder mit Ausbrüchen von Hass und Totschlag weltweit durchziehen – er erinnert in diesem Zusammenhang an unrühmliche Aktionen von Fanatikern, die 2012 die Mannschaft des 1. FC Köln bedrohten mit „Wenn ihr absteigt schlagen wir euch tot“ oder vier Jahre zuvor elf Gräber für die Spieler von Dynamo Dresden aushoben (ein teuflischer, in dem Sinne auch religiöser Akt).

Zur Ikonografie des Körperkults gehören entsprechende Kult-Stätten. „Kulissen der Architektur“, die aufgrund ihrer Theatralik, ihrer Monstrosität und Gigantomanie Sakralbauten und -räumen in nichts nachstehen. Hier das weitläufige Kirchenschiff, dort die kathedralenhafte Sporthalle; hier der Altar, dort das Siegertreppchen. Nicht umsonst wird inzwischen jenen Sportstätten mit der Bezeichnung „Dome“ auch sprachlich ihre wahre Funktion zugewiesen.

Zu den Körperkultorten kommen die Kult-Inszenierungen, zunächst vor allem bei Olympischen Spielen maximiert, mittlerweile fester Bestandteil jeder größeren Sportveranstaltung: ohne Hymnik, Feuerwerk, Lichterzauber und Lasershow kann heutzutage keine „religio athletae“ mehr vor den Augen der zahlenden und huldigenden Zuschauer bestehen; die „individuellen wie kollektiven Liturgien“ befördern mehr und mehr das „Staunen und die Bewunderung, sind der Untergrund des Religiösen.“ In diesen Zusammenhang ordnet sich leicht auch jenes Ritterspiel in schlimmster Tradition des Reenactments vor dem Champions-League-Finales zwischen Bayern München und Borussia Dortmund ein. Wiewohl hier der Klamauk dem religiösen Staunen den Rang abgelaufen haben dürfte.

Mit einem Exkurs über die Tempelhoheiten, die Priester-Funktionäre und Würdenträger des Sport-Kults, im Vergleich neben die Hohepriester der Religion, Päpste und Kardinäle, gesetzt, schließt Kühnst den Rahmen seiner Betrachtungen mit konsequent geäußerten Zweifeln an der generellen Sinnhaftigkeit des Sports. Es ist zugleich auch die Frage nach der Sinngebung der Moderne, nach dem Sinn, den der sogenannte moderne Mensch seinem Leben glaubt geben zu müssen, einem konstanten und konstant erneuerten Streben nach Leistung und Noch-mehr-Leistung, nach einem Schneller-Höher-Weiter, das mit der Vernunft in keinem Einklang steht.

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