Platz 3Fußballbuch 2013

Nachspielzeit

Eine unvollendete Fußballkarriere (2012/2013)
Platz 3  Fußballbuch des Jahres 2013 
Rowohlt
8,99 Euro
Buchcover Nachspielzeit - Eine unvollendete Fußballkarriere von Timo Heinze

Rezension: Nachspielzeit

Bernd Gäbler

„Manchmal kann man eben tatsächlich auch verlieren, obwohl man kämpft,“ resümiert Timo Heinze. Seit seinem zwölften Lebensjahr ist sein Leben nur auf ein Ziel ausgerichtet: Fußballstar zu werden. Sein Buch handelt davon, wie schwer es ist, so einen Traum aufzugeben – im Sport wie im normalen Leben. Es handelt vom Verlust, von Einsicht, von der Gabe, dann doch loslassen zu können. Es ist keine Weltliteratur, aber ein sehr schönes Buch. Es ist schön, weil es ehrlich ist. Timo Heinze hadert. Timo Heinze grübelt, und er denkt auch darüber nach, ob es vielleicht das Nachdenken selbst ist, das ihn davon abhielt, den großen Durchbruch zu schaffen. So wie ihn Thomas Müller schaffte, der das Vorwort beisteuerte.

Es ist noch gar nicht lange her, da haben sie zusammen gespielt in der Jugend des FC Bayern München. Aber während Thomas Müller eine sensationelle WM in Südafrika spielt, quält sich Timo Heinze damit ab, es in Unterhaching vielleicht doch noch in die Startelf zu schaffen. Ein einziges Mal hat er mitgespielt in der ersten Mannschaft des FC Bayern München – für die letzten zehn Minuten wechselte ihn Jürgen Klinsmann ein: im Abschiedsspiel für Oliver Kahn. Zuvor hat Timo Heinze alle Jugendnationalmann-schaften des DFB durchlaufen, wurde mit dem FC Bayern Deutscher Meister, war Kapitän der U-23 des Rekordmeisters. Akribisch rekonstruiert er seine sportliche Karriere – immer auf der Suche nach dem entscheidenden Indiz fürs Misslingen, nach der Weichenstellung, die ihn eben nicht an die Spitze führte.

Versetzt ist diese Erzählung über den Sport, den Ehrgeiz, das Training, Verletzungen, über viele falsche und wenige richtige Freunde mit einem Reisebericht. Timo Heinze haut ab, reist in die Ferne, fährt nach Bali. Und wie in jeder großen Literatur zielt der Abstand, die Weitung des Horizonts auf den „Ich“-Gewinn durch Welterfahrung. In der Selbstbefragung gibt es esoterische Einsprengsel, Versuche einer Typologie der Erfolgreichen und auch Abrechnungen. Der Leser spürt, dass da keiner schreibt, der „cool“ mit allem fertig ist. Offengelegt wird der Prozess, wie einer, der kein Star geworden ist, obwohl doch so viel dafür sprach, dass er es hätte werden können, beginnt, damit klarzukommen. Loslassen ist schwer, Loslassen muss gelernt werden.

Das Buch ist so wunderbar geeignet, zum Fußballbuch des Jahres gekürt zu werden, weil es einen ebenso realistischen wie erfrischenden Gegenakzent setzt zur Fußballwelt der Erfolge, der strahlenden Sieger und des Glamours. Aber es ist auch nicht einfach die dunkle Gegenwelt, die da ausgeleuchtet wird. Es geht nicht um die Abgründe von Korruption, Gewalt oder Rassismus, sondern um das alltägliche Scheitern. Statt Jubel- oder Jubiläumsarien singt da jetzt einer den Blues. Dieser Sound verbindet so viele – vielleicht gar uns alle – mit diesem Autor Timo Heinze, der so gerne ein Fußballgott geworden wäre.

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