Platz 2Fußballbuch 2009

Football against the enemy

Oder: Wie ich lernte, die Deutschen zu lieben (2008/2009)
Platz 2  Fußballbuch des Jahres 2009 
Buchcover Football against the enemy - Oder: Wie ich lernte, die Deutschen zu lieben von Simon Kuper

Rezension zu: Football against the enemy

Michael Wulzinger

Warum? Warum ist Fußball ein Spiel, das die Menschen, gleich auf welchem Kontinent, in seinen Bann zieht wie kein zweites? Warum sorgt der Fußball für Eruptionen des Glücks wie in Holland im Sommer 1988, als nach dem 2:1 im EM-Halbfinale gegen Deutschland im ganzen Land Fahrräder durch die Luft flogen? Warum lässt sich der Fußball wie bei der WM 1978 von Diktaturen wie der argentinischen Junta so zielsicher missbrauchen, und warum gebiert er Helden wie den Engländer Paul Gascoigne, dem Millionen von Engländern zu Füßen lagen, obwohl bekannt war, dass der Kicker seinen Mitspielern unter der Dusche ins Gemächt griff oder ihnen nachts vor ihrer Wohnung Nacktbesuche abstattete?

Es waren gute Fragen, die sich der in Uganda geborene, in Holland, England, Deutschland und den USA aufgewachsene und heute in Paris lebende Autor Simon Kuper zu Beginn der Neunziger Jahre – er war gerade Mitte 20 – stellte. Um Antworten zu finden, tat er das, was ein Reporter tun muss: Er machte sich auf den Weg. Kuper reiste neun Monate um die Welt, es verschlug ihn in 22 Länder, 5000 Pfund mussten reichen als Budget. Am Ende seiner Entdeckungsfahrt veröffentlichte er im Jahr 1994 ein Buch, das wie kaum ein anderes die Seele des Spiels ergründet: „Football Against The Enemy“. Der renommierte Sportjournalist Simon Barnes schrieb in der Londoner Tageszeitung „The Times“: „Wenn Sie Fußball mögen, lesen Sie es! Wenn Sie Fußball nicht mögen, lesen Sie es!“

„Football Against The Enemy“ wurde ein Bestseller. Nun ist Kupers Klassiker endlich auch in deutscher Sprache erschienen, an einigen Stellen aktualisiert und im Titel erweitert durch den Zusatz „Oder: Wie ich lernte, Deutschland zu lieben“. Die Aufforderung von Barnes gilt auch 15 Jahre später noch: „Lesen Sie es!“ Für mich ist die übersetzte Version das Fußballbuch des Jahres 2009.

Das Konzept wirkt simpel: Ein Autor bereist die Welt, um sie zu erklären. Die Falle ist die Beliebigkeit. Kuper entgeht ihr meisterhaft: durch behutsame Annäherung an seine Gesprächspartner (Trainer, Politiker, Mafiosi, Journalisten, Fans, Funktionäre), durch unaufdringlich-neugieriges Nachfragen, durch sein Erzähltalent, durch pointierten Witz und durch die scharfsinnige Analyse. Denn Beschreibung mündet bei Kuper immer in Erkenntnis: Man liest, und man versteht.

Eine der eindringlichsten Erzählungen spielt in Berlin. Kurz vor der Wende, im September 1990, zieht Kuper nach Berlin, grauer Osten, Prenzlauer Berg, wo er fast ein Jahr lebt. Er lernt Helmut Klopfleisch kennen, damals knapp über 40, einen Elektriker und Fensterputzer, der seit seiner Kindheit ein fanatischer Anhänger von Hertha BSC ist. Als die DDR das Land einmauert, ist Klopfleisch 13. Fortan kann er nicht mehr zu den Spielen des Clubs, an den er sein Herz verlor, und so behilft er sich auf seine Weise: Sobald eine Mannschaft aus dem Westen in der DDR oder einem sozialistischen Bruderland spielt, setzt Klopfleisch sich in Bewegung – und gerät durch seine Zuneigung für Mannschaften des Klassenfeindes in die Mühlen des Überwachungsstaates.

Mehrere Male verhaftet ihn die Stasi, die jeden seiner Schritte kontrolliert, unter anderem 1985, weil er bei einem Länderspiel der BRD in Prag gegen die Tschechoslowakei Franz Beckenbauer, damals Teamchef, eine kleine Spielzeugversion des Berliner Bären überreicht. Ein Jahr später stellt Klopfleisch, zermürbt von seinen Verfolgern, einen Ausreiseantrag, 1989 wird er genehmigt. Der Zeitpunkt ist von der Stasi perfide gewählt, denn Klopfleischs Mutter liegt im Sterben. Er bittet um Aufschub, die Antwort der Stasi lautet: „Entweder gehen Sie heute, oder Sie gehen nie.“ Klopfleisch geht.

Fünf Tage nach seiner Ausreise stirbt seine Mutter, zur Beerdigung lässt ihn die Stasi nicht wieder rein. Kurz darauf fällt die Mauer. Als Klopfleisch nach der Wiedervereinigung Einblick in seine Opferakte nimmt, sagt die Beamtin, die ihm die Stasi-Dokumente überreicht: „Ist alles nur über Fußball!“

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