Platz 8Fußballbuch 2015

Elf Meter

Die Kunst des perfekten Strafstoßes (2014/2015)
Platz 8  Fußballbuch des Jahres 2015 

Ben Lyttleton begibt sich auf eine spannende Entdeckungsreise nach dem perfekten Elfmeter

Freie Schussbahn, zentrale Position, kein gegnerischer Abwehrspieler in Sicht – ein Elfmeter sollte vermeintlich die leichteste Übung für einen Profi sein. Legenden wie Roberto Baggio, Diego Maradona, Johan Cruyff oder Uli Hoeneß eint es, an dieser Aufgabe gescheitert zu sein. Grund genug für den Autor Ben Lyttleton mit Spielern, Trainern und Sportwissenschaftlern darüber zu sprechen. Hierbei findet er heraus, was Antonín Panenka beim EM-Finale 1976 zu einem Lupfer veranlasste und warum nach Jens Lehman die Deutschen so begnadete Schützen vom Punkt sind. Zusätzlich versucht Lyttleton anhand statistischer Daten dem Geheimnis auf die Spur zu kommen: Überraschenderweise sind Engländer – wenn sie nicht für ihre Nationalmannschaft antreten – Europas besten Elfmeterschützen. „Elf Meter“ liefert eine gleichsam unterhaltsame sowie interessante Mischung aus handfesten Fakten und lustigen Geschichten, endlich wird beantwortet, wie das Runde aus elf Metern ins Eckige kommt.

Mehr zu  Ben Lyttletons „Elf Meter“ auf der Seite von VERLAG DIE WERKSTATT.

Buchcover Elf Meter - Die Kunst des perfekten Strafstoßes von Ben Lyttleton

Rezension: Elf Meter

Jürgen Kaube

Ben Lyttleton ist Engländer, sein Buch also ein Versuch nationaler Selbstheilung. Und zwar erklärtermaßen. Gleich das erste Kapitel heißt „Die englische Krankheit“, denn der Befund lautet: Engländer verlieren Elfmeterschießen seit dem 23. Juni 1996, tags zuvor hatten sie das bislang letzte eines internationalen Turniers gewonnen. Dabei obsiegen englische Vereinmannschaften per Elfmeterschießen durchaus: Liverpool gegen AS Rom 1984, Liverpool, unvergessbar, 2003 gegen AC Mailand, Manchester United 2008, na gut gegen Chelsea, und Chelsea 2012 gegen den FC Bayern.

Aber als Nation eben nicht. Da sind die Deutschen elfmetermäßig allen andern um Längen voraus: 93 Prozent Treffer. England: 66 Prozent. Lyttleton geht den Gründen für beides nach und zwar akribisch. In seinem Buch voller Elfmeter-Anekdoten wird jeder Aspekt dieser Entscheidungssituation hin und her gewendet: Der Stress im Mittelkreis, der Gang zum Punkt, der Punkt selber, der Anlauf, der Schuß. Statistikfans kommen auf ihre Kosten. Die Spieler welcher Nation beispielsweise drehen nach dem Zurechtlegen des Balls dem Torhüter am meisten den Rücken zu? Engländer, 57 Prozent von ihnen. Spanier: 5 Prozent, Deutsche: 30 Prozent. Und wer schießt am schnellsten, nachdem der Schiedsrichter pfiff? Engländer.

Lyttleton ist rührend darum bemüht, seinen Leuten die Erkenntnisgewinne der Forschung nahezubringen: Vergesse die Vergangenheit, lass dir Zeit, bedenke, dass ihr im Klub 82 Prozent aller Elfmeter verwandelt. Aber sein Buch ist weit mehr als eine Ansprache an die eigene Nation. Er sucht die Elfmeter-Prominenz auf: Panenka, Schumacher, Martin Palermo (für Argentinien drei Elfmeter in einem Spiel verschossen), Brandi Chastain (Frauen-WM 1999). Er denkt über das Duell als solches nach, und er kennt, Verbeugung, Michael Kutzop. Er fragt, ob verzögernde Torhüter (Dudek!) einen Effekt haben (ja) und ob die Zuschauerzahl eine Rolle spielt (tut sie nicht, aber zuhause wird mehr getroffen). Und er untersucht, ob es eine Statusangst besonders prominenter Schützen beim Elfmeter gibt.

Am Ende läuft das alles nicht auf ein Rezept hinaus. Sondern auf ein herrliches Gewusel an Informationen und Geschichten über Entscheidungszwang. Der Elfmeter tut eben nur so, als sei er anders als der Rest des Spiels, in Wahrheit ist er genau so merkwürdig. In England ist übrigens „die deutsche Krankheit“ ein Begriff für niedrigen Blutdruck. Darüber könnte die Elfmeterforschgung ja mal nachdenken.

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